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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Zur Frage der Arbeiterwohnungen.

weise abgetragen. Die Möglichkeit der Kündigung ohne Verlust für den Arbeiter
ist vorgesehen. Auch soll bei genügender Sicherheit den Arbeitern Geld zum
selbständigen Bau eines Hauses geliehen werden. Mitglied des Hauptvereins,
dessen Vorstand die unter 1 bis 3 erwähnten Bestrebungen leitet, wird jeder,
welcher einmal 50 Mark oder jährlich 5 Mark Veitrag zahlt. Die Mitgliedschaft
der Lokalvereine wird durch Zeichnung einer mit 3^ Prozent zu verzinsenden
Aktie von 100 Mark erworben.

Der neue, schöpferische Gedanke, welcher dem Verein "Arbeiterheim" zu
gründe liegt, ist die Zusammenfassung und Förderung der Bestrebungen zur
Verbesserung der Wohnungszustände im ganzen Reiche durch einen Zentralverein.
Der Verein hat richtig erkannt, daß ein Hauptteil der Arbeit nur von Lokal¬
vereinen unternommen, daß deren Thätigkeit aber von einem anregenden, mit
Rat und That unterstützenden Zcntralvereine ungemein gefördert werden kann.
Wird der Verein die "Wiederherstellung und Aufrichtung des zerfallenen häus¬
lichen Herdes unter den Fabrikarbeitern," wie er im Aufruf sein Ziel nennt,
erreichen?

So warm wir die Gründung des Vereines willkommen heißen, die Frage
in dieser Allgemeinheit müssen wir verneinen. Handelt der Verein seinen
Statuten gemäß mit Thatkraft, so kann er ohne Frage Großes leisten, haupt¬
sächlich durch Einwirkung auf Arbeitgeber und Gesetzgebung, aber durch direkte
eigue Fürsorge nur Großes für einen kleinen Bruchteil der Fabrikarbeiter,
vollends der Arbeiter im weitern Sinne. Bevor wir dieses Urteil begrün¬
den, nur einige Worte über die Beschränkung der Wohlthaten des Vereins
auf "Fabrikarbeiter." Für diese Beschränkung ist ein zwingender Grund nicht
einzusehen; wir glauben aber anch, daß dieselbe, falls sie nicht von vornherein
fallen gelassen wird, von selbst fallen wird. Abgesehen davon, daß mancher
tüchtige Arbeiter, welcher als Fabrikarbeiter eine vom Vereine hergestellte
Wohnung bezogen hat, seine Thätigkeit wechseln und doch wohnen bleiben wird,
werden die Lvkalvereine zuerst ausnahmsweise, sodann allgemeiner andern
tüchtigen Arbeitern, kleinen Gewerbetreibenden, Beamten u. s. w., welche in
Wohnungsnot sind, die Aufnahme nicht versagen und vielfach ohne Härte nicht
anders handeln können. Diese Beschränkung ist daher kaum ernstlich zu nehmen
und sollte lieber von Anfang an aufgegeben werden.

Für die Beantwortung der von uns aufgeworfenen Frage sind zwei Vorfragen
entscheidend. Erstens: Wird der Verein die durchaus nötige allgemeine Teilnahme
bei Privaten und Behörden finden und die nötigen Mittel gewinnen? Sodann:
Ist der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der richtige?

Sache des Zentralvereins wird es in erster Linie sein, die allgemeine Be¬
teiligung zu erwecken. Die Thätigkeit, welche statutengemäß ihm anheimfällt,
ist wohldurchdacht und findet fast in alleu Punkten unsern Beifall. Ob die
Gründung eitler eignen Zeitschrift Bedürfnis und rätlich ist, erscheint zweifelhaft.


Grenzboten IV. 18LS, L0
Zur Frage der Arbeiterwohnungen.

weise abgetragen. Die Möglichkeit der Kündigung ohne Verlust für den Arbeiter
ist vorgesehen. Auch soll bei genügender Sicherheit den Arbeitern Geld zum
selbständigen Bau eines Hauses geliehen werden. Mitglied des Hauptvereins,
dessen Vorstand die unter 1 bis 3 erwähnten Bestrebungen leitet, wird jeder,
welcher einmal 50 Mark oder jährlich 5 Mark Veitrag zahlt. Die Mitgliedschaft
der Lokalvereine wird durch Zeichnung einer mit 3^ Prozent zu verzinsenden
Aktie von 100 Mark erworben.

Der neue, schöpferische Gedanke, welcher dem Verein „Arbeiterheim" zu
gründe liegt, ist die Zusammenfassung und Förderung der Bestrebungen zur
Verbesserung der Wohnungszustände im ganzen Reiche durch einen Zentralverein.
Der Verein hat richtig erkannt, daß ein Hauptteil der Arbeit nur von Lokal¬
vereinen unternommen, daß deren Thätigkeit aber von einem anregenden, mit
Rat und That unterstützenden Zcntralvereine ungemein gefördert werden kann.
Wird der Verein die „Wiederherstellung und Aufrichtung des zerfallenen häus¬
lichen Herdes unter den Fabrikarbeitern," wie er im Aufruf sein Ziel nennt,
erreichen?

