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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das ehrengerichtliche Verfahren gegen Rechtsanwälte.

Soweit wir ('s Überblicken, sind alle übrigen Disziplinargewalten in der
Art geordnet, daß der Dienstvorgesetzte oder wenigstens die vorgesetzte Behörde
ohne förmliches Disziplinarverfahren Warnungen oder Verweise erlassen, unter
Umständen auch Geldstrafen erkennen kann. Selbst Richtern gegenüber, deren
selbständiger Stellung man doch eine gewisse Schonung zu schulden glaubt,
hat das preußische Gesetz vom 9. April 1879 (Z 23) es bei der Befugnis des
Vorgesetzten, die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäfts zu rügen
und zu dessen rechtzeitiger oder sachgemäßer Erledigung zu ermahnen, gelassen;
und es steht dann nur dem betreffenden Richter frei, zur Feststellung der Frage,
ob ihm eine Ordnungswidrigkeit oder Säumnis zur Last falle, seinerseits die
Einleitung einer Disziplinaruntcrsnchung zu beantragen. Zu etwas ähnlichem
hatte auch der dem Reichstage vorgelegte Entwurf der Nechtsanwaltsordnnng
einen Anlauf genommen, indem er (§ 62) vorschlug, daß dem Vorsitzenden
des Anwaltsvvrstandes das Recht zustehen solle, Warnungen und Geldstrafen
bis zu 150 Mark auch ohne förmliches ehrengerichtliches Verfahren auszu¬
sprechen; wogegen dann dem betreffenden Rechtsanwälte die Befugnis verbleiben
sollte, auf ehrengerichtliches Verfahren anzutragen. Man kann darüber zweifeln,
ob der Vorsitzende immer die geeignete Persönlichkeit für die Ausübung einer
solchen Disziplinargewalt gewesen wäre. Jedenfalls aber wäre doch dadurch
die Ausübung einer Disziplin wesentlich erleichtert worden. Die Neichstags-
kommission strich aber jenen Paragraphen, und die Regierungen ließen es dabei
bewenden. Damit fiel also jene leichtere Form der Disziplinübuug ganz weg.
Für jede disziplinarische Rüge muß ein förmliches Anklageverfcchrcn mit Staats¬
anwalt und förmlich besetztem Ehrengerichte eingeleitet werden. Es liegt in der
Natur der Sache, daß jeder zur Wahrung der einschlagenden Interessen Be¬
rufene sich scheut, einen solchen schwerfälligen Apparat in Gang zu setzen, und
lieber manches zur disziplinarischen Rüge geeignete stillschweigend vorüber¬
gehen läßt.

Ein weiterer Umstand, der die Ausübung einer wirksamen Disziplin ab¬
schwächt, dürfte in der Thatsache liegen, daß man für die gesamte ehrengerichtliche
Thätigkeit die zweite Instanz in die Organe des weitab liegenden Reichsgerichts
gelegt hat. Gar manche Disziplinarsache erscheint in einem ganz andern Lichte,
wenn man Personen und Verhältnisse näher kennt. Natürlich kann man eine
solche Kenntnis in Leipzig nicht für ganz Deutschland besitzen. Und vielleicht
ist hierauf in manchen Fällen die Thatsache zurückzuführen, daß der Ehrcn-
gerichtshof kraft einer mit überwiegendem Wohlwollen geübten xrassumtic, boni
zu einer mildern Beurteilung gelangt ist als die näherstehende erste Instanz.

Betrachten wir nun den materiellen Gehalt der uns vorliegenden Ent¬
scheidungen, so ist in diesen vorzugsweise der vom Ehreugcrichtshofe -- zum
Teil im Widerspruch mit den Vorinstanzen -- aufgestellte Grundsatz von
Bedeutung, daß nicht jedes inkorrekte Verfahren oder Verhalten eines Anwaltes


Das ehrengerichtliche Verfahren gegen Rechtsanwälte.

Soweit wir ('s Überblicken, sind alle übrigen Disziplinargewalten in der
Art geordnet, daß der Dienstvorgesetzte oder wenigstens die vorgesetzte Behörde
ohne förmliches Disziplinarverfahren Warnungen oder Verweise erlassen, unter
Umständen auch Geldstrafen erkennen kann. Selbst Richtern gegenüber, deren
selbständiger Stellung man doch eine gewisse Schonung zu schulden glaubt,
hat das preußische Gesetz vom 9. April 1879 (Z 23) es bei der Befugnis des
Vorgesetzten, die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäfts zu rügen
und zu dessen rechtzeitiger oder sachgemäßer Erledigung zu ermahnen, gelassen;
und es steht dann nur dem betreffenden Richter frei, zur Feststellung der Frage,
ob ihm eine Ordnungswidrigkeit oder Säumnis zur Last falle, seinerseits die
Einleitung einer Disziplinaruntcrsnchung zu beantragen. Zu etwas ähnlichem
hatte auch der dem Reichstage vorgelegte Entwurf der Nechtsanwaltsordnnng
einen Anlauf genommen, indem er (§ 62) vorschlug, daß dem Vorsitzenden
des Anwaltsvvrstandes das Recht zustehen solle, Warnungen und Geldstrafen
bis zu 150 Mark auch ohne förmliches ehrengerichtliches Verfahren auszu¬
sprechen; wogegen dann dem betreffenden Rechtsanwälte die Befugnis verbleiben
sollte, auf ehrengerichtliches Verfahren anzutragen. Man kann darüber zweifeln,
ob der Vorsitzende immer die geeignete Persönlichkeit für die Ausübung einer
solchen Disziplinargewalt gewesen wäre. Jedenfalls aber wäre doch dadurch
die Ausübung einer Disziplin wesentlich erleichtert worden. Die Neichstags-
kommission strich aber jenen Paragraphen, und die Regierungen ließen es dabei
bewenden. Damit fiel also jene leichtere Form der Disziplinübuug ganz weg.
Für jede disziplinarische Rüge muß ein förmliches Anklageverfcchrcn mit Staats¬
anwalt und förmlich besetztem Ehrengerichte eingeleitet werden. Es liegt in der
Natur der Sache, daß jeder zur Wahrung der einschlagenden Interessen Be¬
rufene sich scheut, einen solchen schwerfälligen Apparat in Gang zu setzen, und
lieber manches zur disziplinarischen Rüge geeignete stillschweigend vorüber¬
gehen läßt.

