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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren.

Beschuldigten dürfe man prinzipiell und von vornherein durchaus nicht mit
größerem Mißtrauen entgegentreten als dem Veschuldiger, es werde sonst leicht
der Zufall entscheiden, der dem Einen oder dem Andern diese oder jene Rolle
im Prozesse anweise.

Wir wissen nicht, ob im Königreich Sachsen Erfahrungen gemacht worden
sind, welche Anlaß zu geben geeignet waren, mit einer Ansprache an die Offene>
lichkeit zu treten, welche, wenngleich in bester Absicht erfolgt, nicht ermangeln
konnte, demjenigen Teile der Presse, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat,
die staatliche Autorität bei jeder Gelegenheit anzugreifen und deren Vertreter
zu diskreditircn, den willkommensten Anlaß zu bieten, sie in ihrem Sinne aus¬
zunutzen. Was die fortschrittliche Presse aus der Ansprache des Herrn General¬
staatsanwalts herauslas und ihren Lesern als dessen Meinung verkündete, war
natürlich die Behauptung, es sei die frevelhafte Sucht sämtlicher deutschen
Staatsanwälte und Richter, unbegründete Anklagen zu erheben und durch¬
zusetzen, den offenbarsten Entlastungsbeweiscn gegenüber nichtsdestoweniger un¬
bekümmert Strafen zu beantragen und zu erkennen, und es sei eine anzuerkennende
That des neuen sächsischen Generalstaatsanwalts, daß er diesem schändlichen
Treiben öffentlich entgegengetreten sei. Über die Beschaffenheit vieler unsrer
Richter und Staatsanwälte, schreibt ein solches Blatt, scheine jede Bemer¬
kung überflüssig; sage doch selbst der berühmte Kriminalist Heinze, gegen die
Frage, ob als Richter nur Männer beschäftigt werden, welche der Aufgabe,
vertranenswerte Strafurteile zu fällen, vollkommen gewachsen seien, dürfe man
"einige Zweifel" hegen. Die zuverlässigste Kritik des Nichtermaterials enthielten
die Urteile des deutschen Reichsgerichts. Dem Volke sei die Qualität seiner
Richter und Staatsanwälte genugsam bekannt. Würden dieselben im Geiste der
Hcldschcn Ansprache handeln, so stünde es selbst unter der heutigen, an hundert
Stellen mangelhaften Strafprozeßordnung besser um die Rechtspflege im
deutschen Reiche.

Wenn der Herr Generalstaatsanwalt nach seiner Rede etwa noch im Zweifel
war, ob dieselbe nur die von ihm beabsichtigte Wirkung habe, so hat ihn sicher¬
lich der ungelenke Beifall der fortschrittlichen Presse davon überzeugt, daß er
zur Bekanntmachung seiner Ansicht einen Weg gewählt hat, der zum Vorteile
der Sache nicht dienlich war. Was er in seiner Ansprache gesagt hat, ist, wie
ihm selbstverständlich ganz Wohl bekannt war, ein Grundsatz, der ausdrücklich
in der Strafprozeßordnung ausgesprochen ist, und keineswegs, wie die fort¬
schrittliche Presse glauben machen will, ein Standpunkt, welcher von ihm allein,
im Gegensatze zu deu übrigen Justizbeamten des Reiches, eingenommen wird.
Der Z 158 der Strafprozeßordnung bestimmt, daß die Staatsanwaltschaft nicht
bloß die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu
ermitteln und für die Erhebung derjenigen Beweise Sorge zu tragen hat, deren
Verlust zu befürchten steht; nach § 338 der Strafprozeßordnung kann die Staats-


Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren.

Beschuldigten dürfe man prinzipiell und von vornherein durchaus nicht mit
größerem Mißtrauen entgegentreten als dem Veschuldiger, es werde sonst leicht
der Zufall entscheiden, der dem Einen oder dem Andern diese oder jene Rolle
im Prozesse anweise.

Wir wissen nicht, ob im Königreich Sachsen Erfahrungen gemacht worden
sind, welche Anlaß zu geben geeignet waren, mit einer Ansprache an die Offene>
lichkeit zu treten, welche, wenngleich in bester Absicht erfolgt, nicht ermangeln
konnte, demjenigen Teile der Presse, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat,
die staatliche Autorität bei jeder Gelegenheit anzugreifen und deren Vertreter
zu diskreditircn, den willkommensten Anlaß zu bieten, sie in ihrem Sinne aus¬
zunutzen. Was die fortschrittliche Presse aus der Ansprache des Herrn General¬
staatsanwalts herauslas und ihren Lesern als dessen Meinung verkündete, war
natürlich die Behauptung, es sei die frevelhafte Sucht sämtlicher deutschen
Staatsanwälte und Richter, unbegründete Anklagen zu erheben und durch¬
zusetzen, den offenbarsten Entlastungsbeweiscn gegenüber nichtsdestoweniger un¬
bekümmert Strafen zu beantragen und zu erkennen, und es sei eine anzuerkennende
That des neuen sächsischen Generalstaatsanwalts, daß er diesem schändlichen
Treiben öffentlich entgegengetreten sei. Über die Beschaffenheit vieler unsrer
Richter und Staatsanwälte, schreibt ein solches Blatt, scheine jede Bemer¬
kung überflüssig; sage doch selbst der berühmte Kriminalist Heinze, gegen die
Frage, ob als Richter nur Männer beschäftigt werden, welche der Aufgabe,
vertranenswerte Strafurteile zu fällen, vollkommen gewachsen seien, dürfe man
„einige Zweifel" hegen. Die zuverlässigste Kritik des Nichtermaterials enthielten
die Urteile des deutschen Reichsgerichts. Dem Volke sei die Qualität seiner
Richter und Staatsanwälte genugsam bekannt. Würden dieselben im Geiste der
Hcldschcn Ansprache handeln, so stünde es selbst unter der heutigen, an hundert
Stellen mangelhaften Strafprozeßordnung besser um die Rechtspflege im
deutschen Reiche.

