Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Berlin, wie es wächst und verschlingt.

Lichterfelde; im Westen Charlottenburg -- denn so despektirlich es manchem
Charlottenburger vorkommen mag, seine Stadt einfach als Vorort von Berlin
aufgefaßt zu sehen, so ist es doch im gründe nichts andres -- und Westend.
Von diesen ist Rixdorf auszuscheiden, weil es doch mehr Arbeiterquartier ist.
Ähnliches gilt von Stralau und Rummelsburg. Friedrichshagen und Erkner
sind auszuscheiden, weil sie (aller bequemen Eisenbahnverbindungen unerachtet)
doch zu weit entlegen sind; für Sommerfrischler und für Pensionäre, die ge¬
legentlich auch einmal in Berlin einen raschen Besuch abstatten wollen, mögen
sie reizend sein, wie denn ohne Zweifel die landschaftliche Lage eine ganz aller¬
liebste ist, aber für regelmäßigen, täglichen Verkehr mit Berlin ist doch eine
stundenlange Eisenbahnfahrt zu viel. Aus demselben Grunde müssen auch die
so vornehmen wie schönen Villenquartiere von der Betrachtung ausgeschlossen
werden, welche südwestlich am Wannsee und noch weiterhin am Griebnitzsee (Neu-
Babelsberg) entstanden sind; wundervoll, gewiß -- aber nicht für Leute, die
wenn nicht in, so doch dicht bei Berlin wohnen und in Berlin ihre täglichen
Geschäfte bequem erledigen wollen. Die Orte an der Görlitzer Bahn sind noch
zu unbedeutend. Tegel und Pankow endlich haben doch nur Pferdebahnver¬
bindung mit Berlin, sodaß die Hauptstadt auch von hier nur mit großem
Zeitverlust zu erreichen ist. Es bleiben also nur die westlichen und südwestlichen
Vororte, ferner Tempelhof und Weißensee. Weißensee ist sehr hübsch und hat
neuerdings einen großen Aufschwung genommen, unter anderm auch dadurch,
daß der bekannte Gastwirt Sternecker den Schauplatz seiner Thätigkeit vou der
"Neuen Welt" in der Hcisenhaide hierher, in das ehemalige Schloß Weißensee,
verlegt hat. Aber bis jetzt hat der Ort doch das Kolonicartige, Unfertige nicht
abzustreifen vermocht, und wir halten es nicht für wahrscheinlich, daß sich viele
Leute ohne bestimmte Veranlassung hier niederlassen werden. Tempelhof emp¬
fiehlt sich vielfach; es ist gleichzeitig Dorf, Villenvorstadt und Ausflugsziel für
die Berliner, ist hübsch gelegen, sogar nicht ohne einen gewissen romantischen
Reiz, und mit der Hauptstadt so bequem wie möglich verbunden. Auch beginnen
schon die benachbarten Dörfer an den Vorteilen dieser Lage teilzunehmen. Aber
für Ausflüge nach Potsdam und dem Grünewald liegt Tempelhof nicht hervor¬
ragend günstig, und die Nähe des Exerzierplatzes hat doch neben manchen
Annehmlichkeiten auch ihre Schattenseiten. Schöneberg ist ohne Zweifel der
günstigste aller Vororte; dafür ist es eigentlich auch schon kein solcher mehr,
sondern muß (auch was die Preise betrifft) als Teil von Berlin betrachtet
werden. Der Erwerb eines eignen Grundstückes ist hier weniger möglich als
irgendwo, da die "Millivnenbauern" in der denkbar echtesten Mischung von
Bauernschlauheit und Baucrnhartköpfigkeit an den fabelhaftesten Preisen fest¬
halten, in der Überzeugung, daß man ihnen dieselben früher oder später doch
bewilligen müsse. Dies ist auch der Grund, weshalb die Chausseestrecke von
hier bis Friedenau für die Bauthätigkeit noch fast unberührt ist. Friedenau,


Berlin, wie es wächst und verschlingt.

