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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Wahlen und Parteien in Frankreich.

der Thatsache, daß die vorgeschrittenste Partei in Frankreich auf die Politik
der Revanche verzichtet, die im Programme Gambettas sehr deutlich zwischen
den Zeilen zu lesen war. Man darf sich dabei auch erinnern, daß das kvm-
munardische Element auf dem äußersten linken Flügel der französischen Parteien
traditionell keinen Chauvinismus kennt. Die Träume der Kommune warm
internationaler Art wie die der Revolutionsmänner von 1793, ihre Theorie
ging ihnen über das Vaterland, nud so ist es noch jetzt: ein französischer
Sozialist von reinem Wasser wird einen deutschen Arbeiter als Freund, einen
französischen Kapitalisten als Feind betrachten. 1793 waren die Pariser nicht
damit zufrieden, sich der Verwirklichung ihrer Ideen daheim zu erfreuen, sondern
schickten sie über die Grenzen in die Welt hinaus, und Kriegsvolk, das für sie
erobern mußte, hinterdrein. Ihre Nachfolger sind bescheidner und proklamiren
sie bloß zu Hause. Statt: I?iÄtörnitv on 1a raort! -- sei mein Menschenbruder,
oder ich schlage dich tot -- sagen sie: "Weil wir Brüder sind, kennt mau bei uns
keine Rache. Wir wollen kein deutsches Blut vergießen, um die Elsnsser und
Lothringer von der Fremdherrschaft zu befreien." Als Zugabe zu diesem edeln
und prinzipicntrcueu Verzichte schlagen sie vor, die Dienstzeit unter den Fahnen
stark zu verkürzen und die Armee zu einer Art Miliz oder Nationalgarde um¬
zugestalten. Damit läßt sich nichts jenseits der Grenze unternehmen, nichts
erobern, und so wird fortan das französische Volk sich daheim verständigeren
und nützlicheren Kämpfen, dem Kriege gegen die Kirche mit ihrem Anspruch auf
Beherrschung der Geister und der Konfiskation des Besitzes der Reichen durch
eine passende Einkommensteuer, die allmählich alle Staatsangehörigen anch in
Vermögensangelegenheiten gleichmacht, zu widmen imstande sein. Die Bauern
verstehen und billigen den ersten Teil dieses Kredos vollständig, in wirtschaft¬
lichen Fragen aber sind sie stramme Konservative und fest entschlossen, den
zweiten zurückzuweisen und ihren Ackerbesitz sowie den Strumpf, in welchem sie
ihre Ersparnisse verwahren, hartnäckig zu verteidigen. Sie würden mit Gam-
betta gegangen sein, weil er national dachte, sie werden nicht mit Clemeueecm
und Nochefort gehen, weil diese sozialistisch denken. Sie werden "respektable"
Republikaner in die Kammer senden, solche, die sich zu Grundsätzen bekennen, wie
sie Rebot und andre Abgeordnete des Pas de Calais in ihrem Programm auf¬
stellen. Diese Herren wollen eine "Republik der Versöhnlichkeit und eine feste, auf
maßvolle Idee" basirte, praktische Reformen erstrebende Politik." Sie verwerfen
das unaufhörliche Zimmern und Schnitzeln an der Verfassung und die "Pläne
sogenannter lokaler Autonomie," welche die Negierung außer stand setzen, in der
Hauptstadt die Ordnung sicherzustellen. Die Geistlichkeit soll sich nicht in
Politische Dinge mischen, aber es soll mit der Kirche Friede geschlossen werden
auf Grund der Freiheit in allen Religionsfragen und fester und billiger An¬
wendung des Konkordats. Die auswärtige Politik soll "nicht auf die nationale
Würde nud die französischen Interessen und Rechte verzichten swas ist damit


Wahlen und Parteien in Frankreich.

