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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Malerische in der Plastik.

borgt, sind ihr alle diejenigen Motive verschlossen, bei welchen der ästhetische
Reiz in der durch Reflex und Transparenz bedingten eigenartigen Lichtwirkung
besteht. Hierher gehört z. B. der malerische Kontrast in der Wirkung der
Oberflächentextur der verschiednen Stoffe auf das Auge: das schimmern des
Goldes, das Blitzen der Juwelen, der spezifische Glanzeffekt der verschieden¬
artigen Gewandstvffe, desgleichen der nackten Haut, das Licht des Augensternes,
der Schmelz der Blume u. s. w., vor allem aber die Gesamtheit der atmo¬
sphärischen Wirkungen des Lichtes: das wechselvoll c Spiel zwischen Licht und Luft,
zwischen Licht und Wasser, die Luftperspektive der Landschaften, das V1g,ir-0dsour
bei Jimenräumen, allgemein: das ftimmunggebcnde Element der Szenerie."*)

Ist diese Grenzbeftimmnng in jeder Beziehung ganz zutreffend? Ist mit
den Mitteln der Plastik, und ohne denselben Gewalt anzuthun, keiner jener
"ästhetischen Reize," wenn anch nur andeutungsweise, wiederzugeben? Die
Plastik vermag ja doch die Wirkungen des Lichtes, obschon sie dasselbe von
außen entlehnt, bis zu einem gewissen Grade zu bestimmen. Im Gegensatz zu jener
Behauptung Leonardos, daß der Bildhauer bezüglich des Lichtes vou der Natur
völlig abhängig sei und sich von ihr müsse helfen lassen, kann man sagen, daß
es bis zu einem gewissen Grade in der Gewalt des Bildhauers liege, durch den
Charakter der Formgebung, dnrch größere oder geringere Vertiefung, Nundung
oder Schärfung der Form und auch durch die Art, wie er die Oberfläche des
plastischen Materials bearbeitet, das auffallende Licht zu bestimmten Wirkungen
zu nötigen. Bekanntlich ist der Marmor dasjenige Material, dessen natürliche
Beschaffenheit eine derartige Behandlung der Oberfläche am meisten begünstigt.
An ihm lassen sich durch ein mannichfach nücmcirtes Glätten und Rauhmachen
der Oberfläche^ verschiedenartige Lichtreflexe bewirken, ähnlich denen, durch welche
sich dem Auge die verschiedenartige Oberflächentextur der nachzubildenden Stoffe
zu empfinden giebt. Den Eindruck der lebendig und weich schimmernden Textur
der Haut kann eine solche Behandlung der Marmoroberfläche, natürlich im
Zusammenhange mit einer entsprechend charakteristischen Behandlung der Form,
ebenso wirksam hervorrufen, wie den Eindruck der stofflichen Eigentümlichkeit
verschiedenartiger Gewänder, bei denen zugleich mit dem Oberflächencharakter,
und gleichfalls mit Rücksicht auf gewisse Lichteffekte, besonders die Art der Falten-
bildung in Betracht kommt, und mit Recht ist an ausgezeichneten Marmorwerken der
griechischen Kunst die meisterhafte Feinheit einer solchen Behandlung, die kunstvolle
Kontrastirung in der Behandlung des Nackten und der Gewänder besonders



*) Vortrefflich ist, was in der Hamelschen Abhandlung im Anschluß an die obigen Sätze
gegen die Ansicht .bemerkt wird, daß die Darstellung alles Bewegten und Schwebenden,
weil wesentlich malerisch, der Natur der Plastik prinzipiell zuwider sei. In dieser Ansicht ist
aus einer einseitigen Beobachtung ein allgemeines Prinzip abstrahirt. Ich beschränke mich
darauf, auf die treffenden (in den Preuß. Jahrb. durch einen Zusatz erweiterten) Bemerkungen
Haucks hier nur hinzuweisen.
Das Malerische in der Plastik.

