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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zentralasien.

anlangten, fanden sie die Örtlichkeiten, die sie für Afghanistan okkupnen sollten,
bereits in den Händen russischer Soldaten, die ihnen von Maro über Sarachs
zuvorgekommen waren, und hinter denen General Komarow mit dreitausend
Mann stand.

Ehe wir die daraus sich entwickelnden Vorgänge erzählen, geben wir einen
kurzen geschichtlichen Rückblick zur Orientirung über die Besitzverhültnissc in
betreff Peudschdehs, um das es sich dabei vorzüglich handelte. Vor etwa
45 Jahren, als Lord Auckland Vizeköuig von Indien und Major Todd britischer
Resident in Herat war, erhob sich ein Streit zwischen dem Chan der letzt¬
genannten Oase und dem Chan von Chlor, der den Besitz Peudschdehs zum
Gegenstande hatte. Auf einen Bericht Todds gestützt, entschied das indische
auswärtige Amt, daß der Ort rechtmäßiges afghanisches Eigentum sei. Als
der jetzige Emir Abdnrrachman den Thron bestiegen hatte, schickte er Infus
Bey Jamschidi als Gouverneur dahin. Als die Russen Merw und Julatan
annektirten, begab sich dieser mit einigen Häuptlingen der Sarukturkmcnen,
welche die Oase von Pendschdeh bewohnen, nach Herat, um den Emir zu bitten,
sie offen zu Unterthanen aufzunehmen. Infolgedessen legte der letztere eine
afghanische Garnison hierher, während er sich bis dahin begnügt hatte, in Baka
Margab und in Karawulkaua, elf englische Meilen weiter flußabwärts kleine
Militärposten zu halten. Den Saruks wurde große Selbständigkeit gelassen.
Sie hatten eigentlich nur den Tribut nach Herat weiter zu zahlen, welchen
sie seit ihrer Auswanderung aus der Oase vou Merw in die von Pendschdeh,
die vor etwa drei Jahrzehnten stattfand, entrichtet hatten. Der Emir beanspruchte
sie nicht als unabtretbare Unterthanen, sondern betrachtete nur das Land, wo
sie ihre Herden weideten, als zu seinem Reiche gehörig. Die Russen aber sahen
jenes Land deshalb als Eigentum des Zaren an, weil diese von Merw
stammenden Nomaden es innehalten. Die Engländer wollten dies nicht zugeben.
Sie waren der Meinung, die Grenze zwischen der Oase von Pendschdeh und
Jnlatcm, dein südlichen Teile der Oase von Merw, sei am Mnrgab bei Hasrat
Imam, vierzig englische Meilen nördlich voll Pendschdeh, und machten geltend,
daß das nördlichste Lager der Saruks bei Scirhjasi, fünfundzwanzig Meilen
nördlich von Ak Tepe sich befinde, und daß die äußersten Vorposten der Afghanen
bis zum September 1884 in Urusch Doschau, achtzehn Meilen von dort, ge¬
wesen seien und sie Patrouillen bis Saryjasi und zuweilen selbst bis Hasrat
Imam am Rande der Wüste, die sich von hier bis Julatan erstreckt, aus¬
gesandt hätten.

Die Russen machten nun zwischen dem 1. November 1884 und dem
31. März 1885 dreimal den Versuch, sich in den Besitz von Badkis und
Pendschdeh zu setzen. Das erstemal okknpirten sie die Position Pri i Chatnn
am Herirud. Der Emir protestirte, und Lumsden forderte Rückzug der Truppe"
Komarows, die hier uuter Führung Alichanvws eingerückt waren. Aber sie


Die Russen in Zentralasien.

anlangten, fanden sie die Örtlichkeiten, die sie für Afghanistan okkupnen sollten,
bereits in den Händen russischer Soldaten, die ihnen von Maro über Sarachs
zuvorgekommen waren, und hinter denen General Komarow mit dreitausend
Mann stand.

Ehe wir die daraus sich entwickelnden Vorgänge erzählen, geben wir einen
kurzen geschichtlichen Rückblick zur Orientirung über die Besitzverhültnissc in
betreff Peudschdehs, um das es sich dabei vorzüglich handelte. Vor etwa
45 Jahren, als Lord Auckland Vizeköuig von Indien und Major Todd britischer
Resident in Herat war, erhob sich ein Streit zwischen dem Chan der letzt¬
genannten Oase und dem Chan von Chlor, der den Besitz Peudschdehs zum
Gegenstande hatte. Auf einen Bericht Todds gestützt, entschied das indische
auswärtige Amt, daß der Ort rechtmäßiges afghanisches Eigentum sei. Als
der jetzige Emir Abdnrrachman den Thron bestiegen hatte, schickte er Infus
Bey Jamschidi als Gouverneur dahin. Als die Russen Merw und Julatan
annektirten, begab sich dieser mit einigen Häuptlingen der Sarukturkmcnen,
welche die Oase von Pendschdeh bewohnen, nach Herat, um den Emir zu bitten,
sie offen zu Unterthanen aufzunehmen. Infolgedessen legte der letztere eine
afghanische Garnison hierher, während er sich bis dahin begnügt hatte, in Baka
Margab und in Karawulkaua, elf englische Meilen weiter flußabwärts kleine
Militärposten zu halten. Den Saruks wurde große Selbständigkeit gelassen.
Sie hatten eigentlich nur den Tribut nach Herat weiter zu zahlen, welchen
sie seit ihrer Auswanderung aus der Oase vou Merw in die von Pendschdeh,
die vor etwa drei Jahrzehnten stattfand, entrichtet hatten. Der Emir beanspruchte
sie nicht als unabtretbare Unterthanen, sondern betrachtete nur das Land, wo
sie ihre Herden weideten, als zu seinem Reiche gehörig. Die Russen aber sahen
jenes Land deshalb als Eigentum des Zaren an, weil diese von Merw
stammenden Nomaden es innehalten. Die Engländer wollten dies nicht zugeben.
Sie waren der Meinung, die Grenze zwischen der Oase von Pendschdeh und
Jnlatcm, dein südlichen Teile der Oase von Merw, sei am Mnrgab bei Hasrat
Imam, vierzig englische Meilen nördlich voll Pendschdeh, und machten geltend,
daß das nördlichste Lager der Saruks bei Scirhjasi, fünfundzwanzig Meilen
nördlich von Ak Tepe sich befinde, und daß die äußersten Vorposten der Afghanen
bis zum September 1884 in Urusch Doschau, achtzehn Meilen von dort, ge¬
wesen seien und sie Patrouillen bis Saryjasi und zuweilen selbst bis Hasrat
Imam am Rande der Wüste, die sich von hier bis Julatan erstreckt, aus¬
gesandt hätten.

Die Russen machten nun zwischen dem 1. November 1884 und dem
31. März 1885 dreimal den Versuch, sich in den Besitz von Badkis und
Pendschdeh zu setzen. Das erstemal okknpirten sie die Position Pri i Chatnn
am Herirud. Der Emir protestirte, und Lumsden forderte Rückzug der Truppe»
Komarows, die hier uuter Führung Alichanvws eingerückt waren. Aber sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/490>, abgerufen am 27.07.2024.