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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser'Joch.

veranlaßte das Komitee, ein kostbares Album zusammenzustellen, in welchem nicht
nur die Bilder der Festvorstellung und der Künstler enthalten, sondern auch die
Zeitungsausschnitte gesammelt waren, welche eine Besprechung des Festes gebracht
hatten. Mau hatte natürlich auch bei dieser Gelegenheit Haralds Hilfe nicht
verschmäht, und er wurde genötigt, das Deckelblatt des Albums künstlerisch zu
schmücken. Deshalb mußte er auch ans dein Kellerschen Landgute um dem Tage
gegenwärtig sein, an welchem das Album Vroni von dem Komitee überreicht
wurde. Wie überhaupt in den letzten Wochen, so wußte auch hier Vroni jedem
vertraulichen Gespräche mit dem Künstler aus dem Wege zu gehen; ihr Benehmen
ihm gegenüber war so zurückhaltend, als ob sie sich einer Schuld bewußt wäre.
Nur während der lebhaften Unterhaltung bei Tische wagte sie es, gleichsam seinen
Widerspruch herauszufordern, indem sie ihn laut befragte, ob er "ach dem, was
er von ihr gesehen, nun noch ferner glaube, daß sie ihren Beruf als Künstlerin
verfehlen würde. Der Protest, der von allen Seiten gegen eine so ketzerische
Anschauung laut wurde, überhob Harald der Antwort; er war des Kampfes
müde geworden.




Achtes Kapitel.

Auch für Haralds Kunstentwicklung war das Fest von Bedeutung geworden.
Zu dem Komitee gehörte auch der junge Graf Klodwig von Jsenstein, ein Mann
von reicher künstlerischer Begabung und ausgestattet mit allen Mitteln, um
dieser Begabung auch eine reiche Entfaltung angedeihen zu lassen. Der Graf
hatte sein reiches Erbe erst vor kurzem angetreten nud war einem allen Oheim
in dem Besitze des Stammschlosses nachgefolgt. Letzteres zeigte nur noch in der
äußern Architektur die Kunst der alten Zeit; die Nüchternheit des letzten Jahr¬
hunderts und der geizige Sinn des verstorbenen Besitzers hatten dagegen das
Innere so zu verunstalten gewußt, daß der Graf sofort einen vollständigen innern
Umbau vornahm und dabei plante, denselben mit großen Fresken aus der Geschichte
seines um das Vaterland hochverdienten Geschlechtes auszuschmücken. Gos
Klodwig, ungefähr von demselben Alter wie Harald, hatte den Künstler in dem
Verkehr bei der Ausrüstung des Festes kennen und schätzen gelernt; er besuchte
ihn in Berlin, nahm Einsicht von seinen Skizzen und trug dem Künstler unter
Bedingungen, wie sie nur ein ebenso zcirtsiuuiger wie reicher Meinen stellen konnte,
die Ausführung seines Planes an. Harald sah sich durch dieses großartige
Anerbieten von allen Sorgen um die Zukunft seiner künstlerischen Entfaltung
befreit; er konnte noch im Laufe des Sommers sein Verhältnis zu seinen
Privatschüleru lösen und seine Stellung an den verschiednen Lehranstalten recht¬
zeitig kündigen, sodaß er zu Ende des Sommers wieder ein ganz freier Mann
wurde. Bis dahin benutzte er, was ihm an müßiger Zeit blieb, zu Skizzen und ^
Entwürfen für das Jsensteinschloß, die er dann mit dem Grafen, den er meistens


Auf dem Stilfser'Joch.

veranlaßte das Komitee, ein kostbares Album zusammenzustellen, in welchem nicht
nur die Bilder der Festvorstellung und der Künstler enthalten, sondern auch die
Zeitungsausschnitte gesammelt waren, welche eine Besprechung des Festes gebracht
hatten. Mau hatte natürlich auch bei dieser Gelegenheit Haralds Hilfe nicht
verschmäht, und er wurde genötigt, das Deckelblatt des Albums künstlerisch zu
schmücken. Deshalb mußte er auch ans dein Kellerschen Landgute um dem Tage
gegenwärtig sein, an welchem das Album Vroni von dem Komitee überreicht
wurde. Wie überhaupt in den letzten Wochen, so wußte auch hier Vroni jedem
vertraulichen Gespräche mit dem Künstler aus dem Wege zu gehen; ihr Benehmen
ihm gegenüber war so zurückhaltend, als ob sie sich einer Schuld bewußt wäre.
Nur während der lebhaften Unterhaltung bei Tische wagte sie es, gleichsam seinen
Widerspruch herauszufordern, indem sie ihn laut befragte, ob er «ach dem, was
er von ihr gesehen, nun noch ferner glaube, daß sie ihren Beruf als Künstlerin
verfehlen würde. Der Protest, der von allen Seiten gegen eine so ketzerische
Anschauung laut wurde, überhob Harald der Antwort; er war des Kampfes
müde geworden.




Achtes Kapitel.