Lichterfelde; im Westen Charlottenburg — denn so despektirlich es manchem
Charlottenburger vorkommen mag, seine Stadt einfach als Vorort von Berlin
aufgefaßt zu sehen, so ist es doch im gründe nichts andres — und Westend.
Von diesen ist Rixdorf auszuscheiden, weil es doch mehr Arbeiterquartier ist.
Ähnliches gilt von Stralau und Rummelsburg. Friedrichshagen und Erkner
sind auszuscheiden, weil sie (aller bequemen Eisenbahnverbindungen unerachtet)
doch zu weit entlegen sind; für Sommerfrischler und für Pensionäre, die ge¬
legentlich auch einmal in Berlin einen raschen Besuch abstatten wollen, mögen
sie reizend sein, wie denn ohne Zweifel die landschaftliche Lage eine ganz aller¬
liebste ist, aber für regelmäßigen, täglichen Verkehr mit Berlin ist doch eine
stundenlange Eisenbahnfahrt zu viel. Aus demselben Grunde müssen auch die
so vornehmen wie schönen Villenquartiere von der Betrachtung ausgeschlossen
werden, welche südwestlich am Wannsee und noch weiterhin am Griebnitzsee (Neu-
Babelsberg) entstanden sind; wundervoll, gewiß — aber nicht für Leute, die
wenn nicht in, so doch dicht bei Berlin wohnen und in Berlin ihre täglichen
Geschäfte bequem erledigen wollen. Die Orte an der Görlitzer Bahn sind noch
zu unbedeutend. Tegel und Pankow endlich haben doch nur Pferdebahnver¬
bindung mit Berlin, sodaß die Hauptstadt auch von hier nur mit großem
Zeitverlust zu erreichen ist. Es bleiben also nur die westlichen und südwestlichen
Vororte, ferner Tempelhof und Weißensee. Weißensee ist sehr hübsch und hat
neuerdings einen großen Aufschwung genommen, unter anderm auch dadurch,
daß der bekannte Gastwirt Sternecker den Schauplatz seiner Thätigkeit vou der
„Neuen Welt" in der Hcisenhaide hierher, in das ehemalige Schloß Weißensee,
verlegt hat. Aber bis jetzt hat der Ort doch das Kolonicartige, Unfertige nicht
abzustreifen vermocht, und wir halten es nicht für wahrscheinlich, daß sich viele
Leute ohne bestimmte Veranlassung hier niederlassen werden. Tempelhof emp¬
fiehlt sich vielfach; es ist gleichzeitig Dorf, Villenvorstadt und Ausflugsziel für
die Berliner, ist hübsch gelegen, sogar nicht ohne einen gewissen romantischen
Reiz, und mit der Hauptstadt so bequem wie möglich verbunden. Auch beginnen
schon die benachbarten Dörfer an den Vorteilen dieser Lage teilzunehmen. Aber
für Ausflüge nach Potsdam und dem Grünewald liegt Tempelhof nicht hervor¬
ragend günstig, und die Nähe des Exerzierplatzes hat doch neben manchen
Annehmlichkeiten auch ihre Schattenseiten. Schöneberg ist ohne Zweifel der
günstigste aller Vororte; dafür ist es eigentlich auch schon kein solcher mehr,
sondern muß (auch was die Preise betrifft) als Teil von Berlin betrachtet
werden. Der Erwerb eines eignen Grundstückes ist hier weniger möglich als
irgendwo, da die „Millivnenbauern" in der denkbar echtesten Mischung von
Bauernschlauheit und Baucrnhartköpfigkeit an den fabelhaftesten Preisen fest¬
halten, in der Überzeugung, daß man ihnen dieselben früher oder später doch
bewilligen müsse. Dies ist auch der Grund, weshalb die Chausseestrecke von
hier bis Friedenau für die Bauthätigkeit noch fast unberührt ist. Friedenau,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197160"/>
          <fw type="header" place="top"> Berlin, wie es wächst und verschlingt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1391" prev="#ID_1390" next="#ID_1392"> Lichterfelde; im Westen Charlottenburg &#x2014; denn so despektirlich es manchem<lb/>
