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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Dilettantismus und Berufsschriftstellertuin.

Schriftsteller. Die schlechten Schriftsteller gelten ihm als die wahren und ein¬
zigen dilettantischen Pfuscher, mögen sie auch altgesessene Zunftgenossen des
literarischen Handwerks sein; wahre Meister aber sind für ihn nur die guten
Schriftsteller, und schrieben sie ihr Lebelang aus Liebhaberei in Nebenstunden.
Wir wollen den Begriff der künstlerischen Meisterschaft voranstellen und das
bürgerliche Schriftstellertum bescheiden folgen lassen. Daß die Meisterschaft
Mühe macht, weiß alle Welt; auch wer zum Meister bestimmt ist, wird nicht
als Meister geboren. Arbeit und Übung bilden zur Meisterschaft. Aber in der
Literatur sind die Früchte dieses Fleißes den "Dilettanten" gleich erreichbar wie
den Berufsschriftstelleru. Denn weder in der Dichtkunst noch in der Prosa giebt
es geheime Handwerksgriffc, die nur den Lehrlingen der Zunft bekanntwürden;
was zur literarischen Technik gehört, kann jeder Gebildete lernen, und die schrift¬
stellerischen Talente nutzen die mannichfachen sprachlichen, ästhetischen und wissen¬
schaftlichen Anweisungen in steter Arbeit zur Ausbildung einer persönlichen Kunst-
weise. Zunft oder nicht, das thut hier garnichts. Vielleicht schadet sie sogar.
Ohne Zweifel hat der uuzünftlerischc Schriftsteller mehr Gelegenheit zu gewissen¬
haften, mühsamen und zeitraubenden Kunstübungen, als der Verufsschriftsteller,
der vielleicht im Dienste der Tagespresse vom Ertrage seiner Feder lebt. Wie
manches muß er da schreiben, was er lieber uicht schriebe, wie ost drängt da
die Zeit, der Setzerjunge oder der Verleger, und wie wenig Zeit kann er im
ganzen auf reine Studien und Übungen verwenden, denen er, höchst ungern
vielleicht, entsagen muß, weil sie nichts einbringen. Die Fälle sind so selten
nicht, daß ein werdender Schriftsteller sich verdorben hat dadurch, daß er Schrift¬
steller von Beruf wurde.

Wären alle Verufsschriftsteller wirkliche Schriftsteller, die Pfuscherei un¬
berufener Dilettanten könnte ihrem Beruf und seinen Interessen nicht schaden.
Niemand würde die Erzeugnisse ihrer Kunst mit den unfertigen Versuchen jener
verwechseln, die Dilettantcnwerke würden lcinter scharfe Kritiker und gar keine
nachsichtigen Leser finden. Pfuschende Dilettanten müßten in der Stille dichten
und schreiben, sich zum Vergnügen und niemandem zur Last. Aber die schlimmsten
Pfuscher gehören heute zum Handwerk, schädigen ihren eignen Beruf und ver¬
wischen die Grenzen zwischen Dilettantismus und Meisterschaft. Sie begehen
alle die Fehler, die in allen Künsten den stümperhaften Dilettantismus kenn¬
zeichnen. Sie sind "ohne Ernst, halb und charakterlos," flüchtig und ohne
Kenntnis der ästhetischen Grundregeln; in der Poesie drechseln sie Dichtungen
aus Dichtungen als unbewußte Plagiate einer Reihe von Vorbildern, leere
Formspielerei ohne Gehalt, und in der Prosa mißhandeln sie ihre Muttersprache,
die hier allerdings nicht "für sie dichtet und denkt," da man sich im Deutschen
seinen Prosastil selbst bilden muß. Es ist zum Erbarmen, was diese Herren
vom Handwerk in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern für ein Deutsch schreiben,
und wie sie sich beeilen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel stilistische Fehler


Dilettantismus und Berufsschriftstellertuin.

Schriftsteller. Die schlechten Schriftsteller gelten ihm als die wahren und ein¬
zigen dilettantischen Pfuscher, mögen sie auch altgesessene Zunftgenossen des
literarischen Handwerks sein; wahre Meister aber sind für ihn nur die guten
Schriftsteller, und schrieben sie ihr Lebelang aus Liebhaberei in Nebenstunden.
Wir wollen den Begriff der künstlerischen Meisterschaft voranstellen und das
bürgerliche Schriftstellertum bescheiden folgen lassen. Daß die Meisterschaft
Mühe macht, weiß alle Welt; auch wer zum Meister bestimmt ist, wird nicht
als Meister geboren. Arbeit und Übung bilden zur Meisterschaft. Aber in der
Literatur sind die Früchte dieses Fleißes den „Dilettanten" gleich erreichbar wie
den Berufsschriftstelleru. Denn weder in der Dichtkunst noch in der Prosa giebt
es geheime Handwerksgriffc, die nur den Lehrlingen der Zunft bekanntwürden;
was zur literarischen Technik gehört, kann jeder Gebildete lernen, und die schrift¬
stellerischen Talente nutzen die mannichfachen sprachlichen, ästhetischen und wissen¬
schaftlichen Anweisungen in steter Arbeit zur Ausbildung einer persönlichen Kunst-
weise. Zunft oder nicht, das thut hier garnichts. Vielleicht schadet sie sogar.
Ohne Zweifel hat der uuzünftlerischc Schriftsteller mehr Gelegenheit zu gewissen¬
haften, mühsamen und zeitraubenden Kunstübungen, als der Verufsschriftsteller,
der vielleicht im Dienste der Tagespresse vom Ertrage seiner Feder lebt. Wie
manches muß er da schreiben, was er lieber uicht schriebe, wie ost drängt da
die Zeit, der Setzerjunge oder der Verleger, und wie wenig Zeit kann er im
ganzen auf reine Studien und Übungen verwenden, denen er, höchst ungern
vielleicht, entsagen muß, weil sie nichts einbringen. Die Fälle sind so selten
nicht, daß ein werdender Schriftsteller sich verdorben hat dadurch, daß er Schrift¬
steller von Beruf wurde.

