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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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<Lin Grundproblem dos Uunstgeworbes.

wünschten Massenproduktion: das Kuusthmwwerk wird durch sie mehr und mehr
zur Kunstindustrie.

Je größer die Anwendung der Maschine ist, desto mehr wird mit der Hand
zugleich der Ausdruck der Persönlichkeit zurückgedrängt; an Stelle der Unmittel¬
barkeit der Formensprache tritt die seelenlose Regelmäßigkeit, welche mehr das
Erstaunen über die besiegte Schwierigkeit, als die Freude über eine nach har¬
monischer Gestaltung ringende Thätigkeit bewirkt, also mehr den Eindruck des
Kunststücks als den der Kunstschöpfung erzeugt. Mangelt aber bei dem Schöpfer
der Ausdruck persönlich empfundener Thätigkeit, so stumpft sich bei dem Be¬
schauer die Empfindnngsfühigkeit für das künstlerische Schaffen und damit die
wesentliche Voraussetzung eines über das Bewußtwerden regelrechter Verhält¬
nisse hinausgehenden ästhetische:? Genusses ab. Nun wird aber ferner die
Massenproduktion das Bestreben haben, Formen, welche in kostbareren Stoffen
Beifall gefunden haben, auch in billigeren Stoffen auszunutzen. Geschähe das
mit Berücksichtigung der Natur dieser Stoffe, sodaß eine entsprechende Umge¬
staltung stattfände, so wäre das der durchaus berechtigte Vorgang des Stoff¬
wechsels: an Stelle des Teppichs tritt die Tapete, welche die dnrch den Wechsel
der Technik unabhängig gewordne Form, auch wenn sie die Erinnerung an
den Teppich festhält, dennoch unendlich freier und mannichfaltiger gestalten kann,
als die Technik der Weberei je gestattet hätte. In der Regel aber wird dies
Ersetzen dahin gehen, dem billigeren Stoffe das Aussehen des kostbareren zu
geben: der Stoffwechsel geht auf Täuschung aus, die Tapete soll aussehen, als
ob sie ein Gewebe wäre, statt daß unter Bekennung ihres Stoffes und unter
Verwertung der durch den Druck gebotenen Erleichterungen und Erweiterungen
des Formengebietes nur eine Erinnerung an den Teppich festgehalten und er¬
strebt würde. Damit ist aber der falsche Weg betreten, welcher das Kunstge¬
werbe schädigt und das Publikum irreführt.

Glücklicherweise wird nicht die ganze Massenproduktion von diesem traurigen
Bestreben uach Stosftüuschung beherrscht. Es scheint doch auch hier allmählich
der Gedanke durchzuringen, daß die Grundbedingung sür eine gedeihliche kunst¬
gewerbliche Thätigkeit in dem offnen Bekenntnis des Stoffes liegt; erst so wird
die künstlerische Verwertung seiner eigentümlichen Kräfte ermöglicht und das Ver¬
ständnis für sie und damit auch für die Berechtigung der Anwendung des neuen
Stoffes gewonnen. Ist dies aber der Fall, so kann sich die dnrch die Technik
bedingte Arbeitsteilung bei der Maschinenproduktion auch wieder segensreich
erweisen. Während die technische Herstellung eine Sache für sich ist, gelangt
andrerseits die erfindende Thätigkeit des Erfinders zu erhöhter Bedeutung. So
scheidet sich aus der großen Masse der Produzirenden ein kleiner Teil, der
künstlerisch schaffende, aus. Ihm ist es möglich, sich eine höhere künstlerische
Vorbildung zu verschaffen, die Natur der zu behandelnden Stoffe sich klar zu
machen, die historische Entwicklung der Sprache der bildlichen Formen, sowie


<Lin Grundproblem dos Uunstgeworbes.

wünschten Massenproduktion: das Kuusthmwwerk wird durch sie mehr und mehr
zur Kunstindustrie.

Je größer die Anwendung der Maschine ist, desto mehr wird mit der Hand
zugleich der Ausdruck der Persönlichkeit zurückgedrängt; an Stelle der Unmittel¬
barkeit der Formensprache tritt die seelenlose Regelmäßigkeit, welche mehr das
Erstaunen über die besiegte Schwierigkeit, als die Freude über eine nach har¬
monischer Gestaltung ringende Thätigkeit bewirkt, also mehr den Eindruck des
Kunststücks als den der Kunstschöpfung erzeugt. Mangelt aber bei dem Schöpfer
der Ausdruck persönlich empfundener Thätigkeit, so stumpft sich bei dem Be¬
schauer die Empfindnngsfühigkeit für das künstlerische Schaffen und damit die
wesentliche Voraussetzung eines über das Bewußtwerden regelrechter Verhält¬
nisse hinausgehenden ästhetische:? Genusses ab. Nun wird aber ferner die
Massenproduktion das Bestreben haben, Formen, welche in kostbareren Stoffen
Beifall gefunden haben, auch in billigeren Stoffen auszunutzen. Geschähe das
mit Berücksichtigung der Natur dieser Stoffe, sodaß eine entsprechende Umge¬
staltung stattfände, so wäre das der durchaus berechtigte Vorgang des Stoff¬
wechsels: an Stelle des Teppichs tritt die Tapete, welche die dnrch den Wechsel
der Technik unabhängig gewordne Form, auch wenn sie die Erinnerung an
den Teppich festhält, dennoch unendlich freier und mannichfaltiger gestalten kann,
als die Technik der Weberei je gestattet hätte. In der Regel aber wird dies
Ersetzen dahin gehen, dem billigeren Stoffe das Aussehen des kostbareren zu
geben: der Stoffwechsel geht auf Täuschung aus, die Tapete soll aussehen, als
ob sie ein Gewebe wäre, statt daß unter Bekennung ihres Stoffes und unter
Verwertung der durch den Druck gebotenen Erleichterungen und Erweiterungen
des Formengebietes nur eine Erinnerung an den Teppich festgehalten und er¬
strebt würde. Damit ist aber der falsche Weg betreten, welcher das Kunstge¬
werbe schädigt und das Publikum irreführt.

Glücklicherweise wird nicht die ganze Massenproduktion von diesem traurigen
Bestreben uach Stosftüuschung beherrscht. Es scheint doch auch hier allmählich
der Gedanke durchzuringen, daß die Grundbedingung sür eine gedeihliche kunst¬
gewerbliche Thätigkeit in dem offnen Bekenntnis des Stoffes liegt; erst so wird
die künstlerische Verwertung seiner eigentümlichen Kräfte ermöglicht und das Ver¬
ständnis für sie und damit auch für die Berechtigung der Anwendung des neuen
Stoffes gewonnen. Ist dies aber der Fall, so kann sich die dnrch die Technik
bedingte Arbeitsteilung bei der Maschinenproduktion auch wieder segensreich
erweisen. Während die technische Herstellung eine Sache für sich ist, gelangt
andrerseits die erfindende Thätigkeit des Erfinders zu erhöhter Bedeutung. So
scheidet sich aus der großen Masse der Produzirenden ein kleiner Teil, der
künstlerisch schaffende, aus. Ihm ist es möglich, sich eine höhere künstlerische
Vorbildung zu verschaffen, die Natur der zu behandelnden Stoffe sich klar zu
machen, die historische Entwicklung der Sprache der bildlichen Formen, sowie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/82>, abgerufen am 27.07.2024.