Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Sie dramatische Kunst L, v. Wildenbrnchs. Richtet er seinen Drachenblick auf uns -- Und weiter als Antwort auf einen Einwand seiner Nichte Adelheid: Traume? Träume? Man könnte Aussetzungen an der Diktion machen, wünschen, daß die Empfindung, Sie dramatische Kunst L, v. Wildenbrnchs. Richtet er seinen Drachenblick auf uns — Und weiter als Antwort auf einen Einwand seiner Nichte Adelheid: Traume? Träume? Man könnte Aussetzungen an der Diktion machen, wünschen, daß die Empfindung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197220"/> <fw type="header" place="top"> Sie dramatische Kunst L, v. Wildenbrnchs.</fw><lb/> <quote> Richtet er seinen Drachenblick auf uns —<lb/> Sein Geist wie ein blntsnngerischer Bampyr<lb/> Umschwebt mich, saugt das Blut mir aus dein Hirn;<lb/> Er zählt mir jeden Mann auf meinen Mauern,<lb/> Jeden Gedanken, der nach Rettung sucht,<lb/> Liest er mir ans den Falten des Gehirns —</quote><lb/> <p xml:id="ID_1551"> Und weiter als Antwort auf einen Einwand seiner Nichte Adelheid:</p><lb/> <quote> Traume? Träume?<lb/> Ich spreche Wahrheit - Widerstand ist Traum!<lb/> Lern diesen Korsen kennen! Raum und Zeit,<lb/> Die andre knechten, knechtet er. Sein Wille<lb/> Verschlingt den Raum wie ein gefmsj'ger Wolf;<lb/> Die Zeit ist sein Geschöpf, denn seine Thaten<lb/> Schlagen die Stunden an der Uhr der Zeit,<lb/> Und wie ein Rechenmeister des Verderbens<lb/> Sagt er dem Unheil Stunde und Minute,<lb/> Da es auf unsre Häupter fallen soll.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1552" next="#ID_1553"> Man könnte Aussetzungen an der Diktion machen, wünschen, daß die Empfindung,<lb/> der Gedanke, oder was sonst hier zum Ausdruck gebracht wird, aus noch tiefern<lb/> Gängen der Seele heraufgeholt würde. Aber nicht jeder ist Shakespeare, ob<lb/> er sich gleich neben ihn stellen mochte, und hier ist, wenn auch nicht das Höchste<lb/> erreicht wird, echte Poesie, die ohne Effekthascherei mit der Macht der Wahrheit<lb/> die Seelen einnimmt. Die Wirkung, welche diese Vorgänge ausüben, findet in<lb/> derselben Szene noch machtvolle Steigerung. In früherer Zeit hat der Oberst<lb/> mit der ganzen Strenge des Gesetzes an einem Deserteur die barbarische Strafe<lb/> des Spicszrntenlanfens ausführen lassen, welcher der Delinquent, der Sohn des<lb/> Dvrfschullehrers Bergmann, unter den Augen des um Erbarmen flehenden<lb/> Vaters in qualvoller Weise erliegt. Wenn dieses Ereignis, das er Jahre lang<lb/> vergessen hat, dein Kommandanten gerade jetzt in dem wichtigsten Augenblicke<lb/> seines Lebens, trotz der langen Vergangenheit mit erschreckender Deutlichkeit vor<lb/> die gequälte Seele tritt, so ist das nicht ein ans die Wirkung berechneter Theater-<lb/> evup, sondern ein feiner psychologischer Zug, der tief innerlich begründet vom<lb/> Dichter in effektvoller Weise benutzt wird. So lauge die Tage im gewöhnlichen<lb/> Wechsel der Dinge sich abspannen, war dem Obersten keine Beunruhigung ge¬<lb/> kommen, er hatte sich gedeckt gefühlt durch das Gesetz und eine starke Negierung;<lb/> diese hatten die Verantwortung zu tragen, wenn überhaupt eine solche verlangt<lb/> wurde. Jetzt, wo diese nicht mehr sind, wo er bloß aus sich selbst über das<lb/> nächste Geschick einer wichtigen Festung zu entscheiden hat, ein Faktum, dessen<lb/> Möglichkeit er niemals geahnt hat, da wird es ihm grauenvoll klar, daß er<lb/> wie wegen des ihm anvertrauten Gutes, so auch ob jeuer That sich zu verant¬<lb/> worten hat. Auf ein drittes, das ihm bis dahin den Rücken gesteift hat, kann<lb/> er sich nicht zurückziehen, direkt vor dem höchsten Richter hat er die Frage zu<lb/> beantworten: Hast du in starrem Buchstabenglauben das dir zu gehste stehende</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0486]
Sie dramatische Kunst L, v. Wildenbrnchs.
