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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Feuilleton auf dem Theater.

es, wenn ich einmal hingehe? Was dies "einmal" aber auch hier für Folgen
hat, das bedenkt er nicht.

Was hat dies alles aber mit dem Feuilleton zu thun? hören wir fragen.
Mehr, als ihr glaubt. Wir müssen, um diese Zusammengehörigkeit zu erklären,
wieder auf die bewußten deutschen Schriftsteller zurückgreifen, die im Anfange
des vorigen Jahrzehnts über den Rhein gingen. Diese jungen Leute standen
sämtlich unter dem Banne des Feuilletons, das ihnen von der Heimat her nichts
Fremdes war, das sie aber hier an seiner eigentlichen Geburth- und Vlütestätte
bewundern konnten. Es fehlte ihnen nicht an Witz und Unterhaltungsgabe, auch
nicht an jenem verständigen Spürsinn, der sofort das Unterscheidende, besonders
aber das Zweckmäßige an den Dingen erspäht. Sie hatten es sofort heraus,
was es mit dem französischen Drama auf sich habe, und was in ihm für ihre
lieben Deutschen zu verwenden war. Der Dialog -- das ist es, was uns bis
jetzt gefehlt hat, das ist es, was die deutschen Stücke so plump und langweilig
macht: sie haben keinen Dialog. Und den können wir ihnen geben, das ist es
jn gerade, worin wir exzellircn, den" wie wir uus die Sache vorstellen, ist sie
nichts andres als unsre hochgerühmte Kunst des Feuilletons. Hören wir, wie
sie sich die Sache vorstellten. Der immerhin Bedeutendste unter ihnen, der schon
einmal zitirte Paul Lindau, schildert in seinem Alfred de Musset (S. 215 f.)
"diese Art von Dialog" folgendermaßen: Er giebt "das reizvollste Bild von
dem anmutigen Klatsch in den aristokratischen (und wohl auch andern) Salons."
"Es ist da von allem möglichen die Rede, was die Pariser Gesellschaft interessirt
oder wenigstens was sich als Stoff zu einer graziösen und eleganten Unter¬
haltung darbietet: von dem neuen Tenor, der bei den Italienern aufgetreten
ist, von einer interessanten Fastenpredigt, von neuen Kleider", vou lieben
Nächsten -- mit einem Worte: von allen denkbaren Gegenständen." Es wird
uns ferner gesagt, daß die Unterhaltung "bei dem Geiste der Beteiligten nicht
bei langweiligen und oberflächlichen Stoffen verharrt (!), sondern sich allmählich
vertieft, daß sie sogar (!) psychologische Probleme berührt und an ernsthaften
Konflikten vorüberstreift." Zu Ehren Paul Lindaus sei hier gleich vorweg
bemerkt, daß er bei dieser Art von Dialogstücken nicht stehen geblieben ist, daß
er sich vielleicht nicht zu seinem äußerlichen Vorteil Mühe giebt, sich allmählich
zu vertiefen, daß er sogar psychologische Probleme berührt und an ernsthaften
Konflikten vorüberstreift. Wir wollen ihm sogar zugestehen, daß er diese Art
Dialog vou dein großen szenischen Dialog Anglers und Sardons zu scheiden
wußte. Leider aber kennt er wie das Gros seiner Mit- und nachstrebenden
in seiner Praxis nur jene erste Art und spinnt aus ihr vierccktige Stücke, wozu
die Franzosen sie nnr in den seltensten Fällen für ausreichend halten dürfen.

Denn unsre jungen Feuilletonisten bedachten nicht, daß es mit dieser Kunst
des Dialogs auch im französischen Drama nicht abgethan sei. Es wäre eine
Ungerechtigkeit gegen eine Nation, der Goethe "einen so großen Teil seiner


Das Feuilleton auf dem Theater.

es, wenn ich einmal hingehe? Was dies „einmal" aber auch hier für Folgen
hat, das bedenkt er nicht.

Was hat dies alles aber mit dem Feuilleton zu thun? hören wir fragen.
Mehr, als ihr glaubt. Wir müssen, um diese Zusammengehörigkeit zu erklären,
wieder auf die bewußten deutschen Schriftsteller zurückgreifen, die im Anfange
des vorigen Jahrzehnts über den Rhein gingen. Diese jungen Leute standen
sämtlich unter dem Banne des Feuilletons, das ihnen von der Heimat her nichts
Fremdes war, das sie aber hier an seiner eigentlichen Geburth- und Vlütestätte
bewundern konnten. Es fehlte ihnen nicht an Witz und Unterhaltungsgabe, auch
nicht an jenem verständigen Spürsinn, der sofort das Unterscheidende, besonders
aber das Zweckmäßige an den Dingen erspäht. Sie hatten es sofort heraus,
was es mit dem französischen Drama auf sich habe, und was in ihm für ihre
lieben Deutschen zu verwenden war. Der Dialog — das ist es, was uns bis
jetzt gefehlt hat, das ist es, was die deutschen Stücke so plump und langweilig
macht: sie haben keinen Dialog. Und den können wir ihnen geben, das ist es
jn gerade, worin wir exzellircn, den» wie wir uus die Sache vorstellen, ist sie
nichts andres als unsre hochgerühmte Kunst des Feuilletons. Hören wir, wie
sie sich die Sache vorstellten. Der immerhin Bedeutendste unter ihnen, der schon
einmal zitirte Paul Lindau, schildert in seinem Alfred de Musset (S. 215 f.)
„diese Art von Dialog" folgendermaßen: Er giebt „das reizvollste Bild von
dem anmutigen Klatsch in den aristokratischen (und wohl auch andern) Salons."
„Es ist da von allem möglichen die Rede, was die Pariser Gesellschaft interessirt
oder wenigstens was sich als Stoff zu einer graziösen und eleganten Unter¬
haltung darbietet: von dem neuen Tenor, der bei den Italienern aufgetreten
ist, von einer interessanten Fastenpredigt, von neuen Kleider», vou lieben
Nächsten — mit einem Worte: von allen denkbaren Gegenständen." Es wird
uns ferner gesagt, daß die Unterhaltung „bei dem Geiste der Beteiligten nicht
bei langweiligen und oberflächlichen Stoffen verharrt (!), sondern sich allmählich
vertieft, daß sie sogar (!) psychologische Probleme berührt und an ernsthaften
Konflikten vorüberstreift." Zu Ehren Paul Lindaus sei hier gleich vorweg
bemerkt, daß er bei dieser Art von Dialogstücken nicht stehen geblieben ist, daß
er sich vielleicht nicht zu seinem äußerlichen Vorteil Mühe giebt, sich allmählich
zu vertiefen, daß er sogar psychologische Probleme berührt und an ernsthaften
Konflikten vorüberstreift. Wir wollen ihm sogar zugestehen, daß er diese Art
Dialog vou dein großen szenischen Dialog Anglers und Sardons zu scheiden
wußte. Leider aber kennt er wie das Gros seiner Mit- und nachstrebenden
in seiner Praxis nur jene erste Art und spinnt aus ihr vierccktige Stücke, wozu
die Franzosen sie nnr in den seltensten Fällen für ausreichend halten dürfen.

