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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gin Grundproblem des Aunstgewerbes.

den Draht sehr viel dünner zu machen, als Pflcmzengeflechtc praktischerweise
sein können; es wird sich also als Nachgiebigkeit der Form gegenüber der Natur
des Stoffes der Umstand herausstellen, daß das Geflecht in seinen Bestandteilen
viel feiner wird, als es bei dem Vorbilde der Fall gewesen ist: damit ist aber
eine täuschende Nachbildung von vornherein ausgeschlossen. Wäre das Flecht¬
werk des Vorbildes ein sehr dichtes gewesen, so bliebe die allzugroße Schwere
bestehen; es wird sich also als weitere Folge ergeben, daß daß Geflecht ein
lichtes wird: die Natur des Stoffes erzwingt sich die Nachgiebigkeit der Form.
Wäre aber auch das Vorbild ein lichtes Geflecht gewesen, so träte die Natur
des Stoffes in seiner formnmbildenden Kraft dennoch gleichfalls in der Ver¬
feinerung des Flechtwerks hervor.

Die Metalltechnik bietet aber zur Nachahmung auch andre Mittel, welche
der Natur des Metalles vielleicht noch besser entsprechen: das Gießen und
das Schmieden. In beiden Fällen wird an Stelle des Geflechtes die Wandung
treten, und falls das Geflecht, auch hier der größern Leichtigkeit wegen als
lichtes, beibehalten werden soll, so wird eine Durchlöcherung eintreten, welche
die freien Stellen des Geflechtes andeuten sollen. Damit fällt aber das für
das Geflecht natürliche Durchschlingen der Flechten weg, die Wandung bewahrt
dieselbe Ebene, und die Durchlöcherung, die nun nicht mehr Folge der konstruk¬
tiven Beschaffenheit ist, wird ornamentales Element. Damit gewinnt sie eine
große Freiheit. Sie kann zu Figuren zusammentreten, welche bei der Technik
des Flechtens garnicht oder nur sehr schwer zu erreichen gewesen wären: die
Natur des neuen Stoffes hat die nachgiebige Form in ihr zusagende Bil¬
dungen gezwungen und gelangt dadurch auf Bahnen, welche der ursprünglichen
Form verschlossen waren. Sehr schön zeigen diesen Fortgang die metallene"
Siebe oder Durchlässe, welche an Stelle der geflochtenen getreten sind, und
deren Durchlöcherung infolge der Natur des neuen Stoffes diesem entsprechend
umgestaltet und dadurch ornamental behandelt wird: in ihrem praktischen Zwecke
wird sie dadurch nicht gehindert.

Nun soll das Körbchen in Thon nachgebildet werden. Die Bildsamkeit
des Stoffes ließe die genaue Nachahmung sehr wohl zu; allein die Gebrech¬
lichkeit des gebrannten Thors sowie die Schwierigkeit bei der immer neuen Mo-
delliruug jedes einzelnen Stückes treten hindernd ein. Aus beiden Gründen
erscheint die uudurchbrocheue glatte Wandung der Natur des Stoffes und der
gewöhnlichen Art der Herstellung des Gefäßes auf der Scheibe allein entsprechend.
Soll das Gefäß dennoch nachahmende Bedeutung haben, so bietet gerade die
glatte Wandung ein gutes Mittel, durch Einritzung oder durch Farbenauftrag
an die Form des Vorbildes zu erinnern. Gerade weil aber hierdurch nur er¬
innert, nicht getäuscht werden soll, gewinnt diese nachbildende, erinnernde Form
volle Freiheit der Entwicklung, die allmählich zu einer solchen Selbständigkeit
und Unabhängigkeit führt, daß die Art die Entstehung mit der Zeit vollständig
verdunkelt wird.


Gin Grundproblem des Aunstgewerbes.

den Draht sehr viel dünner zu machen, als Pflcmzengeflechtc praktischerweise
sein können; es wird sich also als Nachgiebigkeit der Form gegenüber der Natur
des Stoffes der Umstand herausstellen, daß das Geflecht in seinen Bestandteilen
viel feiner wird, als es bei dem Vorbilde der Fall gewesen ist: damit ist aber
eine täuschende Nachbildung von vornherein ausgeschlossen. Wäre das Flecht¬
werk des Vorbildes ein sehr dichtes gewesen, so bliebe die allzugroße Schwere
bestehen; es wird sich also als weitere Folge ergeben, daß daß Geflecht ein
lichtes wird: die Natur des Stoffes erzwingt sich die Nachgiebigkeit der Form.
Wäre aber auch das Vorbild ein lichtes Geflecht gewesen, so träte die Natur
des Stoffes in seiner formnmbildenden Kraft dennoch gleichfalls in der Ver¬
feinerung des Flechtwerks hervor.

Die Metalltechnik bietet aber zur Nachahmung auch andre Mittel, welche
der Natur des Metalles vielleicht noch besser entsprechen: das Gießen und
das Schmieden. In beiden Fällen wird an Stelle des Geflechtes die Wandung
treten, und falls das Geflecht, auch hier der größern Leichtigkeit wegen als
lichtes, beibehalten werden soll, so wird eine Durchlöcherung eintreten, welche
die freien Stellen des Geflechtes andeuten sollen. Damit fällt aber das für
das Geflecht natürliche Durchschlingen der Flechten weg, die Wandung bewahrt
dieselbe Ebene, und die Durchlöcherung, die nun nicht mehr Folge der konstruk¬
tiven Beschaffenheit ist, wird ornamentales Element. Damit gewinnt sie eine
große Freiheit. Sie kann zu Figuren zusammentreten, welche bei der Technik
des Flechtens garnicht oder nur sehr schwer zu erreichen gewesen wären: die
Natur des neuen Stoffes hat die nachgiebige Form in ihr zusagende Bil¬
dungen gezwungen und gelangt dadurch auf Bahnen, welche der ursprünglichen
Form verschlossen waren. Sehr schön zeigen diesen Fortgang die metallene»
Siebe oder Durchlässe, welche an Stelle der geflochtenen getreten sind, und
deren Durchlöcherung infolge der Natur des neuen Stoffes diesem entsprechend
umgestaltet und dadurch ornamental behandelt wird: in ihrem praktischen Zwecke
wird sie dadurch nicht gehindert.

