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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Hartnianns Armer Heinrich.

angeführt gefunden zu haben. Geradezu als einen Lieblingsgedanken Wolframs
muß man seinen häufig wiederkehrenden Ausspruch betrachten, man solle nicht
nach dem Scheine urteile". Er legt besondern Wert auf diese Sentenz, die
mit der Grundlage seiner ganzen moralischen Weltanschauung im engsten Zu¬
sammenhange steht. Wohl könne der Zweifel den Menschen erfassen, daß sein
Thun dem moralischen Beobachter gefleckt erscheine wie die Farbe der Elster.
Wenn nur sein Herz nicht ganz die finstere Farbe trage, dürfe man an seinem
schließlichen Heile nicht irre werden. Aufs mannichfachste wechselnd liegt diese
Idee vielen seiner Bilder und Aussprüche zu gründe, er klagt, daß mau diese
Lehre nicht genügend befolge.


Manch Weibes Schönheit ruft man aus.
Ist die im Herzen nicht zu Haus,
So lob ich, wie ich loben wollt,
Den Glasfluß, den man setzt in Gold.
Ich acht Verschulden nicht gering
Deß, der in niedrigen Messing
Den edelen Rubin setzt feste
Und alle seine Wunderkräfte.
Ein rechtes Weib dem Steine gleicht,
Die nie von rechter Welkheit weicht;
Nicht äußere Farbe an mich zieht,
Des Herzens Dach, das jeder sieht.
Sicht gut in ihrer Brust es ans,
Dann flieg ihr Ruhm ins Land hinaus.

Nun hat es Hartmann auch einmal für gut befunden, das Sprichwort, man
solle nicht nach dein äußern Schein urteilen, seinen Hörern einzuschärfen. Herr
Erek giebt seiner Überzeugung Ausdruck:


Deß Wort geht sicher fehl, der dreist
Von einem Weib sein Urteil sagt
Nur nach dem Kleide, das sie tragt.
Man soll an einem Weibe
Urteilen nach dem Leibe,
Ob diesem Lob und Preis gebührt,
Nicht uach dem Kleide, das ihn ziert.

Mag man einwenden, Hartmann habe hier nicht in eigner Person gesprochen;
es bleibt doch für ihn selbst charakteristisch, wie ein und derselbe Grundgedanke
von seinem Helden, und wie er von Wolfram aufgefaßt wird.

Nur in einem Werke hat Hartmann den engbegrenzten höfischen Gesichtskreis
überschritten, eben in seinem "Armen Heinrich." Das arme Bauermädchen, das
auf der Grenze von Kind und Jungfrau sich für seinen aufsätzigen Herrn opfern will,
halb aus religiöser Schwärmerei, halb sich selber unbewußt aus irdischer Minne
zu dem Wohlthäter seiner Eltern, erweckt rein menschliche Rührung. Wird der


Hartnianns Armer Heinrich.

angeführt gefunden zu haben. Geradezu als einen Lieblingsgedanken Wolframs
muß man seinen häufig wiederkehrenden Ausspruch betrachten, man solle nicht
nach dem Scheine urteile». Er legt besondern Wert auf diese Sentenz, die
mit der Grundlage seiner ganzen moralischen Weltanschauung im engsten Zu¬
sammenhange steht. Wohl könne der Zweifel den Menschen erfassen, daß sein
Thun dem moralischen Beobachter gefleckt erscheine wie die Farbe der Elster.
Wenn nur sein Herz nicht ganz die finstere Farbe trage, dürfe man an seinem
schließlichen Heile nicht irre werden. Aufs mannichfachste wechselnd liegt diese
Idee vielen seiner Bilder und Aussprüche zu gründe, er klagt, daß mau diese
Lehre nicht genügend befolge.


Manch Weibes Schönheit ruft man aus.
Ist die im Herzen nicht zu Haus,
So lob ich, wie ich loben wollt,
Den Glasfluß, den man setzt in Gold.
Ich acht Verschulden nicht gering
Deß, der in niedrigen Messing
Den edelen Rubin setzt feste
Und alle seine Wunderkräfte.
Ein rechtes Weib dem Steine gleicht,
Die nie von rechter Welkheit weicht;
Nicht äußere Farbe an mich zieht,
Des Herzens Dach, das jeder sieht.
Sicht gut in ihrer Brust es ans,
Dann flieg ihr Ruhm ins Land hinaus.