Charlottenburger vorkommen mag, seine Stadt einfach als Vorort von Berlin<lb/>
aufgefaßt zu sehen, so ist es doch im gründe nichts andres &#x2014; und Westend.<lb/>
Von diesen ist Rixdorf auszuscheiden, weil es doch mehr Arbeiterquartier ist.<lb/>
Ähnliches gilt von Stralau und Rummelsburg. Friedrichshagen und Erkner<lb/>
sind auszuscheiden, weil sie (aller bequemen Eisenbahnverbindungen unerachtet)<lb/>
doch zu weit entlegen sind; für Sommerfrischler und für Pensionäre, die ge¬<lb/>
legentlich auch einmal in Berlin einen raschen Besuch abstatten wollen, mögen<lb/>
sie reizend sein, wie denn ohne Zweifel die landschaftliche Lage eine ganz aller¬<lb/>
liebste ist, aber für regelmäßigen, täglichen Verkehr mit Berlin ist doch eine<lb/>
stundenlange Eisenbahnfahrt zu viel. Aus demselben Grunde müssen auch die<lb/>
so vornehmen wie schönen Villenquartiere von der Betrachtung ausgeschlossen<lb/>
werden, welche südwestlich am Wannsee und noch weiterhin am Griebnitzsee (Neu-<lb/>
Babelsberg) entstanden sind; wundervoll, gewiß &#x2014; aber nicht für Leute, die<lb/>
wenn nicht in, so doch dicht bei Berlin wohnen und in Berlin ihre täglichen<lb/>
Geschäfte bequem erledigen wollen. Die Orte an der Görlitzer Bahn sind noch<lb/>
zu unbedeutend. Tegel und Pankow endlich haben doch nur Pferdebahnver¬<lb/>
bindung mit Berlin, sodaß die Hauptstadt auch von hier nur mit großem<lb/>
Zeitverlust zu erreichen ist. Es bleiben also nur die westlichen und südwestlichen<lb/>
Vororte, ferner Tempelhof und Weißensee. Weißensee ist sehr hübsch und hat<lb/>
neuerdings einen großen Aufschwung genommen, unter anderm auch dadurch,<lb/>
daß der bekannte Gastwirt Sternecker den Schauplatz seiner Thätigkeit vou der<lb/>
&#x201E;Neuen Welt" in der Hcisenhaide hierher, in das ehemalige Schloß Weißensee,<lb/>
verlegt hat. Aber bis jetzt hat der Ort doch das Kolonicartige, Unfertige nicht<lb/>
abzustreifen vermocht, und wir halten es nicht für wahrscheinlich, daß sich viele<lb/>
Leute ohne bestimmte Veranlassung hier niederlassen werden. Tempelhof emp¬<lb/>
fiehlt sich vielfach; es ist gleichzeitig Dorf, Villenvorstadt und Ausflugsziel für<lb/>
die Berliner, ist hübsch gelegen, sogar nicht ohne einen gewissen romantischen<lb/>
Reiz, und mit der Hauptstadt so bequem wie möglich verbunden. Auch beginnen<lb/>
schon die benachbarten Dörfer an den Vorteilen dieser Lage teilzunehmen. Aber<lb/>
für Ausflüge nach Potsdam und dem Grünewald liegt Tempelhof nicht hervor¬<lb/>
ragend günstig, und die Nähe des Exerzierplatzes hat doch neben manchen<lb/>
Annehmlichkeiten auch ihre Schattenseiten. Schöneberg ist ohne Zweifel der<lb/>
günstigste aller Vororte; dafür ist es eigentlich auch schon kein solcher mehr,<lb/>
sondern muß (auch was die Preise betrifft) als Teil von Berlin betrachtet<lb/>
werden. Der Erwerb eines eignen Grundstückes ist hier weniger möglich als<lb/>
irgendwo, da die &#x201E;Millivnenbauern" in der denkbar echtesten Mischung von<lb/>
Bauernschlauheit und Baucrnhartköpfigkeit an den fabelhaftesten Preisen fest¬<lb/>
halten, in der Überzeugung, daß man ihnen dieselben früher oder später doch<lb/>
bewilligen müsse. Dies ist auch der Grund, weshalb die Chausseestrecke von<lb/>
