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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Ani eine Perle.

gesondert, daß er auch ihnen für tot galt, in der Pflege des alten Arztes,
trotz der blutreinigender Medikamente desselben, sich mit der Widerstandskraft
der Jugend bis fast zu scheinbarer Genesung erholt hatte. Einzig der alte
Doktor, ein Mönch, eine alte Negerin, Antonio Maria und der Herzog selbst
wußten, daß er am Leben erhalten worden war. Für ganz Mantua war er
verschollen, und die von dem Verteidiger des alten Buonacvlsi dagegen erhobenen
Zweifel hatten das herzogliche Gericht nicht von jener Hauptbasis des über
ihn verhängten Todesurteils abzubringen vermocht.

Heute nun war der Greis in Freiheit gesetzt worden, heute erfüllte alle
Plätze und Straßen Mcmtuas die unglaubliche Kunde von Vitciliauos Sturz,
von Primaticcios Berufung in den Staatsrat, von der Schließung der ver¬
rufenen Torre della Gabbia. Schon seit Sonnenaufgang hatte die Stadt sich
mit bunten Festzeichen geschmückt, prangten in allen Fenstern farbenleuchtendc
Teppiche, umwogte die festlich gekleidete Menge die öffentlichen Gebäude und
den herzoglichen Palast.

Francesco hatte während seiner Verhandlung mit Antonio Maria wohl
hin und wieder die draußen erschallenden Evvivas vernommen, aber sie hatten
ihm keine Freude bereitet; konnte er in ihnen doch auch Veranstaltungen des
Buonacolsischen Anhanges erblicken, uicht einzig Beifallzeichen für das Einlenken
des Herzogs in ein minder unvvlkstümliches Ncgierungsshstem als das bisher
von ihm festgehaltene.

Auch bis in die Klausur Giuseppes waren jene, die ganze Stadt erfüllenden
Freudenrufe gedrungen, und wenn er schon während der letzten Zeit wieder¬
holt mit der Bitte in den alten Doktor gedrungen war, er möge den Herzog
bewegen, ihm die Gnade seines Anblicks zu gönnen, und wenn die Erfolglosigkeit
dieser Bitten die Ungewißheit über das seiner wartende Loos bis zur Unertrcig-
lichkcit gesteigert hatte, so steckte ihn jetzt die draußen herrschende, überschwänglich
sich Luft machende Frendenstimmnng an, er glaubte auch seine Erlösungsstunde
habe geschlagen und er müsse das Seine thun, um den Stein, der sein vermeintes
Grab bedecke, fortzuwälzen.

Er hatte dem Doktor zuliebe währeud der ersten Wochen, welche er
zwischen Leben und Sterben verbrachte, seine bewegungsbedürftige Natur in
einer ihm selbst schier übermenschlich dünkenden Weise gezügelt. Wie eine Wachs¬
puppe, so regungslos hatte er auf seinem Schmerzenslager dagelegen, unterhalten
einzig durch die auch bei ihm zutraulich aus- und eiufliegeudcn Tauben, aber
gemartert von Gedanken wild umherschweifender Art; denn Francescos Befehlen
gemäß war er als ein den Mantuaner Vorgängen fremder und fremd bleiben
sollender zu behandeln gewesen, also als einer, dessen etwaige Fragen mit dem
Hinweis ans das für seine Genesung einzig zuträglich Patientenverhaltm zu
beantworten seien: mit der Mahnung zum Vergessen der weltlichen Nichtigkeiten
und zur beschaulichen Beschäftigung mit den ewigen Dingen.


Ani eine Perle.

gesondert, daß er auch ihnen für tot galt, in der Pflege des alten Arztes,
trotz der blutreinigender Medikamente desselben, sich mit der Widerstandskraft
der Jugend bis fast zu scheinbarer Genesung erholt hatte. Einzig der alte
Doktor, ein Mönch, eine alte Negerin, Antonio Maria und der Herzog selbst
wußten, daß er am Leben erhalten worden war. Für ganz Mantua war er
verschollen, und die von dem Verteidiger des alten Buonacvlsi dagegen erhobenen
Zweifel hatten das herzogliche Gericht nicht von jener Hauptbasis des über
ihn verhängten Todesurteils abzubringen vermocht.

Heute nun war der Greis in Freiheit gesetzt worden, heute erfüllte alle
Plätze und Straßen Mcmtuas die unglaubliche Kunde von Vitciliauos Sturz,
von Primaticcios Berufung in den Staatsrat, von der Schließung der ver¬
rufenen Torre della Gabbia. Schon seit Sonnenaufgang hatte die Stadt sich
mit bunten Festzeichen geschmückt, prangten in allen Fenstern farbenleuchtendc
Teppiche, umwogte die festlich gekleidete Menge die öffentlichen Gebäude und
den herzoglichen Palast.

Francesco hatte während seiner Verhandlung mit Antonio Maria wohl
hin und wieder die draußen erschallenden Evvivas vernommen, aber sie hatten
ihm keine Freude bereitet; konnte er in ihnen doch auch Veranstaltungen des
Buonacolsischen Anhanges erblicken, uicht einzig Beifallzeichen für das Einlenken
des Herzogs in ein minder unvvlkstümliches Ncgierungsshstem als das bisher
von ihm festgehaltene.

Auch bis in die Klausur Giuseppes waren jene, die ganze Stadt erfüllenden
Freudenrufe gedrungen, und wenn er schon während der letzten Zeit wieder¬
holt mit der Bitte in den alten Doktor gedrungen war, er möge den Herzog
bewegen, ihm die Gnade seines Anblicks zu gönnen, und wenn die Erfolglosigkeit
dieser Bitten die Ungewißheit über das seiner wartende Loos bis zur Unertrcig-
lichkcit gesteigert hatte, so steckte ihn jetzt die draußen herrschende, überschwänglich
sich Luft machende Frendenstimmnng an, er glaubte auch seine Erlösungsstunde
habe geschlagen und er müsse das Seine thun, um den Stein, der sein vermeintes
Grab bedecke, fortzuwälzen.

Er hatte dem Doktor zuliebe währeud der ersten Wochen, welche er
zwischen Leben und Sterben verbrachte, seine bewegungsbedürftige Natur in
einer ihm selbst schier übermenschlich dünkenden Weise gezügelt. Wie eine Wachs¬
puppe, so regungslos hatte er auf seinem Schmerzenslager dagelegen, unterhalten
einzig durch die auch bei ihm zutraulich aus- und eiufliegeudcn Tauben, aber
gemartert von Gedanken wild umherschweifender Art; denn Francescos Befehlen
gemäß war er als ein den Mantuaner Vorgängen fremder und fremd bleiben
sollender zu behandeln gewesen, also als einer, dessen etwaige Fragen mit dem
Hinweis ans das für seine Genesung einzig zuträglich Patientenverhaltm zu
beantworten seien: mit der Mahnung zum Vergessen der weltlichen Nichtigkeiten
und zur beschaulichen Beschäftigung mit den ewigen Dingen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/51>, abgerufen am 24.11.2024.