Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Literatur. nimmt kein Wunder. Der Schlnßtcil beschäftigt sich mit den philosophischen An¬ Z!ur Sittengeschichte Frankreichs. Bilder und Historien von Ferdinand Lotheiszen. Leipzig, Berus, Schlicke, 1885. Die Aufsätze, welche der durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der fran¬ Die Kosaken. Kaukasische Novelle von Graf Leo Tolstoi. Aus dem Russischen von G, Keuchet Berlin, Deubncr, 1885. Graf Leo Tolstoi hat sich mit seinem Roman "Anna Karcnina," der allein Literatur. nimmt kein Wunder. Der Schlnßtcil beschäftigt sich mit den philosophischen An¬ Z!ur Sittengeschichte Frankreichs. Bilder und Historien von Ferdinand Lotheiszen. Leipzig, Berus, Schlicke, 1885. Die Aufsätze, welche der durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der fran¬ Die Kosaken. Kaukasische Novelle von Graf Leo Tolstoi. Aus dem Russischen von G, Keuchet Berlin, Deubncr, 1885. Graf Leo Tolstoi hat sich mit seinem Roman „Anna Karcnina," der allein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197053"/> <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1029" prev="#ID_1028"> nimmt kein Wunder. Der Schlnßtcil beschäftigt sich mit den philosophischen An¬<lb/> sichten Friedrichs und bringt nebenbei ausführliche Mitteilungen über seine Bibliothek.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Z!ur Sittengeschichte Frankreichs. Bilder und Historien von Ferdinand Lotheiszen.<lb/> Leipzig, Berus, Schlicke, 1885.</head><lb/> <p xml:id="ID_1030"> Die Aufsätze, welche der durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der fran¬<lb/> zösischen Literatur wohlbekannte Verfasser hier bietet, nehmen dnrch mannichfnche An¬<lb/> regung das lebhafte Interesse des Lesers in Anspruch; sie erscheinen jetzt, nachdem<lb/> sie früher in verschiednen Zeitschriften veröffentlicht worden sind, in erweiterter<lb/> Form in diesem Baude vereinigt. Es sind nicht gewaltige Erscheinungen nus der<lb/> Geschichte herausgegriffen, sondern, wie der Verfasser selbst andeutet, Szenen aus<lb/> dem Privatleben früherer Geschlechter, welche manchen interessanten Beitrag zur<lb/> Kulturgeschichte liefern. Eine Reihe frisch und anziehend gemalter Porträts wird<lb/> uns vorgeführt, geistvolle, knapp zusammengefaßte Charakteristiken, wie die der Frau<lb/> von Sevigne, des Advokaten und Chronisten Barbier oder die der Grignvus und<lb/> Mirabeaus, in welchen Lvtheißen mit sicherem Blick das Eigenartige jeder Persön¬<lb/> lichkeit zu erfassen und herauszuheben verstanden hat. Daran schließen sich treff¬<lb/> liche Studien zur Geschichte des französischen Theaters, insbesondre Schilderungen<lb/> der Dilettautentomödie während des achtzehnten Jahrhunderts, wo die Lust am<lb/> Theaterspielen die aristokratischen und Hvfkreise Frankreichs plötzlich mit einer Leiden¬<lb/> schaft erfaßt hatte, welche uus heute kaum verständlich ist. Die kleine Sammlung<lb/> wird sicherlich den Beifall finden, deu sie in vollem Maße verdient.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Die Kosaken. Kaukasische Novelle von Graf Leo Tolstoi. Aus dem Russischen von<lb/> G, Keuchet Berlin, Deubncr, 1885.</head><lb/> <p xml:id="ID_1031" next="#ID_1032"> Graf Leo Tolstoi hat sich mit seinem Roman „Anna Karcnina," der allein<lb/> bisher von seinen Werken in deutscher Uebersetzung vorliegt, soviel Sympathie bei<lb/> uns erworben, daß man mit Spannung eine neue Uebertrnguug seiner Dichtungen<lb/> entgegeuuimmt. „Die Kosaken" sind in der That ein neuer wertvoller Beitrag<lb/> zur Kenntnis dieses ausgezeichneten Dichters. Auch hier die größte Anschaulichkeit<lb/> in der Schilderung und eine bewunderungswürdige Plastik in der Zeichnung von<lb/> Charakteren; auch hier das keusche, liebenswürdige Gemüt des Dichters, das fern<lb/> von allem Pessimismus, in ungebrochener Gesundheit und Kraft die Welt spiegelt;<lb/> mich hier endlich der Tolstoi eigentümlichste Zug der Flucht vor der verlogenen,<lb/> in konventionellen Formen erstarrten, kraft- und marklosen Gesellschaft Petersburgs<lb/> und Moskaus zum Preise der Natur und der in patriarchalisch einfachen Verhält¬<lb/> nissen lebenden Menschheit. So sehr dies an Rousseau gemahnt, so verschieden<lb/> ist Tolstois Naturfreude von jener des vorigen Jahrhunderts sowohl als der<lb/> seiner Zeitgenossen, etwa eiues Turgenjew. Denn Tolstoi wird niemals sentimental,<lb/> er idealisirt nicht die ursprünglichen Zustände, er erfaßt sie mit realistischer Treue<lb/> in all ihrer Wildheit, Rücksichtslosigkeit, ja Rohheit. Und ganz im Gegensatz zu<lb/> Turgenjew, dem die Natur als eine allgewaltige, blind wirkende Göttin erscheint,<lb/> die sich nie um das Glück des Menschen kümmert, sondern recht schopeuhauerisch<lb/> ihren eignen Willen verfolgt, und die deu Dichter daher immer schwermütig<lb/> stimmte, ganz im Gegenteil findet sich Tolstoi von der Schönheit einer Landschaft<lb/> unmittelbar gehoben, im Lebensgefühl wahrhaft gesteigert. Denkt man an die tief¬<lb/> traurigen Steppenbilder, welche Turgenjew erschütternd zu entwerfen wußte, so hat<lb/> man das denkbar weiteste Extrem in der Begeisterung, mit welcher „die Berge!<lb/> die Berge!" in dieser kaukasischen Novelle Tolstois begrüßt werden. Die Natur<lb/> und die Menschen des schmalen Uferlandes am Terek find die eigentlichen Helden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
Literatur.
