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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Notstand des Pnvatkcipiwls.

gerichtet. Allein damit ein solcher Überschuß, wenn er nicht in der eigne"
Arbeit Verwendung findet, in der Gestalt von Geld um andre überlassen werde
und das', dies in umfassenden Maßstabe geschehe, dazu sind schou hochentwickelte
Gesellschaftszustände erforderlich. Auch war die Sache nicht immer so einfach,
wie sie es heute ist. Im Mittelalter und bis in die neuere Zeit hinein konnte
derjenige, welcher Überschüsse anlegen wollte, Grundeigentum kaufen; dies war
aber nicht immer an passender Stelle und besonders für kleinere Beträge nicht
zu haben. Sein Geld ans Zinsen auszuleihen, war mir den Juden erlaubt,
die das kanonische Recht nicht band. Der Nentenkauf war kein genügender
Ersatz für das Darlehen, weil das Kapital bei dieser Vertragsform niemals
zurückkehrte und weil ans den Inhaber lautende Urkunden noch nicht erfunden
waren, durch welche die Übertragung der Rente auf einen andern ohne Schwierig-
keit hätte geschehe" könne". Die Verlegenheit wurde groß, nicht gerade i"
Deutschland, wo ewige Fehde" und Kriege dafür sorgten, daß der Wohlstand
nicht zunahm; wohl aber in England und deu Niederlanden, wo der Reichtum
rasch und mächtig gewachsen war. In katholischen Ländern half die Mutter
Kirche den Besitzern von Überschüssen gern ans der Vcrlegeiiheit, Auch die
Baulust, wie sie in vielen Städten, zum Beispiel Belgiens, in erstaunlichem
Maße herrschte, mag auf die Schwierigkeit anderweiter Geldankage zurückzuführen
sein, Macaulay giebt eine anziehende Schilderung der Lage, in welcher sich
reiche Leute in England am Ende des siebzehnten Jahrhunderts befanden, als
es noch keine Staatsschuld gab, die heute bekanntlich nach starken Tilgungen
etwa 800 Millionen Pfund Sterling oder 10 000 Millionen Mark beträgt,
Macaulay bemerkt, die Schwierigkeit, Geld anzulegen, sei so groß gewesen, das;
die Sitte, bedeutende Vaarvorräte anzuhäufen, ganz allgemein bestanden habe.
Der Vater des Dichters Pope, welcher sich um diese Zeit von Geschäften zurückzog,
habe eine Geldkiste mit ungefähr 20 000 Pfund Sterling (400 000 Mark) mit
auf seinen Landsitz genommen, um derselben von Zeit zu Zeit zu entnehmen, was
für deu Haushalt nötig war. Es ist, fährt Macaulay fort, in hohem Grade
wahrscheinlich, daß dieser Fall nicht vereinzelt war. Gegenwärtig, glaubt er,
sei das von Privatpersonen angehäufte Vaargeld so gering, daß wenn es plötzlich
in Umlauf gesetzt würde, die dadurch bewirkte Vermehrung der llmlanfsmittel
kaum bemerkt werden würde. Aber in der ersten Zeit der Regierung Wilhelms
des Dritten waren alle berufnen Schriftsteller einig, daß eine sehr erhebliche
Menge baaren Geldes bei den Privaten hinter Schloß und Riegel liege.

Es ist einleuchtend, wie sehr der Nativuakmvhlstaud dabei gewinnen mußte,
als jene Schwierigkeiten beseitigt wurden und als mit der Möglichkeit much die
Sitte, überflüssige Vaarbeträge alsbald nutzbringend anzulegen, allgemein wurde.
Tausende von Bürgern wurden erst jetzt wahrhafte Kapitalisten, d. h. Inhaber
von Beträgen, welche ausgeliehen wurden, um in der Nationalwirtschaft prv-
dnzirend mitzuarbeiten, und Milliarden wurden vom müßigen Liegen in der


