Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Notizen. Juristen darstellte. Zuerst trat Herr Paul Lindau auf und plädirte die "Grausamkeit." Nun steht aber hier nicht eine Sache, bei welcher man verschiedner Meinung Der Versuch, den Prozeß als ein Attentat gegen die Kunst und das Künstler- Nur in einer Beziehung blieb die Meiueidsfrage in der Presse auf der Notizen. Juristen darstellte. Zuerst trat Herr Paul Lindau auf und plädirte die „Grausamkeit." Nun steht aber hier nicht eine Sache, bei welcher man verschiedner Meinung Der Versuch, den Prozeß als ein Attentat gegen die Kunst und das Künstler- Nur in einer Beziehung blieb die Meiueidsfrage in der Presse auf der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196948"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_681" prev="#ID_680"> Juristen darstellte. Zuerst trat Herr Paul Lindau auf und plädirte die „Grausamkeit."<lb/> Ueber den Wert seines Plädoyers hat bereits ein Artikel im vorigen Hefte dieser<lb/> Zeitschrift sich bcrbreitct. Dann folgte ein Leitartikel, welcher den „Fehler" platirt.<lb/> Darin wurden die Geschwornengerichte als der Hort der Gerechtigkeit gepriesen<lb/> und die Sache so dargestellt, als ob die Justiz in ihrer Einseitigkeit auf ganz un¬<lb/> haltbare Verdachtsgründe hin einen so entsetzlichen Prozeß eingeleitet habe. Endlich<lb/> aber feste Herr K, Fr. der Sache die Krone auf, indem er in einem Fcuilletou-<lb/> artikel „Die Kunst und das Strafgesetz" die ganze Sache als ein von der Barbarei<lb/> der Juristen gegen Kunst und Künstlertum verübtes Attentat hinstellte. Lase man<lb/> diesen Artikel, ohne die Sache zu kennen, so müßte man glauben, Graf sei straf¬<lb/> rechtlich verfolgt wordeu, weil er in seinen Bildern Nuditäteu dargestellt und hier¬<lb/> für Naturstudien zu machen sich erlaubt habe. Auf diesen Artikel hat Staats-<lb/> anwalt Hcinemann, der in dem Prozesse gehandelt hat, in einer Broschüre gebührend<lb/> geantwortet. Herr K. Fr. hat aber dann nochmals replizirt und unter einer Flut<lb/> von Phrasen die Sache so dargestellt, als ob es sich hier um eine „Meinungs¬<lb/> verschiedenheit" handle, bei welcher er auf seiner Meinung verharre. Beide Aufsätze<lb/> sind dann auch noch in der Form einer selbständigen Broschüre erschienen, welche<lb/> die „National-Zeitung" als „eine der bedeutsamsten Kundgebungen für die kultur¬<lb/> historische Würdigung des Prozesses Graf" anpreist.</p><lb/> <p xml:id="ID_682"> Nun steht aber hier nicht eine Sache, bei welcher man verschiedner Meinung<lb/> sein kann, in Frage, sondern eine Entstellung der Thatsachen. Professor Graf war<lb/> eines geleisteten Meineides und der Verleitung zu einem Meineid dringend verdächtig<lb/> geworden. Gegenstand dieser Eide war allerdings sein Verhältnis zu Bertha Rother,<lb/> und deshalb beschäftigte sich die Beweisführung mit diesem Verhältnis. Sonst<lb/> würde kein Gericht sich um dieses Verhältnis gekümmert haben. Daß die erfolgte<lb/> Freisprechung Graff dnrch die Geschwornen nicht den positiven Beweis seiner Unschuld<lb/> bedeutet, sagt sich nicht allein jeder Jurist, sondern auch jeder denkende Mensch.<lb/> Die Thatsachen, welche die Verhandlung.ans Licht gebracht hat, und die daran sich<lb/> knüpfenden Schlußfolgerungen kann ja kein Wahrspruch der Geschwornen ans der<lb/> Welt schaffen. Daß diese Thatsachen ein höchst auffälliges, auch durch keine<lb/> künstlerischen Interessen genügend erklärtes Verhältnis Graff zu der Bertha Rother<lb/> und ihrer Familie ergeben haben, ist allbekannt. Wir wollen, um nicht in dem<lb/> Schmutze zu rühren, einzelnes hier nicht wiederholen. Es genügt, auf diese That¬<lb/> sachen Bezug zu nehmen, um auszusprechen, daß die Justiz uur ihre Pflicht<lb/> gethan hat, wenn sie ohne Ansehen der Person den eines Verbrechens<lb/> dringend Verdächtigen vor Gericht zog.</p><lb/> <p xml:id="ID_683"> Der Versuch, den Prozeß als ein Attentat gegen die Kunst und das Künstler-<lb/> tum erscheinen zu lassen, ist einfach albern. Wenn Herr K. Fr. sagt: „Nicht<lb/> mehr der Eid des Angeklagten — feine Künstlerschaft, seine Seele wurden sezirt,"<lb/> so hat allerdings die Presse das ihrige gethan, um dasjenige, um was es sich<lb/> eigentlich handelte, verschwinden zu lassen. In Wahrheit aber handelte es sich<lb/> durchweg um die Frage des Meineides, woneben beiläufig auch die Frage eines<lb/> noch häßlicheren Vergehens aufgetaucht war. Die Justiz, wo sie die durch die<lb/> Umstände wohlbegründete Aufgabe hat, Verbrechen zu verfolgen, darf sich nicht<lb/> scheuen, in solche Schmntzverhältnissc hineinzufnsscn, auch wenn, wie man hier be¬<lb/> hauptet, der Angeklagte diese Verhältnisse zur Grundlage seiner Künstlerschaft und<lb/> seines Seelenlebens (!) gemacht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_684" next="#ID_685"> Nur in einer Beziehung blieb die Meiueidsfrage in der Presse auf der<lb/> Tagesordnung, um ihr nämlich eine besondre Schwierigkeit zu bereiten. Man</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
Notizen.