So warm wir die Gründung des Vereines willkommen heißen, die Frage
in dieser Allgemeinheit müssen wir verneinen. Handelt der Verein seinen
Statuten gemäß mit Thatkraft, so kann er ohne Frage Großes leisten, haupt¬
sächlich durch Einwirkung auf Arbeitgeber und Gesetzgebung, aber durch direkte
eigue Fürsorge nur Großes für einen kleinen Bruchteil der Fabrikarbeiter,
vollends der Arbeiter im weitern Sinne. Bevor wir dieses Urteil begrün¬
den, nur einige Worte über die Beschränkung der Wohlthaten des Vereins
auf „Fabrikarbeiter." Für diese Beschränkung ist ein zwingender Grund nicht
einzusehen; wir glauben aber anch, daß dieselbe, falls sie nicht von vornherein
fallen gelassen wird, von selbst fallen wird. Abgesehen davon, daß mancher
tüchtige Arbeiter, welcher als Fabrikarbeiter eine vom Vereine hergestellte
Wohnung bezogen hat, seine Thätigkeit wechseln und doch wohnen bleiben wird,
werden die Lvkalvereine zuerst ausnahmsweise, sodann allgemeiner andern
tüchtigen Arbeitern, kleinen Gewerbetreibenden, Beamten u. s. w., welche in
Wohnungsnot sind, die Aufnahme nicht versagen und vielfach ohne Härte nicht
anders handeln können. Diese Beschränkung ist daher kaum ernstlich zu nehmen
und sollte lieber von Anfang an aufgegeben werden.

Für die Beantwortung der von uns aufgeworfenen Frage sind zwei Vorfragen
entscheidend. Erstens: Wird der Verein die durchaus nötige allgemeine Teilnahme
bei Privaten und Behörden finden und die nötigen Mittel gewinnen? Sodann:
Ist der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der richtige?

Sache des Zentralvereins wird es in erster Linie sein, die allgemeine Be¬
teiligung zu erwecken. Die Thätigkeit, welche statutengemäß ihm anheimfällt,
ist wohldurchdacht und findet fast in alleu Punkten unsern Beifall. Ob die
Gründung eitler eignen Zeitschrift Bedürfnis und rätlich ist, erscheint zweifelhaft.


Grenzboten IV. 18LS, L0
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[0241] Zur Frage der Arbeiterwohnungen. weise abgetragen. Die Möglichkeit der Kündigung ohne Verlust für den Arbeiter ist vorgesehen. Auch soll bei genügender Sicherheit den Arbeitern Geld zum selbständigen Bau eines Hauses geliehen werden. Mitglied des Hauptvereins, dessen Vorstand die unter 1 bis 3 erwähnten Bestrebungen leitet, wird jeder, welcher einmal 50 Mark oder jährlich 5 Mark Veitrag zahlt. Die Mitgliedschaft der Lokalvereine wird durch Zeichnung einer mit 3^ Prozent zu verzinsenden Aktie von 100 Mark erworben. Der neue, schöpferische Gedanke, welcher dem Verein „Arbeiterheim" zu gründe liegt, ist die Zusammenfassung und Förderung der Bestrebungen zur Verbesserung der Wohnungszustände im ganzen Reiche durch einen Zentralverein. Der Verein hat richtig erkannt, daß ein Hauptteil der Arbeit nur von Lokal¬ vereinen unternommen, daß deren Thätigkeit aber von einem anregenden, mit Rat und That unterstützenden Zcntralvereine ungemein gefördert werden kann. Wird der Verein die „Wiederherstellung und Aufrichtung des zerfallenen häus¬ lichen Herdes unter den Fabrikarbeitern," wie er im Aufruf sein Ziel nennt, erreichen? So warm wir die Gründung des Vereines willkommen heißen, die Frage in dieser Allgemeinheit müssen wir verneinen. Handelt der Verein seinen Statuten gemäß mit Thatkraft, so kann er ohne Frage Großes leisten, haupt¬ sächlich durch Einwirkung auf Arbeitgeber und Gesetzgebung, aber durch direkte eigue Fürsorge nur Großes für einen kleinen Bruchteil der Fabrikarbeiter, vollends der Arbeiter im weitern Sinne. Bevor wir dieses Urteil begrün¬ den, nur einige Worte über die Beschränkung der Wohlthaten des Vereins auf „Fabrikarbeiter." Für diese Beschränkung ist ein zwingender Grund nicht einzusehen; wir glauben aber anch, daß dieselbe, falls sie nicht von vornherein fallen gelassen wird, von selbst fallen wird. Abgesehen davon, daß mancher tüchtige Arbeiter, welcher als Fabrikarbeiter eine vom Vereine hergestellte Wohnung bezogen hat, seine Thätigkeit wechseln und doch wohnen bleiben wird, werden die Lvkalvereine zuerst ausnahmsweise, sodann allgemeiner andern tüchtigen Arbeitern, kleinen Gewerbetreibenden, Beamten u. s. w., welche in Wohnungsnot sind, die Aufnahme nicht versagen und vielfach ohne Härte nicht anders handeln können. Diese Beschränkung ist daher kaum ernstlich zu nehmen und sollte lieber von Anfang an aufgegeben werden. Für die Beantwortung der von uns aufgeworfenen Frage sind zwei Vorfragen entscheidend. Erstens: Wird der Verein die durchaus nötige allgemeine Teilnahme bei Privaten und Behörden finden und die nötigen Mittel gewinnen? Sodann: Ist der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der richtige? Sache des Zentralvereins wird es in erster Linie sein, die allgemeine Be¬ teiligung zu erwecken. Die Thätigkeit, welche statutengemäß ihm anheimfällt, ist wohldurchdacht und findet fast in alleu Punkten unsern Beifall. Ob die Gründung eitler eignen Zeitschrift Bedürfnis und rätlich ist, erscheint zweifelhaft. Grenzboten IV. 18LS, L0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/241>, abgerufen am 15.01.2025.