Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Lin Grundproblem des Kunstgewerbes. in demselben Grade wächst, in welchem die kunstgewerbliche Schöpfung sich von Aber auch wenn die symbolische Bedeutung der Form erkannt ist, bietet die Lin Grundproblem des Kunstgewerbes. in demselben Grade wächst, in welchem die kunstgewerbliche Schöpfung sich von Aber auch wenn die symbolische Bedeutung der Form erkannt ist, bietet die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196180"/> <fw type="header" place="top"> Lin Grundproblem des Kunstgewerbes.</fw><lb/> <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> in demselben Grade wächst, in welchem die kunstgewerbliche Schöpfung sich von<lb/> ihrem sichersten Vorbilde oder doch wenigstens ihrem sichersten Leitstern, der<lb/> Architektur, entfernt. In der Architektur, die nach ihrer bildlichen Seite hin<lb/> sehr wohl zum Kunsthandwerk zu rechnen ist, kommen die wirkenden Kräfte natur¬<lb/> gemäß am deutlichsten zum Bewußtsein, sodaß anch da, wo sie zeitweilig ver¬<lb/> dunkelt werden und die Fvrmsprciche zur Willkür wird, ihre ursprüngliche Be¬<lb/> deutung sich doch immer wieder am ersten hervordrängt und einen reinigenden<lb/> Einfluß auch auf das mit ihr Zusammenhängende auszuüben vermag. Wo<lb/> aber dieser Zusammenhang aufhört, wo, wie beim Ausputz der eignen Er¬<lb/> scheinung, die subjektive Willkür ungehemmt hervorbricht und jeder Laune, jeder<lb/> Liebhaberei der Weg offen steht, da hat der Mangel an Stilgefühl, wie er sich<lb/> im Mißverständnis des Verhältnisses der Form zu der praktischen Verwendung<lb/> des zu solchem Zwecke umgestalteten Stoffes zeigt, ein unerschöpfliches Feld.</p><lb/> <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> Aber auch wenn die symbolische Bedeutung der Form erkannt ist, bietet die<lb/> Behandlung der Form Schwierigkeiten, welche ihre Lösung nur in der richtigen<lb/> Erfassung der symbolischen Aufgabe der bildlichen Form finden können. Darf<lb/> diese dahin bestimmt werden, daß sie die im praktischen Gebrauche zur<lb/> Verwendung kommende Kraft des Stoffes, seine gerade hier wirkende Funk¬<lb/> tion für die Anschauung andeuten soll, so ist die Art, wie das geschehen<lb/> kaun, doch eine vielfache. Im wesentlichen wird sie sich aber auf die Haupt¬<lb/> unterschiede in der Behandlung der bildlichen Form überhaupt zurückführen<lb/> lassen. Die bildliche Form giebt entweder ein allgemein andeutendes oder ein<lb/> realistisch getreues oder ein die Natur gleichsam selbst ersetzendes naturalistisches<lb/> Bild. Auf der ersten Stufe bewahrt der Stoff am deutlichsten seine Natur<lb/> und kommt daher in seiner Eigentümlichkeit am meisten zur Geltung, auf der<lb/> zweiten wird er der keine eigne Bedeutung beanspruchende Träger der zur Haupt¬<lb/> sache gewordenen Form, auf der dritten sucht der Stoff seiue Natur abzuleugnen,<lb/> damit sich die Form entwickeln kann, als ob sie ihren eignen Stoff zur Ver¬<lb/> fügung hätte. Bezeichnet man die erste Stufe als die stilisirende, die zweite<lb/> als die realistische, die dritte als die naturalistische, so ergiebt sich leicht aus<lb/> dem Verhältnis, welches bei der kunstgewerblichen Schöpfung die bildliche Form<lb/> zum Stoffe hat, daß hier, wo sie als helfende und dienende Macht, als sprach¬<lb/> liches Ausdrucksmittel erscheint, ihr nur die Stellung zukommt, bei welcher der<lb/> Stoff das herrschende Element bleibt. Die Wildform wird sich also den stili-<lb/> sirenden, nur allgemein andeutenden Charakter bewahren müssen. Dieser aber<lb/> wird wesentlich darin bestehen, daß die einzelnen Teile sich den einfachsten Form¬<lb/> gesetzen unterwerfen, wie sie bei rein linearen Gestaltungen herrschen, und in<lb/> welchen jede individuelle Regung unterdrückt wird, den Gesetzen des Parallelis¬<lb/> mus, der Symmetrie, der Proportionen. Es ist klar, daß hierdurch in das<lb/> Ganze der kunstgewerblichen Schöpfung Stileinheit kommt: die nichtbildlichen<lb/> Gestaltungen des Gegenstandes unterliegen denselben Formgesetzen, welchen sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
Lin Grundproblem des Kunstgewerbes.