Ein weiterer Umstand, der die Ausübung einer wirksamen Disziplin ab¬
schwächt, dürfte in der Thatsache liegen, daß man für die gesamte ehrengerichtliche
Thätigkeit die zweite Instanz in die Organe des weitab liegenden Reichsgerichts
gelegt hat. Gar manche Disziplinarsache erscheint in einem ganz andern Lichte,
wenn man Personen und Verhältnisse näher kennt. Natürlich kann man eine
solche Kenntnis in Leipzig nicht für ganz Deutschland besitzen. Und vielleicht
ist hierauf in manchen Fällen die Thatsache zurückzuführen, daß der Ehrcn-
gerichtshof kraft einer mit überwiegendem Wohlwollen geübten xrassumtic, boni
zu einer mildern Beurteilung gelangt ist als die näherstehende erste Instanz.

Betrachten wir nun den materiellen Gehalt der uns vorliegenden Ent¬
scheidungen, so ist in diesen vorzugsweise der vom Ehreugcrichtshofe — zum
Teil im Widerspruch mit den Vorinstanzen — aufgestellte Grundsatz von
Bedeutung, daß nicht jedes inkorrekte Verfahren oder Verhalten eines Anwaltes


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[0236] Das ehrengerichtliche Verfahren gegen Rechtsanwälte. Soweit wir ('s Überblicken, sind alle übrigen Disziplinargewalten in der Art geordnet, daß der Dienstvorgesetzte oder wenigstens die vorgesetzte Behörde ohne förmliches Disziplinarverfahren Warnungen oder Verweise erlassen, unter Umständen auch Geldstrafen erkennen kann. Selbst Richtern gegenüber, deren selbständiger Stellung man doch eine gewisse Schonung zu schulden glaubt, hat das preußische Gesetz vom 9. April 1879 (Z 23) es bei der Befugnis des Vorgesetzten, die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäfts zu rügen und zu dessen rechtzeitiger oder sachgemäßer Erledigung zu ermahnen, gelassen; und es steht dann nur dem betreffenden Richter frei, zur Feststellung der Frage, ob ihm eine Ordnungswidrigkeit oder Säumnis zur Last falle, seinerseits die Einleitung einer Disziplinaruntcrsnchung zu beantragen. Zu etwas ähnlichem hatte auch der dem Reichstage vorgelegte Entwurf der Nechtsanwaltsordnnng einen Anlauf genommen, indem er (§ 62) vorschlug, daß dem Vorsitzenden des Anwaltsvvrstandes das Recht zustehen solle, Warnungen und Geldstrafen bis zu 150 Mark auch ohne förmliches ehrengerichtliches Verfahren auszu¬ sprechen; wogegen dann dem betreffenden Rechtsanwälte die Befugnis verbleiben sollte, auf ehrengerichtliches Verfahren anzutragen. Man kann darüber zweifeln, ob der Vorsitzende immer die geeignete Persönlichkeit für die Ausübung einer solchen Disziplinargewalt gewesen wäre. Jedenfalls aber wäre doch dadurch die Ausübung einer Disziplin wesentlich erleichtert worden. Die Neichstags- kommission strich aber jenen Paragraphen, und die Regierungen ließen es dabei bewenden. Damit fiel also jene leichtere Form der Disziplinübuug ganz weg. Für jede disziplinarische Rüge muß ein förmliches Anklageverfcchrcn mit Staats¬ anwalt und förmlich besetztem Ehrengerichte eingeleitet werden. Es liegt in der Natur der Sache, daß jeder zur Wahrung der einschlagenden Interessen Be¬ rufene sich scheut, einen solchen schwerfälligen Apparat in Gang zu setzen, und lieber manches zur disziplinarischen Rüge geeignete stillschweigend vorüber¬ gehen läßt. Ein weiterer Umstand, der die Ausübung einer wirksamen Disziplin ab¬ schwächt, dürfte in der Thatsache liegen, daß man für die gesamte ehrengerichtliche Thätigkeit die zweite Instanz in die Organe des weitab liegenden Reichsgerichts gelegt hat. Gar manche Disziplinarsache erscheint in einem ganz andern Lichte, wenn man Personen und Verhältnisse näher kennt. Natürlich kann man eine solche Kenntnis in Leipzig nicht für ganz Deutschland besitzen. Und vielleicht ist hierauf in manchen Fällen die Thatsache zurückzuführen, daß der Ehrcn- gerichtshof kraft einer mit überwiegendem Wohlwollen geübten xrassumtic, boni zu einer mildern Beurteilung gelangt ist als die näherstehende erste Instanz. Betrachten wir nun den materiellen Gehalt der uns vorliegenden Ent¬ scheidungen, so ist in diesen vorzugsweise der vom Ehreugcrichtshofe — zum Teil im Widerspruch mit den Vorinstanzen — aufgestellte Grundsatz von Bedeutung, daß nicht jedes inkorrekte Verfahren oder Verhalten eines Anwaltes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/236>, abgerufen am 15.01.2025.