Der Notstand des Pnvatkcipiwls.

gerichtet. Allein damit ein solcher Überschuß, wenn er nicht in der eigne»
Arbeit Verwendung findet, in der Gestalt von Geld um andre überlassen werde
und das', dies in umfassenden Maßstabe geschehe, dazu sind schou hochentwickelte
Gesellschaftszustände erforderlich. Auch war die Sache nicht immer so einfach,
wie sie es heute ist. Im Mittelalter und bis in die neuere Zeit hinein konnte
derjenige, welcher Überschüsse anlegen wollte, Grundeigentum kaufen; dies war
aber nicht immer an passender Stelle und besonders für kleinere Beträge nicht
zu haben. Sein Geld ans Zinsen auszuleihen, war mir den Juden erlaubt,
die das kanonische Recht nicht band. Der Nentenkauf war kein genügender
Ersatz für das Darlehen, weil das Kapital bei dieser Vertragsform niemals
zurückkehrte und weil ans den Inhaber lautende Urkunden noch nicht erfunden
waren, durch welche die Übertragung der Rente auf einen andern ohne Schwierig-
keit hätte geschehe» könne». Die Verlegenheit wurde groß, nicht gerade i»
Deutschland, wo ewige Fehde» und Kriege dafür sorgten, daß der Wohlstand
nicht zunahm; wohl aber in England und deu Niederlanden, wo der Reichtum
rasch und mächtig gewachsen war. In katholischen Ländern half die Mutter
Kirche den Besitzern von Überschüssen gern ans der Vcrlegeiiheit, Auch die
Baulust, wie sie in vielen Städten, zum Beispiel Belgiens, in erstaunlichem
Maße herrschte, mag auf die Schwierigkeit anderweiter Geldankage zurückzuführen
sein, Macaulay giebt eine anziehende Schilderung der Lage, in welcher sich
reiche Leute in England am Ende des siebzehnten Jahrhunderts befanden, als
es noch keine Staatsschuld gab, die heute bekanntlich nach starken Tilgungen
etwa 800 Millionen Pfund Sterling oder 10 000 Millionen Mark beträgt,
Macaulay bemerkt, die Schwierigkeit, Geld anzulegen, sei so groß gewesen, das;
die Sitte, bedeutende Vaarvorräte anzuhäufen, ganz allgemein bestanden habe.
Der Vater des Dichters Pope, welcher sich um diese Zeit von Geschäften zurückzog,
habe eine Geldkiste mit ungefähr 20 000 Pfund Sterling (400 000 Mark) mit
auf seinen Landsitz genommen, um derselben von Zeit zu Zeit zu entnehmen, was
für deu Haushalt nötig war. Es ist, fährt Macaulay fort, in hohem Grade
wahrscheinlich, daß dieser Fall nicht vereinzelt war. Gegenwärtig, glaubt er,
sei das von Privatpersonen angehäufte Vaargeld so gering, daß wenn es plötzlich
in Umlauf gesetzt würde, die dadurch bewirkte Vermehrung der llmlanfsmittel
kaum bemerkt werden würde. Aber in der ersten Zeit der Regierung Wilhelms
des Dritten waren alle berufnen Schriftsteller einig, daß eine sehr erhebliche
Menge baaren Geldes bei den Privaten hinter Schloß und Riegel liege.

Es ist einleuchtend, wie sehr der Nativuakmvhlstaud dabei gewinnen mußte,
als jene Schwierigkeiten beseitigt wurden und als mit der Möglichkeit much die
Sitte, überflüssige Vaarbeträge alsbald nutzbringend anzulegen, allgemein wurde.
Tausende von Bürgern wurden erst jetzt wahrhafte Kapitalisten, d. h. Inhaber
von Beträgen, welche ausgeliehen wurden, um in der Nationalwirtschaft prv-
dnzirend mitzuarbeiten, und Milliarden wurden vom müßigen Liegen in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/552>, abgerufen am 25.11.2024.