der Thatsache, daß die vorgeschrittenste Partei in Frankreich auf die Politik
der Revanche verzichtet, die im Programme Gambettas sehr deutlich zwischen
den Zeilen zu lesen war. Man darf sich dabei auch erinnern, daß das kvm-
munardische Element auf dem äußersten linken Flügel der französischen Parteien
traditionell keinen Chauvinismus kennt. Die Träume der Kommune warm
internationaler Art wie die der Revolutionsmänner von 1793, ihre Theorie
ging ihnen über das Vaterland, nud so ist es noch jetzt: ein französischer
Sozialist von reinem Wasser wird einen deutschen Arbeiter als Freund, einen
französischen Kapitalisten als Feind betrachten. 1793 waren die Pariser nicht
damit zufrieden, sich der Verwirklichung ihrer Ideen daheim zu erfreuen, sondern
schickten sie über die Grenzen in die Welt hinaus, und Kriegsvolk, das für sie
erobern mußte, hinterdrein. Ihre Nachfolger sind bescheidner und proklamiren
sie bloß zu Hause. Statt: I?iÄtörnitv on 1a raort! — sei mein Menschenbruder,
oder ich schlage dich tot — sagen sie: „Weil wir Brüder sind, kennt mau bei uns
keine Rache. Wir wollen kein deutsches Blut vergießen, um die Elsnsser und
Lothringer von der Fremdherrschaft zu befreien." Als Zugabe zu diesem edeln
und prinzipicntrcueu Verzichte schlagen sie vor, die Dienstzeit unter den Fahnen
stark zu verkürzen und die Armee zu einer Art Miliz oder Nationalgarde um¬
zugestalten. Damit läßt sich nichts jenseits der Grenze unternehmen, nichts
erobern, und so wird fortan das französische Volk sich daheim verständigeren
und nützlicheren Kämpfen, dem Kriege gegen die Kirche mit ihrem Anspruch auf
Beherrschung der Geister und der Konfiskation des Besitzes der Reichen durch
eine passende Einkommensteuer, die allmählich alle Staatsangehörigen anch in
Vermögensangelegenheiten gleichmacht, zu widmen imstande sein. Die Bauern
verstehen und billigen den ersten Teil dieses Kredos vollständig, in wirtschaft¬
lichen Fragen aber sind sie stramme Konservative und fest entschlossen, den
zweiten zurückzuweisen und ihren Ackerbesitz sowie den Strumpf, in welchem sie
ihre Ersparnisse verwahren, hartnäckig zu verteidigen. Sie würden mit Gam-
betta gegangen sein, weil er national dachte, sie werden nicht mit Clemeueecm
und Nochefort gehen, weil diese sozialistisch denken. Sie werden „respektable"
Republikaner in die Kammer senden, solche, die sich zu Grundsätzen bekennen, wie
sie Rebot und andre Abgeordnete des Pas de Calais in ihrem Programm auf¬
stellen. Diese Herren wollen eine „Republik der Versöhnlichkeit und eine feste, auf
maßvolle Idee» basirte, praktische Reformen erstrebende Politik." Sie verwerfen
das unaufhörliche Zimmern und Schnitzeln an der Verfassung und die „Pläne
sogenannter lokaler Autonomie," welche die Negierung außer stand setzen, in der
Hauptstadt die Ordnung sicherzustellen. Die Geistlichkeit soll sich nicht in
Politische Dinge mischen, aber es soll mit der Kirche Friede geschlossen werden
auf Grund der Freiheit in allen Religionsfragen und fester und billiger An¬
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[0399] Wahlen und Parteien in Frankreich. der Thatsache, daß die vorgeschrittenste Partei in Frankreich auf die Politik der Revanche verzichtet, die im Programme Gambettas sehr deutlich zwischen den Zeilen zu lesen war. Man darf sich dabei auch erinnern, daß das kvm- munardische Element auf dem äußersten linken Flügel der französischen Parteien traditionell keinen Chauvinismus kennt. Die Träume der Kommune warm internationaler Art wie die der Revolutionsmänner von 1793, ihre Theorie ging ihnen über das Vaterland, nud so ist es noch jetzt: ein französischer Sozialist von reinem Wasser wird einen deutschen Arbeiter als Freund, einen französischen Kapitalisten als Feind betrachten. 1793 waren die Pariser nicht damit zufrieden, sich der Verwirklichung ihrer Ideen daheim zu erfreuen, sondern schickten sie über die Grenzen in die Welt hinaus, und Kriegsvolk, das für sie erobern mußte, hinterdrein. Ihre Nachfolger sind bescheidner und proklamiren sie bloß zu Hause. Statt: I?iÄtörnitv on 1a raort! — sei mein Menschenbruder, oder ich schlage dich tot — sagen sie: „Weil wir Brüder sind, kennt mau bei uns keine Rache. Wir wollen kein deutsches Blut vergießen, um die Elsnsser und Lothringer von der Fremdherrschaft zu befreien." Als Zugabe zu diesem edeln und prinzipicntrcueu Verzichte schlagen sie vor, die Dienstzeit unter den Fahnen stark zu verkürzen und die Armee zu einer Art Miliz oder Nationalgarde um¬ zugestalten. Damit läßt sich nichts jenseits der Grenze unternehmen, nichts erobern, und so wird fortan das französische Volk sich daheim verständigeren und nützlicheren Kämpfen, dem Kriege gegen die Kirche mit ihrem Anspruch auf Beherrschung der Geister und der Konfiskation des Besitzes der Reichen durch eine passende Einkommensteuer, die allmählich alle Staatsangehörigen anch in Vermögensangelegenheiten gleichmacht, zu widmen imstande sein. Die Bauern verstehen und billigen den ersten Teil dieses Kredos vollständig, in wirtschaft¬ lichen Fragen aber sind sie stramme Konservative und fest entschlossen, den zweiten zurückzuweisen und ihren Ackerbesitz sowie den Strumpf, in welchem sie ihre Ersparnisse verwahren, hartnäckig zu verteidigen. Sie würden mit Gam- betta gegangen sein, weil er national dachte, sie werden nicht mit Clemeueecm und Nochefort gehen, weil diese sozialistisch denken. Sie werden „respektable" Republikaner in die Kammer senden, solche, die sich zu Grundsätzen bekennen, wie sie Rebot und andre Abgeordnete des Pas de Calais in ihrem Programm auf¬ stellen. Diese Herren wollen eine „Republik der Versöhnlichkeit und eine feste, auf maßvolle Idee» basirte, praktische Reformen erstrebende Politik." Sie verwerfen das unaufhörliche Zimmern und Schnitzeln an der Verfassung und die „Pläne sogenannter lokaler Autonomie," welche die Negierung außer stand setzen, in der Hauptstadt die Ordnung sicherzustellen. Die Geistlichkeit soll sich nicht in Politische Dinge mischen, aber es soll mit der Kirche Friede geschlossen werden auf Grund der Freiheit in allen Religionsfragen und fester und billiger An¬ wendung des Konkordats. Die auswärtige Politik soll „nicht auf die nationale Würde nud die französischen Interessen und Rechte verzichten swas ist damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/399>, abgerufen am 25.11.2024.