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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dein Stilfser Joch.

sein Vaterland heruntergezogen habe. Die Herren von der Presse wollten hierauf
eine scharfe Antwort geben, allein Exzellenz Zankabioticic war gewandt genug,
ihnen zuvorzukommen und mit Harald einige Bemerkungen über die neuesten
Ausgrabungen auf der Akropolis auszutauschen, aus welchen dein Künstler
hervorging, daß der Herr Gesandte dieselben nur aus alten Reisefeuilletous
kennen mußte, wiewohl er auch schon in Athen seinen Hof ein Vierteljahr
lang vertreten hatte.

Harald horte bald nur noch zerstreut zu und richtete seine Blicke auf
Vroni, die intimer, als es ihm passend schien, bald mit einem jungen Artillerie¬
offizier, bald mit einem jungen Maler scherzte, der in den Künstlerkreisen wegen
seiner ausschließlich altdeutschen Malweise Holbein der Jüngere hieß. Harald
war froh, bei der fremden Exzellenz von zwei Abgeordneten erlöst zu werden,
die sich beide hier zum erstenmale und wider Vermuten auf einem neutralen
Felde begegneten, während sie sich bisher nur vom Parlamente kannten, in dessen
Arena sie sich nicht selten mit scharfen Worten befehdet hatten. Ihnen gegenüber
wollte Exzellenz Zankabioticic mit der Information über deutsche Zustünde glänzen,
welche er soeben von den Vertretern der Presse geschildert erhalten hatte, aber
er fand auf beiden Seiten zu seinem großen Erstaunen einen sehr entschiednen
Widerspruch. Zuerst von dem sehr liberalen Abgeordneten Kommerzienrat
Stciulein, welcher behauptete, daß jedenfalls die neue Zollpolitik, deren offner
Gegner er sei, eine ehrliche Probe verdiene, daß sich seit Eintritt derselben
immerhin ein Aufschwung in Handel und Verkehr nicht leugnen lasse, und daß
man unbedingt abwarten müsse, ob dieser Aufschwung nur xv3l nov oder xroMr
roe, eingetreten sei. Der andre Abgeordnete, Gutsbesitzer von Spalding, freute sich
dieser Äußerung seines gegnerischen Kollegen, und so vertieften sich diese beiden,
nachdem sich der Gesandte von ihnen fortbegeben hatte, in ein ernstes Gespräch
und fanden allmählich, daß die Gegensätze ihrer Ansichten keineswegs so schroff
seien, als sie bisher angenommen hatten. Ja sie waren zuletzt darüber einig, daß,
wenn nicht in der Presse fortwährend der Unfriede geschürt, jede Blöße des
Gegners schonungslos in die Öffentlichkeit gezogen, jede kleine Thatsache zu
einem Ereignis aufgebauscht würde, ein besseres Verhältnis zwischen den Parteien
und im ganzen Staatslebe" sich ergeben müßte.

Überall in unserm öffentlichen Leben, bemerkte Spalding, verlangt man
ein offenes Auftreten. Wir im Parlament stehen vor dem gesamten Reiche und
vor der ganzen Welt mit offnem Visir da und müssen für unsre Meinungen
und Reden unsre Schläge ebenso empfangen, wie wir sie anstelle"; nur in der
Presse herrscht 1ö lÄnx xrs8t,ig"z as 1'imonMrö. Welch andern Eindruck möchte
wohl ein Artikel machen, der eine kirchliche Einrichtung verspottet, wenn der
Leser zugleich erführe, daß der Verfasser ein abgesetzter Theologe ist, oder wie
würde eine Kritik über eine staatliche Verwaltungsregel beurteilt werden, wenn
es bekannt wäre, daß der Schreiber, selbst einmal im Staatsdienst angestellt,


Auf dein Stilfser Joch.

sein Vaterland heruntergezogen habe. Die Herren von der Presse wollten hierauf
eine scharfe Antwort geben, allein Exzellenz Zankabioticic war gewandt genug,
ihnen zuvorzukommen und mit Harald einige Bemerkungen über die neuesten
Ausgrabungen auf der Akropolis auszutauschen, aus welchen dein Künstler
hervorging, daß der Herr Gesandte dieselben nur aus alten Reisefeuilletous
kennen mußte, wiewohl er auch schon in Athen seinen Hof ein Vierteljahr
lang vertreten hatte.

Harald horte bald nur noch zerstreut zu und richtete seine Blicke auf
Vroni, die intimer, als es ihm passend schien, bald mit einem jungen Artillerie¬
offizier, bald mit einem jungen Maler scherzte, der in den Künstlerkreisen wegen
seiner ausschließlich altdeutschen Malweise Holbein der Jüngere hieß. Harald
war froh, bei der fremden Exzellenz von zwei Abgeordneten erlöst zu werden,
die sich beide hier zum erstenmale und wider Vermuten auf einem neutralen
Felde begegneten, während sie sich bisher nur vom Parlamente kannten, in dessen
Arena sie sich nicht selten mit scharfen Worten befehdet hatten. Ihnen gegenüber
wollte Exzellenz Zankabioticic mit der Information über deutsche Zustünde glänzen,
welche er soeben von den Vertretern der Presse geschildert erhalten hatte, aber
er fand auf beiden Seiten zu seinem großen Erstaunen einen sehr entschiednen
Widerspruch. Zuerst von dem sehr liberalen Abgeordneten Kommerzienrat
Stciulein, welcher behauptete, daß jedenfalls die neue Zollpolitik, deren offner
Gegner er sei, eine ehrliche Probe verdiene, daß sich seit Eintritt derselben
immerhin ein Aufschwung in Handel und Verkehr nicht leugnen lasse, und daß
man unbedingt abwarten müsse, ob dieser Aufschwung nur xv3l nov oder xroMr
roe, eingetreten sei. Der andre Abgeordnete, Gutsbesitzer von Spalding, freute sich
dieser Äußerung seines gegnerischen Kollegen, und so vertieften sich diese beiden,
nachdem sich der Gesandte von ihnen fortbegeben hatte, in ein ernstes Gespräch
und fanden allmählich, daß die Gegensätze ihrer Ansichten keineswegs so schroff
seien, als sie bisher angenommen hatten. Ja sie waren zuletzt darüber einig, daß,
wenn nicht in der Presse fortwährend der Unfriede geschürt, jede Blöße des
Gegners schonungslos in die Öffentlichkeit gezogen, jede kleine Thatsache zu
einem Ereignis aufgebauscht würde, ein besseres Verhältnis zwischen den Parteien
und im ganzen Staatslebe» sich ergeben müßte.