Juristen darstellte. Zuerst trat Herr Paul Lindau auf und plädirte die „Grausamkeit."
Ueber den Wert seines Plädoyers hat bereits ein Artikel im vorigen Hefte dieser
Zeitschrift sich bcrbreitct. Dann folgte ein Leitartikel, welcher den „Fehler" platirt.
Darin wurden die Geschwornengerichte als der Hort der Gerechtigkeit gepriesen
und die Sache so dargestellt, als ob die Justiz in ihrer Einseitigkeit auf ganz un¬
haltbare Verdachtsgründe hin einen so entsetzlichen Prozeß eingeleitet habe. Endlich
aber feste Herr K, Fr. der Sache die Krone auf, indem er in einem Fcuilletou-
artikel „Die Kunst und das Strafgesetz" die ganze Sache als ein von der Barbarei
der Juristen gegen Kunst und Künstlertum verübtes Attentat hinstellte. Lase man
diesen Artikel, ohne die Sache zu kennen, so müßte man glauben, Graf sei straf¬
rechtlich verfolgt wordeu, weil er in seinen Bildern Nuditäteu dargestellt und hier¬
für Naturstudien zu machen sich erlaubt habe. Auf diesen Artikel hat Staats-
anwalt Hcinemann, der in dem Prozesse gehandelt hat, in einer Broschüre gebührend
geantwortet. Herr K. Fr. hat aber dann nochmals replizirt und unter einer Flut
von Phrasen die Sache so dargestellt, als ob es sich hier um eine „Meinungs¬
verschiedenheit" handle, bei welcher er auf seiner Meinung verharre. Beide Aufsätze
sind dann auch noch in der Form einer selbständigen Broschüre erschienen, welche
die „National-Zeitung" als „eine der bedeutsamsten Kundgebungen für die kultur¬
historische Würdigung des Prozesses Graf" anpreist.
Nun steht aber hier nicht eine Sache, bei welcher man verschiedner Meinung
sein kann, in Frage, sondern eine Entstellung der Thatsachen. Professor Graf war
eines geleisteten Meineides und der Verleitung zu einem Meineid dringend verdächtig
geworden. Gegenstand dieser Eide war allerdings sein Verhältnis zu Bertha Rother,
und deshalb beschäftigte sich die Beweisführung mit diesem Verhältnis. Sonst
würde kein Gericht sich um dieses Verhältnis gekümmert haben. Daß die erfolgte
Freisprechung Graff dnrch die Geschwornen nicht den positiven Beweis seiner Unschuld
bedeutet, sagt sich nicht allein jeder Jurist, sondern auch jeder denkende Mensch.
Die Thatsachen, welche die Verhandlung.ans Licht gebracht hat, und die daran sich
knüpfenden Schlußfolgerungen kann ja kein Wahrspruch der Geschwornen ans der
Welt schaffen. Daß diese Thatsachen ein höchst auffälliges, auch durch keine
künstlerischen Interessen genügend erklärtes Verhältnis Graff zu der Bertha Rother
und ihrer Familie ergeben haben, ist allbekannt. Wir wollen, um nicht in dem
Schmutze zu rühren, einzelnes hier nicht wiederholen. Es genügt, auf diese That¬
sachen Bezug zu nehmen, um auszusprechen, daß die Justiz uur ihre Pflicht
gethan hat, wenn sie ohne Ansehen der Person den eines Verbrechens
dringend Verdächtigen vor Gericht zog.
Der Versuch, den Prozeß als ein Attentat gegen die Kunst und das Künstler-
tum erscheinen zu lassen, ist einfach albern. Wenn Herr K. Fr. sagt: „Nicht
mehr der Eid des Angeklagten — feine Künstlerschaft, seine Seele wurden sezirt,"
so hat allerdings die Presse das ihrige gethan, um dasjenige, um was es sich
eigentlich handelte, verschwinden zu lassen. In Wahrheit aber handelte es sich
durchweg um die Frage des Meineides, woneben beiläufig auch die Frage eines
noch häßlicheren Vergehens aufgetaucht war. Die Justiz, wo sie die durch die
Umstände wohlbegründete Aufgabe hat, Verbrechen zu verfolgen, darf sich nicht
scheuen, in solche Schmntzverhältnissc hineinzufnsscn, auch wenn, wie man hier be¬
hauptet, der Angeklagte diese Verhältnisse zur Grundlage seiner Künstlerschaft und
seines Seelenlebens (!) gemacht hat.
Nur in einer Beziehung blieb die Meiueidsfrage in der Presse auf der
Tagesordnung, um ihr nämlich eine besondre Schwierigkeit zu bereiten. Man
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