Richtet er seinen Drachenblick auf uns —
Sein Geist wie ein blntsnngerischer Bampyr
Umschwebt mich, saugt das Blut mir aus dein Hirn;
Er zählt mir jeden Mann auf meinen Mauern,
Jeden Gedanken, der nach Rettung sucht,
Liest er mir ans den Falten des Gehirns —
Und weiter als Antwort auf einen Einwand seiner Nichte Adelheid:
Traume? Träume?
Ich spreche Wahrheit - Widerstand ist Traum!
Lern diesen Korsen kennen! Raum und Zeit,
Die andre knechten, knechtet er. Sein Wille
Verschlingt den Raum wie ein gefmsj'ger Wolf;
Die Zeit ist sein Geschöpf, denn seine Thaten
Schlagen die Stunden an der Uhr der Zeit,
Und wie ein Rechenmeister des Verderbens
Sagt er dem Unheil Stunde und Minute,
Da es auf unsre Häupter fallen soll.
Man könnte Aussetzungen an der Diktion machen, wünschen, daß die Empfindung,
der Gedanke, oder was sonst hier zum Ausdruck gebracht wird, aus noch tiefern
Gängen der Seele heraufgeholt würde. Aber nicht jeder ist Shakespeare, ob
er sich gleich neben ihn stellen mochte, und hier ist, wenn auch nicht das Höchste
erreicht wird, echte Poesie, die ohne Effekthascherei mit der Macht der Wahrheit
die Seelen einnimmt. Die Wirkung, welche diese Vorgänge ausüben, findet in
derselben Szene noch machtvolle Steigerung. In früherer Zeit hat der Oberst
mit der ganzen Strenge des Gesetzes an einem Deserteur die barbarische Strafe
des Spicszrntenlanfens ausführen lassen, welcher der Delinquent, der Sohn des
Dvrfschullehrers Bergmann, unter den Augen des um Erbarmen flehenden
Vaters in qualvoller Weise erliegt. Wenn dieses Ereignis, das er Jahre lang
vergessen hat, dein Kommandanten gerade jetzt in dem wichtigsten Augenblicke
seines Lebens, trotz der langen Vergangenheit mit erschreckender Deutlichkeit vor
die gequälte Seele tritt, so ist das nicht ein ans die Wirkung berechneter Theater-
evup, sondern ein feiner psychologischer Zug, der tief innerlich begründet vom
Dichter in effektvoller Weise benutzt wird. So lauge die Tage im gewöhnlichen
Wechsel der Dinge sich abspannen, war dem Obersten keine Beunruhigung ge¬
kommen, er hatte sich gedeckt gefühlt durch das Gesetz und eine starke Negierung;
diese hatten die Verantwortung zu tragen, wenn überhaupt eine solche verlangt
wurde. Jetzt, wo diese nicht mehr sind, wo er bloß aus sich selbst über das
nächste Geschick einer wichtigen Festung zu entscheiden hat, ein Faktum, dessen
Möglichkeit er niemals geahnt hat, da wird es ihm grauenvoll klar, daß er
wie wegen des ihm anvertrauten Gutes, so auch ob jeuer That sich zu verant¬
worten hat. Auf ein drittes, das ihm bis dahin den Rücken gesteift hat, kann
er sich nicht zurückziehen, direkt vor dem höchsten Richter hat er die Frage zu
beantworten: Hast du in starrem Buchstabenglauben das dir zu gehste stehende
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