in demselben Grade wächst, in welchem die kunstgewerbliche Schöpfung sich von
ihrem sichersten Vorbilde oder doch wenigstens ihrem sichersten Leitstern, der
Architektur, entfernt. In der Architektur, die nach ihrer bildlichen Seite hin
sehr wohl zum Kunsthandwerk zu rechnen ist, kommen die wirkenden Kräfte natur¬
gemäß am deutlichsten zum Bewußtsein, sodaß anch da, wo sie zeitweilig ver¬
dunkelt werden und die Fvrmsprciche zur Willkür wird, ihre ursprüngliche Be¬
deutung sich doch immer wieder am ersten hervordrängt und einen reinigenden
Einfluß auch auf das mit ihr Zusammenhängende auszuüben vermag. Wo
aber dieser Zusammenhang aufhört, wo, wie beim Ausputz der eignen Er¬
scheinung, die subjektive Willkür ungehemmt hervorbricht und jeder Laune, jeder
Liebhaberei der Weg offen steht, da hat der Mangel an Stilgefühl, wie er sich
im Mißverständnis des Verhältnisses der Form zu der praktischen Verwendung
des zu solchem Zwecke umgestalteten Stoffes zeigt, ein unerschöpfliches Feld.
Aber auch wenn die symbolische Bedeutung der Form erkannt ist, bietet die
Behandlung der Form Schwierigkeiten, welche ihre Lösung nur in der richtigen
Erfassung der symbolischen Aufgabe der bildlichen Form finden können. Darf
diese dahin bestimmt werden, daß sie die im praktischen Gebrauche zur
Verwendung kommende Kraft des Stoffes, seine gerade hier wirkende Funk¬
tion für die Anschauung andeuten soll, so ist die Art, wie das geschehen
kaun, doch eine vielfache. Im wesentlichen wird sie sich aber auf die Haupt¬
unterschiede in der Behandlung der bildlichen Form überhaupt zurückführen
lassen. Die bildliche Form giebt entweder ein allgemein andeutendes oder ein
realistisch getreues oder ein die Natur gleichsam selbst ersetzendes naturalistisches
Bild. Auf der ersten Stufe bewahrt der Stoff am deutlichsten seine Natur
und kommt daher in seiner Eigentümlichkeit am meisten zur Geltung, auf der
zweiten wird er der keine eigne Bedeutung beanspruchende Träger der zur Haupt¬
sache gewordenen Form, auf der dritten sucht der Stoff seiue Natur abzuleugnen,
damit sich die Form entwickeln kann, als ob sie ihren eignen Stoff zur Ver¬
fügung hätte. Bezeichnet man die erste Stufe als die stilisirende, die zweite
als die realistische, die dritte als die naturalistische, so ergiebt sich leicht aus
dem Verhältnis, welches bei der kunstgewerblichen Schöpfung die bildliche Form
zum Stoffe hat, daß hier, wo sie als helfende und dienende Macht, als sprach¬
liches Ausdrucksmittel erscheint, ihr nur die Stellung zukommt, bei welcher der
Stoff das herrschende Element bleibt. Die Wildform wird sich also den stili-
sirenden, nur allgemein andeutenden Charakter bewahren müssen. Dieser aber
wird wesentlich darin bestehen, daß die einzelnen Teile sich den einfachsten Form¬
gesetzen unterwerfen, wie sie bei rein linearen Gestaltungen herrschen, und in
welchen jede individuelle Regung unterdrückt wird, den Gesetzen des Parallelis¬
mus, der Symmetrie, der Proportionen. Es ist klar, daß hierdurch in das
Ganze der kunstgewerblichen Schöpfung Stileinheit kommt: die nichtbildlichen
Gestaltungen des Gegenstandes unterliegen denselben Formgesetzen, welchen sich
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