hier bis Friedenau für die Bauthätigkeit noch fast unberührt ist. Friedenau,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Berlin, wie es wächst und verschlingt. Lichterfelde; im Westen Charlottenburg — denn so despektirlich es manchem Charlottenburger vorkommen mag, seine Stadt einfach als Vorort von Berlin aufgefaßt zu sehen, so ist es doch im gründe nichts andres — und Westend. Von diesen ist Rixdorf auszuscheiden, weil es doch mehr Arbeiterquartier ist. Ähnliches gilt von Stralau und Rummelsburg. Friedrichshagen und Erkner sind auszuscheiden, weil sie (aller bequemen Eisenbahnverbindungen unerachtet) doch zu weit entlegen sind; für Sommerfrischler und für Pensionäre, die ge¬ legentlich auch einmal in Berlin einen raschen Besuch abstatten wollen, mögen sie reizend sein, wie denn ohne Zweifel die landschaftliche Lage eine ganz aller¬ liebste ist, aber für regelmäßigen, täglichen Verkehr mit Berlin ist doch eine stundenlange Eisenbahnfahrt zu viel. Aus demselben Grunde müssen auch die so vornehmen wie schönen Villenquartiere von der Betrachtung ausgeschlossen werden, welche südwestlich am Wannsee und noch weiterhin am Griebnitzsee (Neu- Babelsberg) entstanden sind; wundervoll, gewiß — aber nicht für Leute, die wenn nicht in, so doch dicht bei Berlin wohnen und in Berlin ihre täglichen Geschäfte bequem erledigen wollen. Die Orte an der Görlitzer Bahn sind noch zu unbedeutend. Tegel und Pankow endlich haben doch nur Pferdebahnver¬ bindung mit Berlin, sodaß die Hauptstadt auch von hier nur mit großem Zeitverlust zu erreichen ist. Es bleiben also nur die westlichen und südwestlichen Vororte, ferner Tempelhof und Weißensee. Weißensee ist sehr hübsch und hat neuerdings einen großen Aufschwung genommen, unter anderm auch dadurch, daß der bekannte Gastwirt Sternecker den Schauplatz seiner Thätigkeit vou der „Neuen Welt" in der Hcisenhaide hierher, in das ehemalige Schloß Weißensee, verlegt hat. Aber bis jetzt hat der Ort doch das Kolonicartige, Unfertige nicht abzustreifen vermocht, und wir halten es nicht für wahrscheinlich, daß sich viele Leute ohne bestimmte Veranlassung hier niederlassen werden. Tempelhof emp¬ fiehlt sich vielfach; es ist gleichzeitig Dorf, Villenvorstadt und Ausflugsziel für die Berliner, ist hübsch gelegen, sogar nicht ohne einen gewissen romantischen Reiz, und mit der Hauptstadt so bequem wie möglich verbunden. Auch beginnen schon die benachbarten Dörfer an den Vorteilen dieser Lage teilzunehmen. Aber für Ausflüge nach Potsdam und dem Grünewald liegt Tempelhof nicht hervor¬ ragend günstig, und die Nähe des Exerzierplatzes hat doch neben manchen Annehmlichkeiten auch ihre Schattenseiten. Schöneberg ist ohne Zweifel der günstigste aller Vororte; dafür ist es eigentlich auch schon kein solcher mehr, sondern muß (auch was die Preise betrifft) als Teil von Berlin betrachtet werden. Der Erwerb eines eignen Grundstückes ist hier weniger möglich als irgendwo, da die „Millivnenbauern" in der denkbar echtesten Mischung von Bauernschlauheit und Baucrnhartköpfigkeit an den fabelhaftesten Preisen fest¬ halten, in der Überzeugung, daß man ihnen dieselben früher oder später doch bewilligen müsse. Dies ist auch der Grund, weshalb die Chausseestrecke von hier bis Friedenau für die Bauthätigkeit noch fast unberührt ist. Friedenau,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/426>, abgerufen am 15.01.2025.