Auch für Haralds Kunstentwicklung war das Fest von Bedeutung geworden.
Zu dem Komitee gehörte auch der junge Graf Klodwig von Jsenstein, ein Mann
von reicher künstlerischer Begabung und ausgestattet mit allen Mitteln, um
dieser Begabung auch eine reiche Entfaltung angedeihen zu lassen. Der Graf
hatte sein reiches Erbe erst vor kurzem angetreten nud war einem allen Oheim
in dem Besitze des Stammschlosses nachgefolgt. Letzteres zeigte nur noch in der
äußern Architektur die Kunst der alten Zeit; die Nüchternheit des letzten Jahr¬
hunderts und der geizige Sinn des verstorbenen Besitzers hatten dagegen das
Innere so zu verunstalten gewußt, daß der Graf sofort einen vollständigen innern
Umbau vornahm und dabei plante, denselben mit großen Fresken aus der Geschichte
seines um das Vaterland hochverdienten Geschlechtes auszuschmücken. Gos
Klodwig, ungefähr von demselben Alter wie Harald, hatte den Künstler in dem
Verkehr bei der Ausrüstung des Festes kennen und schätzen gelernt; er besuchte
ihn in Berlin, nahm Einsicht von seinen Skizzen und trug dem Künstler unter
Bedingungen, wie sie nur ein ebenso zcirtsiuuiger wie reicher Meinen stellen konnte,
die Ausführung seines Planes an. Harald sah sich durch dieses großartige
Anerbieten von allen Sorgen um die Zukunft seiner künstlerischen Entfaltung
befreit; er konnte noch im Laufe des Sommers sein Verhältnis zu seinen
Privatschüleru lösen und seine Stellung an den verschiednen Lehranstalten recht¬
zeitig kündigen, sodaß er zu Ende des Sommers wieder ein ganz freier Mann
wurde. Bis dahin benutzte er, was ihm an müßiger Zeit blieb, zu Skizzen und ^
Entwürfen für das Jsensteinschloß, die er dann mit dem Grafen, den er meistens


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[0362] Auf dem Stilfser'Joch. veranlaßte das Komitee, ein kostbares Album zusammenzustellen, in welchem nicht nur die Bilder der Festvorstellung und der Künstler enthalten, sondern auch die Zeitungsausschnitte gesammelt waren, welche eine Besprechung des Festes gebracht hatten. Mau hatte natürlich auch bei dieser Gelegenheit Haralds Hilfe nicht verschmäht, und er wurde genötigt, das Deckelblatt des Albums künstlerisch zu schmücken. Deshalb mußte er auch ans dein Kellerschen Landgute um dem Tage gegenwärtig sein, an welchem das Album Vroni von dem Komitee überreicht wurde. Wie überhaupt in den letzten Wochen, so wußte auch hier Vroni jedem vertraulichen Gespräche mit dem Künstler aus dem Wege zu gehen; ihr Benehmen ihm gegenüber war so zurückhaltend, als ob sie sich einer Schuld bewußt wäre. Nur während der lebhaften Unterhaltung bei Tische wagte sie es, gleichsam seinen Widerspruch herauszufordern, indem sie ihn laut befragte, ob er «ach dem, was er von ihr gesehen, nun noch ferner glaube, daß sie ihren Beruf als Künstlerin verfehlen würde. Der Protest, der von allen Seiten gegen eine so ketzerische Anschauung laut wurde, überhob Harald der Antwort; er war des Kampfes müde geworden. Achtes Kapitel. Auch für Haralds Kunstentwicklung war das Fest von Bedeutung geworden. Zu dem Komitee gehörte auch der junge Graf Klodwig von Jsenstein, ein Mann von reicher künstlerischer Begabung und ausgestattet mit allen Mitteln, um dieser Begabung auch eine reiche Entfaltung angedeihen zu lassen. Der Graf hatte sein reiches Erbe erst vor kurzem angetreten nud war einem allen Oheim in dem Besitze des Stammschlosses nachgefolgt. Letzteres zeigte nur noch in der äußern Architektur die Kunst der alten Zeit; die Nüchternheit des letzten Jahr¬ hunderts und der geizige Sinn des verstorbenen Besitzers hatten dagegen das Innere so zu verunstalten gewußt, daß der Graf sofort einen vollständigen innern Umbau vornahm und dabei plante, denselben mit großen Fresken aus der Geschichte seines um das Vaterland hochverdienten Geschlechtes auszuschmücken. Gos Klodwig, ungefähr von demselben Alter wie Harald, hatte den Künstler in dem Verkehr bei der Ausrüstung des Festes kennen und schätzen gelernt; er besuchte ihn in Berlin, nahm Einsicht von seinen Skizzen und trug dem Künstler unter Bedingungen, wie sie nur ein ebenso zcirtsiuuiger wie reicher Meinen stellen konnte, die Ausführung seines Planes an. Harald sah sich durch dieses großartige Anerbieten von allen Sorgen um die Zukunft seiner künstlerischen Entfaltung befreit; er konnte noch im Laufe des Sommers sein Verhältnis zu seinen Privatschüleru lösen und seine Stellung an den verschiednen Lehranstalten recht¬ zeitig kündigen, sodaß er zu Ende des Sommers wieder ein ganz freier Mann wurde. Bis dahin benutzte er, was ihm an müßiger Zeit blieb, zu Skizzen und ^ Entwürfen für das Jsensteinschloß, die er dann mit dem Grafen, den er meistens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/362>, abgerufen am 15.01.2025.