Nun hat es Hartmann auch einmal für gut befunden, das Sprichwort, man
solle nicht nach dein äußern Schein urteilen, seinen Hörern einzuschärfen. Herr
Erek giebt seiner Überzeugung Ausdruck:


Deß Wort geht sicher fehl, der dreist
Von einem Weib sein Urteil sagt
Nur nach dem Kleide, das sie tragt.
Man soll an einem Weibe
Urteilen nach dem Leibe,
Ob diesem Lob und Preis gebührt,
Nicht uach dem Kleide, das ihn ziert.

Mag man einwenden, Hartmann habe hier nicht in eigner Person gesprochen;
es bleibt doch für ihn selbst charakteristisch, wie ein und derselbe Grundgedanke
von seinem Helden, und wie er von Wolfram aufgefaßt wird.

Nur in einem Werke hat Hartmann den engbegrenzten höfischen Gesichtskreis
überschritten, eben in seinem „Armen Heinrich." Das arme Bauermädchen, das
auf der Grenze von Kind und Jungfrau sich für seinen aufsätzigen Herrn opfern will,
halb aus religiöser Schwärmerei, halb sich selber unbewußt aus irdischer Minne
zu dem Wohlthäter seiner Eltern, erweckt rein menschliche Rührung. Wird der


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[0414] Hartnianns Armer Heinrich. angeführt gefunden zu haben. Geradezu als einen Lieblingsgedanken Wolframs muß man seinen häufig wiederkehrenden Ausspruch betrachten, man solle nicht nach dem Scheine urteile». Er legt besondern Wert auf diese Sentenz, die mit der Grundlage seiner ganzen moralischen Weltanschauung im engsten Zu¬ sammenhange steht. Wohl könne der Zweifel den Menschen erfassen, daß sein Thun dem moralischen Beobachter gefleckt erscheine wie die Farbe der Elster. Wenn nur sein Herz nicht ganz die finstere Farbe trage, dürfe man an seinem schließlichen Heile nicht irre werden. Aufs mannichfachste wechselnd liegt diese Idee vielen seiner Bilder und Aussprüche zu gründe, er klagt, daß mau diese Lehre nicht genügend befolge. Manch Weibes Schönheit ruft man aus. Ist die im Herzen nicht zu Haus, So lob ich, wie ich loben wollt, Den Glasfluß, den man setzt in Gold. Ich acht Verschulden nicht gering Deß, der in niedrigen Messing Den edelen Rubin setzt feste Und alle seine Wunderkräfte. Ein rechtes Weib dem Steine gleicht, Die nie von rechter Welkheit weicht; Nicht äußere Farbe an mich zieht, Des Herzens Dach, das jeder sieht. Sicht gut in ihrer Brust es ans, Dann flieg ihr Ruhm ins Land hinaus. Nun hat es Hartmann auch einmal für gut befunden, das Sprichwort, man solle nicht nach dein äußern Schein urteilen, seinen Hörern einzuschärfen. Herr Erek giebt seiner Überzeugung Ausdruck: Deß Wort geht sicher fehl, der dreist Von einem Weib sein Urteil sagt Nur nach dem Kleide, das sie tragt. Man soll an einem Weibe Urteilen nach dem Leibe, Ob diesem Lob und Preis gebührt, Nicht uach dem Kleide, das ihn ziert. Mag man einwenden, Hartmann habe hier nicht in eigner Person gesprochen; es bleibt doch für ihn selbst charakteristisch, wie ein und derselbe Grundgedanke von seinem Helden, und wie er von Wolfram aufgefaßt wird. Nur in einem Werke hat Hartmann den engbegrenzten höfischen Gesichtskreis überschritten, eben in seinem „Armen Heinrich." Das arme Bauermädchen, das auf der Grenze von Kind und Jungfrau sich für seinen aufsätzigen Herrn opfern will, halb aus religiöser Schwärmerei, halb sich selber unbewußt aus irdischer Minne zu dem Wohlthäter seiner Eltern, erweckt rein menschliche Rührung. Wird der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/414>, abgerufen am 28.07.2024.