nimmt kein Wunder. Der Schlnßtcil beschäftigt sich mit den philosophischen An¬
sichten Friedrichs und bringt nebenbei ausführliche Mitteilungen über seine Bibliothek.
Z!ur Sittengeschichte Frankreichs. Bilder und Historien von Ferdinand Lotheiszen.
Leipzig, Berus, Schlicke, 1885.
Die Aufsätze, welche der durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der fran¬
zösischen Literatur wohlbekannte Verfasser hier bietet, nehmen dnrch mannichfnche An¬
regung das lebhafte Interesse des Lesers in Anspruch; sie erscheinen jetzt, nachdem
sie früher in verschiednen Zeitschriften veröffentlicht worden sind, in erweiterter
Form in diesem Baude vereinigt. Es sind nicht gewaltige Erscheinungen nus der
Geschichte herausgegriffen, sondern, wie der Verfasser selbst andeutet, Szenen aus
dem Privatleben früherer Geschlechter, welche manchen interessanten Beitrag zur
Kulturgeschichte liefern. Eine Reihe frisch und anziehend gemalter Porträts wird
uns vorgeführt, geistvolle, knapp zusammengefaßte Charakteristiken, wie die der Frau
von Sevigne, des Advokaten und Chronisten Barbier oder die der Grignvus und
Mirabeaus, in welchen Lvtheißen mit sicherem Blick das Eigenartige jeder Persön¬
lichkeit zu erfassen und herauszuheben verstanden hat. Daran schließen sich treff¬
liche Studien zur Geschichte des französischen Theaters, insbesondre Schilderungen
der Dilettautentomödie während des achtzehnten Jahrhunderts, wo die Lust am
Theaterspielen die aristokratischen und Hvfkreise Frankreichs plötzlich mit einer Leiden¬
schaft erfaßt hatte, welche uus heute kaum verständlich ist. Die kleine Sammlung
wird sicherlich den Beifall finden, deu sie in vollem Maße verdient.
Die Kosaken. Kaukasische Novelle von Graf Leo Tolstoi. Aus dem Russischen von
G, Keuchet Berlin, Deubncr, 1885.
Graf Leo Tolstoi hat sich mit seinem Roman „Anna Karcnina," der allein
bisher von seinen Werken in deutscher Uebersetzung vorliegt, soviel Sympathie bei
uns erworben, daß man mit Spannung eine neue Uebertrnguug seiner Dichtungen
entgegeuuimmt. „Die Kosaken" sind in der That ein neuer wertvoller Beitrag
zur Kenntnis dieses ausgezeichneten Dichters. Auch hier die größte Anschaulichkeit
in der Schilderung und eine bewunderungswürdige Plastik in der Zeichnung von
Charakteren; auch hier das keusche, liebenswürdige Gemüt des Dichters, das fern
von allem Pessimismus, in ungebrochener Gesundheit und Kraft die Welt spiegelt;
mich hier endlich der Tolstoi eigentümlichste Zug der Flucht vor der verlogenen,
in konventionellen Formen erstarrten, kraft- und marklosen Gesellschaft Petersburgs
und Moskaus zum Preise der Natur und der in patriarchalisch einfachen Verhält¬
nissen lebenden Menschheit. So sehr dies an Rousseau gemahnt, so verschieden
ist Tolstois Naturfreude von jener des vorigen Jahrhunderts sowohl als der
seiner Zeitgenossen, etwa eiues Turgenjew. Denn Tolstoi wird niemals sentimental,
er idealisirt nicht die ursprünglichen Zustände, er erfaßt sie mit realistischer Treue
in all ihrer Wildheit, Rücksichtslosigkeit, ja Rohheit. Und ganz im Gegensatz zu
Turgenjew, dem die Natur als eine allgewaltige, blind wirkende Göttin erscheint,
die sich nie um das Glück des Menschen kümmert, sondern recht schopeuhauerisch
ihren eignen Willen verfolgt, und die deu Dichter daher immer schwermütig
stimmte, ganz im Gegenteil findet sich Tolstoi von der Schönheit einer Landschaft
unmittelbar gehoben, im Lebensgefühl wahrhaft gesteigert. Denkt man an die tief¬
traurigen Steppenbilder, welche Turgenjew erschütternd zu entwerfen wußte, so hat
man das denkbar weiteste Extrem in der Begeisterung, mit welcher „die Berge!
die Berge!" in dieser kaukasischen Novelle Tolstois begrüßt werden. Die Natur
und die Menschen des schmalen Uferlandes am Terek find die eigentlichen Helden
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