borgt, sind ihr alle diejenigen Motive verschlossen, bei welchen der ästhetische
Reiz in der durch Reflex und Transparenz bedingten eigenartigen Lichtwirkung
besteht. Hierher gehört z. B. der malerische Kontrast in der Wirkung der
Oberflächentextur der verschiednen Stoffe auf das Auge: das schimmern des
Goldes, das Blitzen der Juwelen, der spezifische Glanzeffekt der verschieden¬
artigen Gewandstvffe, desgleichen der nackten Haut, das Licht des Augensternes,
der Schmelz der Blume u. s. w., vor allem aber die Gesamtheit der atmo¬
sphärischen Wirkungen des Lichtes: das wechselvoll c Spiel zwischen Licht und Luft,
zwischen Licht und Wasser, die Luftperspektive der Landschaften, das V1g,ir-0dsour
bei Jimenräumen, allgemein: das ftimmunggebcnde Element der Szenerie."*)

Ist diese Grenzbeftimmnng in jeder Beziehung ganz zutreffend? Ist mit
den Mitteln der Plastik, und ohne denselben Gewalt anzuthun, keiner jener
„ästhetischen Reize," wenn anch nur andeutungsweise, wiederzugeben? Die
Plastik vermag ja doch die Wirkungen des Lichtes, obschon sie dasselbe von
außen entlehnt, bis zu einem gewissen Grade zu bestimmen. Im Gegensatz zu jener
Behauptung Leonardos, daß der Bildhauer bezüglich des Lichtes vou der Natur
völlig abhängig sei und sich von ihr müsse helfen lassen, kann man sagen, daß
es bis zu einem gewissen Grade in der Gewalt des Bildhauers liege, durch den
Charakter der Formgebung, dnrch größere oder geringere Vertiefung, Nundung
oder Schärfung der Form und auch durch die Art, wie er die Oberfläche des
plastischen Materials bearbeitet, das auffallende Licht zu bestimmten Wirkungen
zu nötigen. Bekanntlich ist der Marmor dasjenige Material, dessen natürliche
Beschaffenheit eine derartige Behandlung der Oberfläche am meisten begünstigt.
An ihm lassen sich durch ein mannichfach nücmcirtes Glätten und Rauhmachen
der Oberfläche^ verschiedenartige Lichtreflexe bewirken, ähnlich denen, durch welche
sich dem Auge die verschiedenartige Oberflächentextur der nachzubildenden Stoffe
zu empfinden giebt. Den Eindruck der lebendig und weich schimmernden Textur
der Haut kann eine solche Behandlung der Marmoroberfläche, natürlich im
Zusammenhange mit einer entsprechend charakteristischen Behandlung der Form,
ebenso wirksam hervorrufen, wie den Eindruck der stofflichen Eigentümlichkeit
verschiedenartiger Gewänder, bei denen zugleich mit dem Oberflächencharakter,
und gleichfalls mit Rücksicht auf gewisse Lichteffekte, besonders die Art der Falten-
bildung in Betracht kommt, und mit Recht ist an ausgezeichneten Marmorwerken der
griechischen Kunst die meisterhafte Feinheit einer solchen Behandlung, die kunstvolle
Kontrastirung in der Behandlung des Nackten und der Gewänder besonders



