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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Zur Verbesserung dos Strafverfahrens.

Merklichen Lebens vorläufig feststellen? Oder soll wirklich alles derartige vom
staatlichen Beamtentum, wohl gar von der Polizei gemacht werden? Und welche
Grundsätze sollen alsdann für diese Beamtcuthätigkeit maßgebend gemacht werden,
da doch in den Punkten, welche hier zur Entscheidung zu bringen sein
würden, in den verschiednen Städten und Gegenden Deutschlands die bunteste
Mannichfciltigkeit herrscht? Hier gelten diese Gewerbe für verwandt oder selbst
zusammengehörig, dort jene; hier hat sich eine Vermischung mit fabrikmäßigen:
Betriebe vollzogen, dort nicht; hier haben sich für das Lehrlingswesen diese
Gewohnheiten und Duldnngen ausgebildet, dort ganz andre. Das sind doch
alles Dinge, die sich nicht übers Knie brechen lassen. Also erst warten, bis
einmal überall wieder ein Innungswesen vorhanden ist, und dazu, dies zu be¬
werkstelligen, ist der Ackermcmnsche Antrag der rechte Weg!




Zur Verbesserung des Strafverfahrens.

eher die Verbesserungsbedürftigkeit des Strafverfahrens, das nach
dem Gerichtsverfassungsgesetze und der Strafprozeßordnung für
das deutsche Reich seit dem 1. Oktober 1879 in Anwendung ist,
ist man längst allseitig einig. Nichts erweist aber so augenfällig
die Schwierigkeit des Vcrbcsserus, als die außerordentliche Mannich-
faltigkeit der Vorschläge über das, was zu ändern und wie es zu ändern sei.

Das Hauptbeispiel des Widerstreites der Meinungen bildet noch immer
das Schwurgericht. Während gewichtige Stimmen nicht müde werden, dessen
gänzliche Beseitigung zu verlangen, wird von andrer Seite schon die aus
rein sachlichen Gründen im Entwurf des Bundesrates zu Abänderungen der
Strafprozeßordnung geplante Beschränkung der schwurgerichtlichcn Zuständigkeit
als ein Angriff auf ein heiliges Volksrecht dargestellt, und sogar eine Aus¬
dehnung der Zuständigkeit besonders auf alle mittels der Presse verübten Ver¬
gehen gefordert, womit merkwürdigerweise ein Ausnahmegesetz für die Presse
gerade von solchen begehrt wird, welche sonst mit dem Brustton der tiefsten
Überzeugung jede Ausnahmegesetzgcbuug verdammen. Freilich kann auch ein
Gegner des Schwurgerichts sich der Einsicht nicht entziehen, daß seine Besei¬
tigung oder auch nur eine über das dringendste Bedürfnis hinausgehende Ein¬
schränkung seiner Zuständigkeit auf ebenso weitverbreitete als tiefgewurzelte Vor-


Zur Verbesserung dos Strafverfahrens.

Merklichen Lebens vorläufig feststellen? Oder soll wirklich alles derartige vom
staatlichen Beamtentum, wohl gar von der Polizei gemacht werden? Und welche
Grundsätze sollen alsdann für diese Beamtcuthätigkeit maßgebend gemacht werden,
da doch in den Punkten, welche hier zur Entscheidung zu bringen sein
würden, in den verschiednen Städten und Gegenden Deutschlands die bunteste
Mannichfciltigkeit herrscht? Hier gelten diese Gewerbe für verwandt oder selbst
zusammengehörig, dort jene; hier hat sich eine Vermischung mit fabrikmäßigen:
Betriebe vollzogen, dort nicht; hier haben sich für das Lehrlingswesen diese
Gewohnheiten und Duldnngen ausgebildet, dort ganz andre. Das sind doch
alles Dinge, die sich nicht übers Knie brechen lassen. Also erst warten, bis
einmal überall wieder ein Innungswesen vorhanden ist, und dazu, dies zu be¬
werkstelligen, ist der Ackermcmnsche Antrag der rechte Weg!




Zur Verbesserung des Strafverfahrens.

eher die Verbesserungsbedürftigkeit des Strafverfahrens, das nach
dem Gerichtsverfassungsgesetze und der Strafprozeßordnung für
das deutsche Reich seit dem 1. Oktober 1879 in Anwendung ist,
ist man längst allseitig einig. Nichts erweist aber so augenfällig
die Schwierigkeit des Vcrbcsserus, als die außerordentliche Mannich-
faltigkeit der Vorschläge über das, was zu ändern und wie es zu ändern sei.

Das Hauptbeispiel des Widerstreites der Meinungen bildet noch immer
das Schwurgericht. Während gewichtige Stimmen nicht müde werden, dessen
gänzliche Beseitigung zu verlangen, wird von andrer Seite schon die aus
rein sachlichen Gründen im Entwurf des Bundesrates zu Abänderungen der
Strafprozeßordnung geplante Beschränkung der schwurgerichtlichcn Zuständigkeit
als ein Angriff auf ein heiliges Volksrecht dargestellt, und sogar eine Aus¬
dehnung der Zuständigkeit besonders auf alle mittels der Presse verübten Ver¬
gehen gefordert, womit merkwürdigerweise ein Ausnahmegesetz für die Presse
gerade von solchen begehrt wird, welche sonst mit dem Brustton der tiefsten
Überzeugung jede Ausnahmegesetzgcbuug verdammen. Freilich kann auch ein
Gegner des Schwurgerichts sich der Einsicht nicht entziehen, daß seine Besei¬
tigung oder auch nur eine über das dringendste Bedürfnis hinausgehende Ein¬
schränkung seiner Zuständigkeit auf ebenso weitverbreitete als tiefgewurzelte Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/471>, abgerufen am 15.01.2025.