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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Privatkapitals.

fassender Kaualbauteu platirt. Der Artikel wies nach, daß, wenn die Kanäle
auch nicht sofort eine den Anlagekosten entsprechende Rente liefern würden, doch
dem fortwährenden Sinken der Preise gesteuert werden könnte. Und doch nahm
der Verfasser an, daß die erforderlichen Gelder erst durch neue Anleihen auf¬
gebracht werden müßten. Um wieviel mehr könnte man auf solche Wirkungen
bauen, wenn man die Mittel einfach dnrch Einstellen der Schuldentilgung be¬
schaffte.

Es bliebe noch eine Frage zu beantworten übrig: Ist denn der niedrige
Stand des Zinsfußes nicht eine vorübergehende Erscheinung, wird dem Sinken
nicht bald eine Periode des Steigens folgen, ist es also nicht unnötig, daß sich
der Staat mit diesem Phänomen beschäftige?

Wir antworten: Nein! Die alten Kulturländer sind reich an Kapital, und
sie erzeugen alljährlich eine so ungeheure Menge neuer Kapitalien, daß an eine
ausgiebige Beschäftigung derselben so lange nicht zu denken ist, als uns nicht neue
großartige Aufgaben gestellt werden, als nicht unsre Hilfe angerufen und gewährt
wird, etwa zur Überziehung Asiens, Afrikas, Südamerikas mit Eisenbahnen und
Telegraphen, zur Überleitung der südamerikanischen Staaten zu rationeller und mit
Maschinen betriebener Landwirtschaft, und ähnlichem mehr. Wenn das Kapital der
alten Kulturländer schaffensfroh zu solchen Unternehmungen ausziehen wird, wie
unsre fernen Ahnen einst zum gelobten Lande zogen und nähere Ahnen zu dem neu-
entdeckten Amerika, dann allerdings wird abendländisches Kapital und abend¬
ländische Arbeit volle und lohnende Beschäftigung finden. Diese Zeit wird
kommen, aber nicht so bald und nur allmählich; und dies ist vielleicht sehr gut.
Denn noch haben wir im eignen Hanse gar manches um- und neuzubaueu, und
es ist noch viel Raum übrig zur Kapitalanlage im heimischen .Kulturbau. Aber
es ist nötig, daß wir aus der Selbstzufriedenheit, die sich an den erreichten
Fortschritten genügen läßt, aufgerüttelt werden. Dies aber ist die Aufgabe des
Staates, der der Inbegriff, der Repräsentant und der Bürge unsrer Kultur
ist, und nicht bloß der Nachtwächter, wozu ihn eine gewisse Schule erniedrigen
möchte. So lange solche Aufrüttelung und Anfeuerung des wirtschaftlichen
Geistes nicht eintritt, wird der Zinsfuß weiter sinken.^)





*) Es scheint dies auch die Ansicht der Mnanzmiwner zu sei". Darauf denied z. B.
Belgien hin, welches bei der in diesen Tagen erfolgenden .Konversion der luxemburgischen
Eiseubahnschuld in N/^prozeutige Rente sich nur für acht Jahre des Küudignngsrechtes be¬
geben hat, wahrend noch vor kurzer Zeit Frankreich sich in ähnlichem Falle für zehn Jahre
gebunden hat.
Der Notstand des Privatkapitals.

fassender Kaualbauteu platirt. Der Artikel wies nach, daß, wenn die Kanäle
auch nicht sofort eine den Anlagekosten entsprechende Rente liefern würden, doch
dem fortwährenden Sinken der Preise gesteuert werden könnte. Und doch nahm
der Verfasser an, daß die erforderlichen Gelder erst durch neue Anleihen auf¬
gebracht werden müßten. Um wieviel mehr könnte man auf solche Wirkungen
bauen, wenn man die Mittel einfach dnrch Einstellen der Schuldentilgung be¬
schaffte.

Es bliebe noch eine Frage zu beantworten übrig: Ist denn der niedrige
Stand des Zinsfußes nicht eine vorübergehende Erscheinung, wird dem Sinken
nicht bald eine Periode des Steigens folgen, ist es also nicht unnötig, daß sich
der Staat mit diesem Phänomen beschäftige?

Wir antworten: Nein! Die alten Kulturländer sind reich an Kapital, und
sie erzeugen alljährlich eine so ungeheure Menge neuer Kapitalien, daß an eine
ausgiebige Beschäftigung derselben so lange nicht zu denken ist, als uns nicht neue
großartige Aufgaben gestellt werden, als nicht unsre Hilfe angerufen und gewährt
wird, etwa zur Überziehung Asiens, Afrikas, Südamerikas mit Eisenbahnen und
Telegraphen, zur Überleitung der südamerikanischen Staaten zu rationeller und mit
Maschinen betriebener Landwirtschaft, und ähnlichem mehr. Wenn das Kapital der
alten Kulturländer schaffensfroh zu solchen Unternehmungen ausziehen wird, wie
unsre fernen Ahnen einst zum gelobten Lande zogen und nähere Ahnen zu dem neu-
entdeckten Amerika, dann allerdings wird abendländisches Kapital und abend¬
ländische Arbeit volle und lohnende Beschäftigung finden. Diese Zeit wird
kommen, aber nicht so bald und nur allmählich; und dies ist vielleicht sehr gut.
Denn noch haben wir im eignen Hanse gar manches um- und neuzubaueu, und
es ist noch viel Raum übrig zur Kapitalanlage im heimischen .Kulturbau. Aber
es ist nötig, daß wir aus der Selbstzufriedenheit, die sich an den erreichten
Fortschritten genügen läßt, aufgerüttelt werden. Dies aber ist die Aufgabe des
Staates, der der Inbegriff, der Repräsentant und der Bürge unsrer Kultur
ist, und nicht bloß der Nachtwächter, wozu ihn eine gewisse Schule erniedrigen
möchte. So lange solche Aufrüttelung und Anfeuerung des wirtschaftlichen
Geistes nicht eintritt, wird der Zinsfuß weiter sinken.^)





*) Es scheint dies auch die Ansicht der Mnanzmiwner zu sei». Darauf denied z. B.
Belgien hin, welches bei der in diesen Tagen erfolgenden .Konversion der luxemburgischen
Eiseubahnschuld in N/^prozeutige Rente sich nur für acht Jahre des Küudignngsrechtes be¬
geben hat, wahrend noch vor kurzer Zeit Frankreich sich in ähnlichem Falle für zehn Jahre
gebunden hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/608>, abgerufen am 27.07.2024.