*) Vortrefflich ist, was in der Hamelschen Abhandlung im Anschluß an die obigen Sätze
gegen die Ansicht .bemerkt wird, daß die Darstellung alles Bewegten und Schwebenden,
weil wesentlich malerisch, der Natur der Plastik prinzipiell zuwider sei. In dieser Ansicht ist
aus einer einseitigen Beobachtung ein allgemeines Prinzip abstrahirt. Ich beschränke mich
darauf, auf die treffenden (in den Preuß. Jahrb. durch einen Zusatz erweiterten) Bemerkungen
Haucks hier nur hinzuweisen.
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[0340] Das Malerische in der Plastik. borgt, sind ihr alle diejenigen Motive verschlossen, bei welchen der ästhetische Reiz in der durch Reflex und Transparenz bedingten eigenartigen Lichtwirkung besteht. Hierher gehört z. B. der malerische Kontrast in der Wirkung der Oberflächentextur der verschiednen Stoffe auf das Auge: das schimmern des Goldes, das Blitzen der Juwelen, der spezifische Glanzeffekt der verschieden¬ artigen Gewandstvffe, desgleichen der nackten Haut, das Licht des Augensternes, der Schmelz der Blume u. s. w., vor allem aber die Gesamtheit der atmo¬ sphärischen Wirkungen des Lichtes: das wechselvoll c Spiel zwischen Licht und Luft, zwischen Licht und Wasser, die Luftperspektive der Landschaften, das V1g,ir-0dsour bei Jimenräumen, allgemein: das ftimmunggebcnde Element der Szenerie."*) Ist diese Grenzbeftimmnng in jeder Beziehung ganz zutreffend? Ist mit den Mitteln der Plastik, und ohne denselben Gewalt anzuthun, keiner jener „ästhetischen Reize," wenn anch nur andeutungsweise, wiederzugeben? Die Plastik vermag ja doch die Wirkungen des Lichtes, obschon sie dasselbe von außen entlehnt, bis zu einem gewissen Grade zu bestimmen. Im Gegensatz zu jener Behauptung Leonardos, daß der Bildhauer bezüglich des Lichtes vou der Natur völlig abhängig sei und sich von ihr müsse helfen lassen, kann man sagen, daß es bis zu einem gewissen Grade in der Gewalt des Bildhauers liege, durch den Charakter der Formgebung, dnrch größere oder geringere Vertiefung, Nundung oder Schärfung der Form und auch durch die Art, wie er die Oberfläche des plastischen Materials bearbeitet, das auffallende Licht zu bestimmten Wirkungen zu nötigen. Bekanntlich ist der Marmor dasjenige Material, dessen natürliche Beschaffenheit eine derartige Behandlung der Oberfläche am meisten begünstigt. An ihm lassen sich durch ein mannichfach nücmcirtes Glätten und Rauhmachen der Oberfläche^ verschiedenartige Lichtreflexe bewirken, ähnlich denen, durch welche sich dem Auge die verschiedenartige Oberflächentextur der nachzubildenden Stoffe zu empfinden giebt. Den Eindruck der lebendig und weich schimmernden Textur der Haut kann eine solche Behandlung der Marmoroberfläche, natürlich im Zusammenhange mit einer entsprechend charakteristischen Behandlung der Form, ebenso wirksam hervorrufen, wie den Eindruck der stofflichen Eigentümlichkeit verschiedenartiger Gewänder, bei denen zugleich mit dem Oberflächencharakter, und gleichfalls mit Rücksicht auf gewisse Lichteffekte, besonders die Art der Falten- bildung in Betracht kommt, und mit Recht ist an ausgezeichneten Marmorwerken der griechischen Kunst die meisterhafte Feinheit einer solchen Behandlung, die kunstvolle Kontrastirung in der Behandlung des Nackten und der Gewänder besonders *) Vortrefflich ist, was in der Hamelschen Abhandlung im Anschluß an die obigen Sätze gegen die Ansicht .bemerkt wird, daß die Darstellung alles Bewegten und Schwebenden, weil wesentlich malerisch, der Natur der Plastik prinzipiell zuwider sei. In dieser Ansicht ist aus einer einseitigen Beobachtung ein allgemeines Prinzip abstrahirt. Ich beschränke mich darauf, auf die treffenden (in den Preuß. Jahrb. durch einen Zusatz erweiterten) Bemerkungen Haucks hier nur hinzuweisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/340>, abgerufen am 15.01.2025.