Denn unsre jungen Feuilletonisten bedachten nicht, daß es mit dieser Kunst
des Dialogs auch im französischen Drama nicht abgethan sei. Es wäre eine
Ungerechtigkeit gegen eine Nation, der Goethe „einen so großen Teil seiner


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[0296] Das Feuilleton auf dem Theater. es, wenn ich einmal hingehe? Was dies „einmal" aber auch hier für Folgen hat, das bedenkt er nicht. Was hat dies alles aber mit dem Feuilleton zu thun? hören wir fragen. Mehr, als ihr glaubt. Wir müssen, um diese Zusammengehörigkeit zu erklären, wieder auf die bewußten deutschen Schriftsteller zurückgreifen, die im Anfange des vorigen Jahrzehnts über den Rhein gingen. Diese jungen Leute standen sämtlich unter dem Banne des Feuilletons, das ihnen von der Heimat her nichts Fremdes war, das sie aber hier an seiner eigentlichen Geburth- und Vlütestätte bewundern konnten. Es fehlte ihnen nicht an Witz und Unterhaltungsgabe, auch nicht an jenem verständigen Spürsinn, der sofort das Unterscheidende, besonders aber das Zweckmäßige an den Dingen erspäht. Sie hatten es sofort heraus, was es mit dem französischen Drama auf sich habe, und was in ihm für ihre lieben Deutschen zu verwenden war. Der Dialog — das ist es, was uns bis jetzt gefehlt hat, das ist es, was die deutschen Stücke so plump und langweilig macht: sie haben keinen Dialog. Und den können wir ihnen geben, das ist es jn gerade, worin wir exzellircn, den» wie wir uus die Sache vorstellen, ist sie nichts andres als unsre hochgerühmte Kunst des Feuilletons. Hören wir, wie sie sich die Sache vorstellten. Der immerhin Bedeutendste unter ihnen, der schon einmal zitirte Paul Lindau, schildert in seinem Alfred de Musset (S. 215 f.) „diese Art von Dialog" folgendermaßen: Er giebt „das reizvollste Bild von dem anmutigen Klatsch in den aristokratischen (und wohl auch andern) Salons." „Es ist da von allem möglichen die Rede, was die Pariser Gesellschaft interessirt oder wenigstens was sich als Stoff zu einer graziösen und eleganten Unter¬ haltung darbietet: von dem neuen Tenor, der bei den Italienern aufgetreten ist, von einer interessanten Fastenpredigt, von neuen Kleider», vou lieben Nächsten — mit einem Worte: von allen denkbaren Gegenständen." Es wird uns ferner gesagt, daß die Unterhaltung „bei dem Geiste der Beteiligten nicht bei langweiligen und oberflächlichen Stoffen verharrt (!), sondern sich allmählich vertieft, daß sie sogar (!) psychologische Probleme berührt und an ernsthaften Konflikten vorüberstreift." Zu Ehren Paul Lindaus sei hier gleich vorweg bemerkt, daß er bei dieser Art von Dialogstücken nicht stehen geblieben ist, daß er sich vielleicht nicht zu seinem äußerlichen Vorteil Mühe giebt, sich allmählich zu vertiefen, daß er sogar psychologische Probleme berührt und an ernsthaften Konflikten vorüberstreift. Wir wollen ihm sogar zugestehen, daß er diese Art Dialog vou dein großen szenischen Dialog Anglers und Sardons zu scheiden wußte. Leider aber kennt er wie das Gros seiner Mit- und nachstrebenden in seiner Praxis nur jene erste Art und spinnt aus ihr vierccktige Stücke, wozu die Franzosen sie nnr in den seltensten Fällen für ausreichend halten dürfen. Denn unsre jungen Feuilletonisten bedachten nicht, daß es mit dieser Kunst des Dialogs auch im französischen Drama nicht abgethan sei. Es wäre eine Ungerechtigkeit gegen eine Nation, der Goethe „einen so großen Teil seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/296>, abgerufen am 15.01.2025.