Wären alle Verufsschriftsteller wirkliche Schriftsteller, die Pfuscherei un¬
berufener Dilettanten könnte ihrem Beruf und seinen Interessen nicht schaden.
Niemand würde die Erzeugnisse ihrer Kunst mit den unfertigen Versuchen jener
verwechseln, die Dilettantcnwerke würden lcinter scharfe Kritiker und gar keine
nachsichtigen Leser finden. Pfuschende Dilettanten müßten in der Stille dichten
und schreiben, sich zum Vergnügen und niemandem zur Last. Aber die schlimmsten
Pfuscher gehören heute zum Handwerk, schädigen ihren eignen Beruf und ver¬
wischen die Grenzen zwischen Dilettantismus und Meisterschaft. Sie begehen
alle die Fehler, die in allen Künsten den stümperhaften Dilettantismus kenn¬
zeichnen. Sie sind „ohne Ernst, halb und charakterlos," flüchtig und ohne
Kenntnis der ästhetischen Grundregeln; in der Poesie drechseln sie Dichtungen
aus Dichtungen als unbewußte Plagiate einer Reihe von Vorbildern, leere
Formspielerei ohne Gehalt, und in der Prosa mißhandeln sie ihre Muttersprache,
die hier allerdings nicht „für sie dichtet und denkt," da man sich im Deutschen
seinen Prosastil selbst bilden muß. Es ist zum Erbarmen, was diese Herren
vom Handwerk in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern für ein Deutsch schreiben,
und wie sie sich beeilen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel stilistische Fehler


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[0086] Dilettantismus und Berufsschriftstellertuin. Schriftsteller. Die schlechten Schriftsteller gelten ihm als die wahren und ein¬ zigen dilettantischen Pfuscher, mögen sie auch altgesessene Zunftgenossen des literarischen Handwerks sein; wahre Meister aber sind für ihn nur die guten Schriftsteller, und schrieben sie ihr Lebelang aus Liebhaberei in Nebenstunden. Wir wollen den Begriff der künstlerischen Meisterschaft voranstellen und das bürgerliche Schriftstellertum bescheiden folgen lassen. Daß die Meisterschaft Mühe macht, weiß alle Welt; auch wer zum Meister bestimmt ist, wird nicht als Meister geboren. Arbeit und Übung bilden zur Meisterschaft. Aber in der Literatur sind die Früchte dieses Fleißes den „Dilettanten" gleich erreichbar wie den Berufsschriftstelleru. Denn weder in der Dichtkunst noch in der Prosa giebt es geheime Handwerksgriffc, die nur den Lehrlingen der Zunft bekanntwürden; was zur literarischen Technik gehört, kann jeder Gebildete lernen, und die schrift¬ stellerischen Talente nutzen die mannichfachen sprachlichen, ästhetischen und wissen¬ schaftlichen Anweisungen in steter Arbeit zur Ausbildung einer persönlichen Kunst- weise. Zunft oder nicht, das thut hier garnichts. Vielleicht schadet sie sogar. Ohne Zweifel hat der uuzünftlerischc Schriftsteller mehr Gelegenheit zu gewissen¬ haften, mühsamen und zeitraubenden Kunstübungen, als der Verufsschriftsteller, der vielleicht im Dienste der Tagespresse vom Ertrage seiner Feder lebt. Wie manches muß er da schreiben, was er lieber uicht schriebe, wie ost drängt da die Zeit, der Setzerjunge oder der Verleger, und wie wenig Zeit kann er im ganzen auf reine Studien und Übungen verwenden, denen er, höchst ungern vielleicht, entsagen muß, weil sie nichts einbringen. Die Fälle sind so selten nicht, daß ein werdender Schriftsteller sich verdorben hat dadurch, daß er Schrift¬ steller von Beruf wurde. Wären alle Verufsschriftsteller wirkliche Schriftsteller, die Pfuscherei un¬ berufener Dilettanten könnte ihrem Beruf und seinen Interessen nicht schaden. Niemand würde die Erzeugnisse ihrer Kunst mit den unfertigen Versuchen jener verwechseln, die Dilettantcnwerke würden lcinter scharfe Kritiker und gar keine nachsichtigen Leser finden. Pfuschende Dilettanten müßten in der Stille dichten und schreiben, sich zum Vergnügen und niemandem zur Last. Aber die schlimmsten Pfuscher gehören heute zum Handwerk, schädigen ihren eignen Beruf und ver¬ wischen die Grenzen zwischen Dilettantismus und Meisterschaft. Sie begehen alle die Fehler, die in allen Künsten den stümperhaften Dilettantismus kenn¬ zeichnen. Sie sind „ohne Ernst, halb und charakterlos," flüchtig und ohne Kenntnis der ästhetischen Grundregeln; in der Poesie drechseln sie Dichtungen aus Dichtungen als unbewußte Plagiate einer Reihe von Vorbildern, leere Formspielerei ohne Gehalt, und in der Prosa mißhandeln sie ihre Muttersprache, die hier allerdings nicht „für sie dichtet und denkt," da man sich im Deutschen seinen Prosastil selbst bilden muß. Es ist zum Erbarmen, was diese Herren vom Handwerk in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern für ein Deutsch schreiben, und wie sie sich beeilen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel stilistische Fehler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/86>, abgerufen am 24.11.2024.