Nun soll das Körbchen in Thon nachgebildet werden. Die Bildsamkeit
des Stoffes ließe die genaue Nachahmung sehr wohl zu; allein die Gebrech¬
lichkeit des gebrannten Thors sowie die Schwierigkeit bei der immer neuen Mo-
delliruug jedes einzelnen Stückes treten hindernd ein. Aus beiden Gründen
erscheint die uudurchbrocheue glatte Wandung der Natur des Stoffes und der
gewöhnlichen Art der Herstellung des Gefäßes auf der Scheibe allein entsprechend.
Soll das Gefäß dennoch nachahmende Bedeutung haben, so bietet gerade die
glatte Wandung ein gutes Mittel, durch Einritzung oder durch Farbenauftrag
an die Form des Vorbildes zu erinnern. Gerade weil aber hierdurch nur er¬
innert, nicht getäuscht werden soll, gewinnt diese nachbildende, erinnernde Form
volle Freiheit der Entwicklung, die allmählich zu einer solchen Selbständigkeit
und Unabhängigkeit führt, daß die Art die Entstehung mit der Zeit vollständig
verdunkelt wird.


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[0077] Gin Grundproblem des Aunstgewerbes. den Draht sehr viel dünner zu machen, als Pflcmzengeflechtc praktischerweise sein können; es wird sich also als Nachgiebigkeit der Form gegenüber der Natur des Stoffes der Umstand herausstellen, daß das Geflecht in seinen Bestandteilen viel feiner wird, als es bei dem Vorbilde der Fall gewesen ist: damit ist aber eine täuschende Nachbildung von vornherein ausgeschlossen. Wäre das Flecht¬ werk des Vorbildes ein sehr dichtes gewesen, so bliebe die allzugroße Schwere bestehen; es wird sich also als weitere Folge ergeben, daß daß Geflecht ein lichtes wird: die Natur des Stoffes erzwingt sich die Nachgiebigkeit der Form. Wäre aber auch das Vorbild ein lichtes Geflecht gewesen, so träte die Natur des Stoffes in seiner formnmbildenden Kraft dennoch gleichfalls in der Ver¬ feinerung des Flechtwerks hervor. Die Metalltechnik bietet aber zur Nachahmung auch andre Mittel, welche der Natur des Metalles vielleicht noch besser entsprechen: das Gießen und das Schmieden. In beiden Fällen wird an Stelle des Geflechtes die Wandung treten, und falls das Geflecht, auch hier der größern Leichtigkeit wegen als lichtes, beibehalten werden soll, so wird eine Durchlöcherung eintreten, welche die freien Stellen des Geflechtes andeuten sollen. Damit fällt aber das für das Geflecht natürliche Durchschlingen der Flechten weg, die Wandung bewahrt dieselbe Ebene, und die Durchlöcherung, die nun nicht mehr Folge der konstruk¬ tiven Beschaffenheit ist, wird ornamentales Element. Damit gewinnt sie eine große Freiheit. Sie kann zu Figuren zusammentreten, welche bei der Technik des Flechtens garnicht oder nur sehr schwer zu erreichen gewesen wären: die Natur des neuen Stoffes hat die nachgiebige Form in ihr zusagende Bil¬ dungen gezwungen und gelangt dadurch auf Bahnen, welche der ursprünglichen Form verschlossen waren. Sehr schön zeigen diesen Fortgang die metallene» Siebe oder Durchlässe, welche an Stelle der geflochtenen getreten sind, und deren Durchlöcherung infolge der Natur des neuen Stoffes diesem entsprechend umgestaltet und dadurch ornamental behandelt wird: in ihrem praktischen Zwecke wird sie dadurch nicht gehindert. Nun soll das Körbchen in Thon nachgebildet werden. Die Bildsamkeit des Stoffes ließe die genaue Nachahmung sehr wohl zu; allein die Gebrech¬ lichkeit des gebrannten Thors sowie die Schwierigkeit bei der immer neuen Mo- delliruug jedes einzelnen Stückes treten hindernd ein. Aus beiden Gründen erscheint die uudurchbrocheue glatte Wandung der Natur des Stoffes und der gewöhnlichen Art der Herstellung des Gefäßes auf der Scheibe allein entsprechend. Soll das Gefäß dennoch nachahmende Bedeutung haben, so bietet gerade die glatte Wandung ein gutes Mittel, durch Einritzung oder durch Farbenauftrag an die Form des Vorbildes zu erinnern. Gerade weil aber hierdurch nur er¬ innert, nicht getäuscht werden soll, gewinnt diese nachbildende, erinnernde Form volle Freiheit der Entwicklung, die allmählich zu einer solchen Selbständigkeit und Unabhängigkeit führt, daß die Art die Entstehung mit der Zeit vollständig verdunkelt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/77>, abgerufen am 24.11.2024.