Überall in unserm öffentlichen Leben, bemerkte Spalding, verlangt man
ein offenes Auftreten. Wir im Parlament stehen vor dem gesamten Reiche und
vor der ganzen Welt mit offnem Visir da und müssen für unsre Meinungen
und Reden unsre Schläge ebenso empfangen, wie wir sie anstelle«; nur in der
Presse herrscht 1ö lÄnx xrs8t,ig«z as 1'imonMrö. Welch andern Eindruck möchte
wohl ein Artikel machen, der eine kirchliche Einrichtung verspottet, wenn der
Leser zugleich erführe, daß der Verfasser ein abgesetzter Theologe ist, oder wie
würde eine Kritik über eine staatliche Verwaltungsregel beurteilt werden, wenn
es bekannt wäre, daß der Schreiber, selbst einmal im Staatsdienst angestellt,


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[0268] Auf dein Stilfser Joch. sein Vaterland heruntergezogen habe. Die Herren von der Presse wollten hierauf eine scharfe Antwort geben, allein Exzellenz Zankabioticic war gewandt genug, ihnen zuvorzukommen und mit Harald einige Bemerkungen über die neuesten Ausgrabungen auf der Akropolis auszutauschen, aus welchen dein Künstler hervorging, daß der Herr Gesandte dieselben nur aus alten Reisefeuilletous kennen mußte, wiewohl er auch schon in Athen seinen Hof ein Vierteljahr lang vertreten hatte. Harald horte bald nur noch zerstreut zu und richtete seine Blicke auf Vroni, die intimer, als es ihm passend schien, bald mit einem jungen Artillerie¬ offizier, bald mit einem jungen Maler scherzte, der in den Künstlerkreisen wegen seiner ausschließlich altdeutschen Malweise Holbein der Jüngere hieß. Harald war froh, bei der fremden Exzellenz von zwei Abgeordneten erlöst zu werden, die sich beide hier zum erstenmale und wider Vermuten auf einem neutralen Felde begegneten, während sie sich bisher nur vom Parlamente kannten, in dessen Arena sie sich nicht selten mit scharfen Worten befehdet hatten. Ihnen gegenüber wollte Exzellenz Zankabioticic mit der Information über deutsche Zustünde glänzen, welche er soeben von den Vertretern der Presse geschildert erhalten hatte, aber er fand auf beiden Seiten zu seinem großen Erstaunen einen sehr entschiednen Widerspruch. Zuerst von dem sehr liberalen Abgeordneten Kommerzienrat Stciulein, welcher behauptete, daß jedenfalls die neue Zollpolitik, deren offner Gegner er sei, eine ehrliche Probe verdiene, daß sich seit Eintritt derselben immerhin ein Aufschwung in Handel und Verkehr nicht leugnen lasse, und daß man unbedingt abwarten müsse, ob dieser Aufschwung nur xv3l nov oder xroMr roe, eingetreten sei. Der andre Abgeordnete, Gutsbesitzer von Spalding, freute sich dieser Äußerung seines gegnerischen Kollegen, und so vertieften sich diese beiden, nachdem sich der Gesandte von ihnen fortbegeben hatte, in ein ernstes Gespräch und fanden allmählich, daß die Gegensätze ihrer Ansichten keineswegs so schroff seien, als sie bisher angenommen hatten. Ja sie waren zuletzt darüber einig, daß, wenn nicht in der Presse fortwährend der Unfriede geschürt, jede Blöße des Gegners schonungslos in die Öffentlichkeit gezogen, jede kleine Thatsache zu einem Ereignis aufgebauscht würde, ein besseres Verhältnis zwischen den Parteien und im ganzen Staatslebe» sich ergeben müßte. Überall in unserm öffentlichen Leben, bemerkte Spalding, verlangt man ein offenes Auftreten. Wir im Parlament stehen vor dem gesamten Reiche und vor der ganzen Welt mit offnem Visir da und müssen für unsre Meinungen und Reden unsre Schläge ebenso empfangen, wie wir sie anstelle«; nur in der Presse herrscht 1ö lÄnx xrs8t,ig«z as 1'imonMrö. Welch andern Eindruck möchte wohl ein Artikel machen, der eine kirchliche Einrichtung verspottet, wenn der Leser zugleich erführe, daß der Verfasser ein abgesetzter Theologe ist, oder wie würde eine Kritik über eine staatliche Verwaltungsregel beurteilt werden, wenn es bekannt wäre, daß der Schreiber, selbst einmal im Staatsdienst angestellt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/268>, abgerufen am 15.01.2025.