Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.geneigt, bis zum späten Morgen im Bette liegt, dann nach üppigem Frühstück Die Schwäche des menschlichen Begriffsvermögens bringt es mit sich, daß Was ist denn Kapital? Jeder Mensch, der arbeitet, strebt etwas mehr als nur seine" Lebensunter¬ geneigt, bis zum späten Morgen im Bette liegt, dann nach üppigem Frühstück Die Schwäche des menschlichen Begriffsvermögens bringt es mit sich, daß Was ist denn Kapital? Jeder Mensch, der arbeitet, strebt etwas mehr als nur seine» Lebensunter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0547" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196647"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2070" prev="#ID_2069"> geneigt, bis zum späten Morgen im Bette liegt, dann nach üppigem Frühstück<lb/> einige Stunden in seinem eleganten Kabinet mit Coupvusabschneiden beschäftigt<lb/> ist, dann in den Klub fährt, einige Zeitungen liest, ein wenig spielt, an die<lb/> Börse geht und abends nach üppigem Mahle gähnend in seiner Theaterlvge<lb/> sitzt. Wer wollte es leugne», daß es solche Menschen giebt, und wer möchte<lb/> ihnen seine Sympathie entgegenbringe!! oder den Mut haben, sie als nützliche<lb/> Glieder der Gesellschaft zu bezeichnen? Aber sind sie denn das Charakterbild<lb/> des Kapitalisten, und nicht vielmehr Ausnahmen, Auswüchse, wie sie sich in<lb/> jeder Klasse der bürgerlichen Gesellschaft finden? Bilden sie nicht, so groß<lb/> auch der Reichtum eines Einzelnen sein mag, doch nur einen mäßigen Teil<lb/> des nationalen Gesamtkapitals? Steht ihnen nicht eine unendliche Zahl höchst<lb/> achtbarer Personen gegenüber, die emsig arbeiten, die redlich mit des Lebens<lb/> Notdurft kämpfe» und gleichwohl Kapitalisten sind, und obendrein den größten<lb/> Teil des Gesamtkapitals repräsentiren?</p><lb/> <p xml:id="ID_2071"> Die Schwäche des menschlichen Begriffsvermögens bringt es mit sich, daß<lb/> wir eine Erscheinung, welche wir der Beobachtung unterziehen, nicht immer<lb/> sofort als Ganzes erfassen können, sonder» sie »ach und nach, erst von der<lb/> einen, dann von der andern Seite betrachten müssen, wobei nicht nnr die ge¬<lb/> dankenlose Menge, sondern oft auch bedächtigere Leute stehen bleiben und in<lb/> dem Wahne leben, sie hätten zwei Erscheinungen vor sich, während es doch nnr<lb/> zwei Seiten ein und derselben Erscheinung sind. So stellt man die Produzenten<lb/> als eine besondre Klasse den Konsumenten gegenüber, während doch fast aus¬<lb/> nahmslos jeder sowohl Produzent als Konsument in einer Person ist, oder wie<lb/> ein englischer Schriftsteller sagt, der reine Konsument mit dem vierzehnten Jahre<lb/> aufhört. Ebenso ist es mit Kapital und Arbeit. Wenn man zuerst die Gesetze<lb/> des Kapitals erforscht hat und dann diejenigen der Arbeit, so glaubt man zwei<lb/> verschiedne Dinge beobachtet zu haben und zwei besondre Klassen von Menschen<lb/> vor sich zu sehen, während man doch nnr zwei Seiten des sozialen Menschen<lb/> zum Gege»her»de der Forschung gemacht hat; man vergißt, daß dieser soziale<lb/> Mensch fast immer, wie Produzent und Konsument, so auch Arbeiter und Kapi¬<lb/> talist in einer Person ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2072"> Was ist denn Kapital?</p><lb/> <p xml:id="ID_2073" next="#ID_2074"> Jeder Mensch, der arbeitet, strebt etwas mehr als nur seine» Lebensunter¬<lb/> halt und den Ersatz seiner Auslagen zu gewinnen, seine Absicht ist ans einen<lb/> Überschuß gerichtet. Ein Korbflechter, wollen wir annehmen, müßte täglich zwei<lb/> Körbe flechten, um seinen Unterhalt zu bestreiten. Gelingt es ihm, drei Körbe<lb/> im Tage anzufertigen, so kann er immer den dritten Tag feiern, oder er kann<lb/> eine andre Person ernähren, eine Frau oder einen Gehilfe»; er kann damit<lb/> seine Wohnung verbessern, seinen Hausrat mehren, Land lausen, eine Vorsorge<lb/> für arbeitslose Tage der Zukunft treffen und andres mehr. Kurz, der Über¬<lb/> schuß seiner Arbeit über den Aufwand für dieselbe ist ein Kapital. Wie man</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0547]