Wenn der Herr Generalstaatsanwalt nach seiner Rede etwa noch im Zweifel
war, ob dieselbe nur die von ihm beabsichtigte Wirkung habe, so hat ihn sicher¬
lich der ungelenke Beifall der fortschrittlichen Presse davon überzeugt, daß er
zur Bekanntmachung seiner Ansicht einen Weg gewählt hat, der zum Vorteile
der Sache nicht dienlich war. Was er in seiner Ansprache gesagt hat, ist, wie
ihm selbstverständlich ganz Wohl bekannt war, ein Grundsatz, der ausdrücklich
in der Strafprozeßordnung ausgesprochen ist, und keineswegs, wie die fort¬
schrittliche Presse glauben machen will, ein Standpunkt, welcher von ihm allein,
im Gegensatze zu deu übrigen Justizbeamten des Reiches, eingenommen wird.
Der Z 158 der Strafprozeßordnung bestimmt, daß die Staatsanwaltschaft nicht
bloß die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu
ermitteln und für die Erhebung derjenigen Beweise Sorge zu tragen hat, deren
Verlust zu befürchten steht; nach § 338 der Strafprozeßordnung kann die Staats-


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[0454] Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren. Beschuldigten dürfe man prinzipiell und von vornherein durchaus nicht mit größerem Mißtrauen entgegentreten als dem Veschuldiger, es werde sonst leicht der Zufall entscheiden, der dem Einen oder dem Andern diese oder jene Rolle im Prozesse anweise. Wir wissen nicht, ob im Königreich Sachsen Erfahrungen gemacht worden sind, welche Anlaß zu geben geeignet waren, mit einer Ansprache an die Offene> lichkeit zu treten, welche, wenngleich in bester Absicht erfolgt, nicht ermangeln konnte, demjenigen Teile der Presse, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat, die staatliche Autorität bei jeder Gelegenheit anzugreifen und deren Vertreter zu diskreditircn, den willkommensten Anlaß zu bieten, sie in ihrem Sinne aus¬ zunutzen. Was die fortschrittliche Presse aus der Ansprache des Herrn General¬ staatsanwalts herauslas und ihren Lesern als dessen Meinung verkündete, war natürlich die Behauptung, es sei die frevelhafte Sucht sämtlicher deutschen Staatsanwälte und Richter, unbegründete Anklagen zu erheben und durch¬ zusetzen, den offenbarsten Entlastungsbeweiscn gegenüber nichtsdestoweniger un¬ bekümmert Strafen zu beantragen und zu erkennen, und es sei eine anzuerkennende That des neuen sächsischen Generalstaatsanwalts, daß er diesem schändlichen Treiben öffentlich entgegengetreten sei. Über die Beschaffenheit vieler unsrer Richter und Staatsanwälte, schreibt ein solches Blatt, scheine jede Bemer¬ kung überflüssig; sage doch selbst der berühmte Kriminalist Heinze, gegen die Frage, ob als Richter nur Männer beschäftigt werden, welche der Aufgabe, vertranenswerte Strafurteile zu fällen, vollkommen gewachsen seien, dürfe man „einige Zweifel" hegen. Die zuverlässigste Kritik des Nichtermaterials enthielten die Urteile des deutschen Reichsgerichts. Dem Volke sei die Qualität seiner Richter und Staatsanwälte genugsam bekannt. Würden dieselben im Geiste der Hcldschcn Ansprache handeln, so stünde es selbst unter der heutigen, an hundert Stellen mangelhaften Strafprozeßordnung besser um die Rechtspflege im deutschen Reiche. Wenn der Herr Generalstaatsanwalt nach seiner Rede etwa noch im Zweifel war, ob dieselbe nur die von ihm beabsichtigte Wirkung habe, so hat ihn sicher¬ lich der ungelenke Beifall der fortschrittlichen Presse davon überzeugt, daß er zur Bekanntmachung seiner Ansicht einen Weg gewählt hat, der zum Vorteile der Sache nicht dienlich war. Was er in seiner Ansprache gesagt hat, ist, wie ihm selbstverständlich ganz Wohl bekannt war, ein Grundsatz, der ausdrücklich in der Strafprozeßordnung ausgesprochen ist, und keineswegs, wie die fort¬ schrittliche Presse glauben machen will, ein Standpunkt, welcher von ihm allein, im Gegensatze zu deu übrigen Justizbeamten des Reiches, eingenommen wird. Der Z 158 der Strafprozeßordnung bestimmt, daß die Staatsanwaltschaft nicht bloß die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung derjenigen Beweise Sorge zu tragen hat, deren Verlust zu befürchten steht; nach § 338 der Strafprozeßordnung kann die Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/454>, abgerufen am 25.11.2024.