geneigt, bis zum späten Morgen im Bette liegt, dann nach üppigem Frühstück
einige Stunden in seinem eleganten Kabinet mit Coupvusabschneiden beschäftigt
ist, dann in den Klub fährt, einige Zeitungen liest, ein wenig spielt, an die
Börse geht und abends nach üppigem Mahle gähnend in seiner Theaterlvge
sitzt. Wer wollte es leugne», daß es solche Menschen giebt, und wer möchte
ihnen seine Sympathie entgegenbringe!! oder den Mut haben, sie als nützliche
Glieder der Gesellschaft zu bezeichnen? Aber sind sie denn das Charakterbild
des Kapitalisten, und nicht vielmehr Ausnahmen, Auswüchse, wie sie sich in
jeder Klasse der bürgerlichen Gesellschaft finden? Bilden sie nicht, so groß
auch der Reichtum eines Einzelnen sein mag, doch nur einen mäßigen Teil
des nationalen Gesamtkapitals? Steht ihnen nicht eine unendliche Zahl höchst
achtbarer Personen gegenüber, die emsig arbeiten, die redlich mit des Lebens
Notdurft kämpfe» und gleichwohl Kapitalisten sind, und obendrein den größten
Teil des Gesamtkapitals repräsentiren?
Die Schwäche des menschlichen Begriffsvermögens bringt es mit sich, daß
wir eine Erscheinung, welche wir der Beobachtung unterziehen, nicht immer
sofort als Ganzes erfassen können, sonder» sie »ach und nach, erst von der
einen, dann von der andern Seite betrachten müssen, wobei nicht nnr die ge¬
dankenlose Menge, sondern oft auch bedächtigere Leute stehen bleiben und in
dem Wahne leben, sie hätten zwei Erscheinungen vor sich, während es doch nnr
zwei Seiten ein und derselben Erscheinung sind. So stellt man die Produzenten
als eine besondre Klasse den Konsumenten gegenüber, während doch fast aus¬
nahmslos jeder sowohl Produzent als Konsument in einer Person ist, oder wie
ein englischer Schriftsteller sagt, der reine Konsument mit dem vierzehnten Jahre
aufhört. Ebenso ist es mit Kapital und Arbeit. Wenn man zuerst die Gesetze
des Kapitals erforscht hat und dann diejenigen der Arbeit, so glaubt man zwei
verschiedne Dinge beobachtet zu haben und zwei besondre Klassen von Menschen
vor sich zu sehen, während man doch nnr zwei Seiten des sozialen Menschen
zum Gege»her»de der Forschung gemacht hat; man vergißt, daß dieser soziale
Mensch fast immer, wie Produzent und Konsument, so auch Arbeiter und Kapi¬
talist in einer Person ist.
Was ist denn Kapital?
Jeder Mensch, der arbeitet, strebt etwas mehr als nur seine» Lebensunter¬
halt und den Ersatz seiner Auslagen zu gewinnen, seine Absicht ist ans einen
Überschuß gerichtet. Ein Korbflechter, wollen wir annehmen, müßte täglich zwei
Körbe flechten, um seinen Unterhalt zu bestreiten. Gelingt es ihm, drei Körbe
im Tage anzufertigen, so kann er immer den dritten Tag feiern, oder er kann
eine andre Person ernähren, eine Frau oder einen Gehilfe»; er kann damit
seine Wohnung verbessern, seinen Hausrat mehren, Land lausen, eine Vorsorge
für arbeitslose Tage der Zukunft treffen und andres mehr. Kurz, der Über¬
schuß seiner Arbeit über den Aufwand für dieselbe ist ein Kapital. Wie man
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