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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Wahlen und Parteien in Frankreich.

zu unserm Schaden -- gelungen. Indes wuchsen die Bäume der Opportunisten
nicht in den Himmel, und ihre Partei, welche zwar in der Kammer die stärkste
war und blieb, aber mit ihren Absichten vielfach auf Widerstand stieß und selbst
nicht immer einig war, mußte sich mit ihren Leistungen in bescheidnen Grenzen
halten. Es war das gut für Frankreich, da es so uicht in heillose Verwirrung
hiueingcsteuert wurde, und gut für die Welt, weil so die Republik bestehen blieb,
welche, wie die Dinge liegeu, die für die Nachbarn der Franzosen bequemste
Lebensform dieser unruhigen, ehrgeizigen und begehrlichen Nation ist. Fragen
wir, was die jetzt zu ihren Penaten heungegangne Kammer von den Aufgaben,
welche sie nach Gambettas Plan ausführen sollte, zustande gebracht hat, so
finden wir zunächst, daß sie in Verbindung mit dein Senate den Versailler
Kongreß abhielt, bei dem es ein paarmal zu sehr unerbaulichen Auftritten kam,
und bei dem man gewisse Abänderungen der gesetzlichen Vorschriften für die
Wahlen zum Senate vereinbarte, welche nur Doktrinäre interessiren konnten und
von der herrschenden Partei der Kammer nnr betrieben wurden, weil man sie
in Wahlreden versprochen hatte. Später gab es die von Gmubetta auf das
Programm seiner Anhängerschaft gesetzte "Reinigung des Nichterstandcs," d. h,
die Beseitigung der Persönlichkeiten in demselben, die im Verdacht antirepubli¬
kanischer Gesinnung standen, wobei der Justizminister Gelegenheit hatte, eine
Anzahl verdienstvoller Opportunisten mit einträglichen Stellen zu versorgen, die
bei der Partei auch sonst ein vielbegehrter Artikel sein und oft das eigentliche
Ziel des gesinnungstüchtigen Eifers bilden sollen, den deren Mitglieder zur
Schau tragen. Drei Jahre lang verhandelte man Reformvorschläge in bezug
auf die Heeresvrgauisatiou, aber nur ein Gesetz über die Festuugsartillerie
gelaugte zur Annahme. Ebendasselbe war mit dem Gesetzentwurfe über die De¬
portation rückfälliger Verbrecher der Fall, nur weiß nun niemand, wie mau
davon Gebrauch machen soll, weil die Kammer unterließ, die dazu erforderlichen
Kredite zu bewilligen. In Sachen der Kolonialpolitik zeigte mau dagegen die
größte Freigebigkeit und gewährte der Regierung Millionen auf Millionen,
sodaß, wenn Tvnking damit nicht zu teuer erkauft sein sollte, wie manche
behaupten, die Kammer in dieser Hinsicht Lob verdienen würde. Schließlich
ist von deu positiven Leistungen derselben noch das neue Wahlgesetz zu er¬
wähnen, das zur Hinterlassenschaft Gambettas gehörte und vou dem man die
gute Wirkung hofft, daß die Deputirten sich in Zukunft nicht so sehr in die
Aufgaben der Verwaltung einmengen werden wie in den letzten Jahren, wo
diese Gewohnheit oft ein unerträgliches Hemmnis war und das Regieren zu
einem sehr unsichern Geschäfte machte. Die Kammer hat mit ihr nicht weniger
als ein halbes Dutzend Ministerien zur Abdankung gezwungen: erst Ferrys,
dann Gambettas, darauf Frcheinets, Dnelercs, Fallicres und nochmals Ferrhs
Administration. Unter dem Einflüsse der Energie und der rhetorischen Künste
des Mannes von Cahors gewählt, beeilte sich die Mehrheit der Deputirten bei


Wahlen und Parteien in Frankreich.

zu unserm Schaden — gelungen. Indes wuchsen die Bäume der Opportunisten
nicht in den Himmel, und ihre Partei, welche zwar in der Kammer die stärkste
war und blieb, aber mit ihren Absichten vielfach auf Widerstand stieß und selbst
nicht immer einig war, mußte sich mit ihren Leistungen in bescheidnen Grenzen
halten. Es war das gut für Frankreich, da es so uicht in heillose Verwirrung
hiueingcsteuert wurde, und gut für die Welt, weil so die Republik bestehen blieb,
welche, wie die Dinge liegeu, die für die Nachbarn der Franzosen bequemste
Lebensform dieser unruhigen, ehrgeizigen und begehrlichen Nation ist. Fragen
wir, was die jetzt zu ihren Penaten heungegangne Kammer von den Aufgaben,
welche sie nach Gambettas Plan ausführen sollte, zustande gebracht hat, so
finden wir zunächst, daß sie in Verbindung mit dein Senate den Versailler
Kongreß abhielt, bei dem es ein paarmal zu sehr unerbaulichen Auftritten kam,
und bei dem man gewisse Abänderungen der gesetzlichen Vorschriften für die
Wahlen zum Senate vereinbarte, welche nur Doktrinäre interessiren konnten und
von der herrschenden Partei der Kammer nnr betrieben wurden, weil man sie
in Wahlreden versprochen hatte. Später gab es die von Gmubetta auf das
Programm seiner Anhängerschaft gesetzte „Reinigung des Nichterstandcs," d. h,
die Beseitigung der Persönlichkeiten in demselben, die im Verdacht antirepubli¬
kanischer Gesinnung standen, wobei der Justizminister Gelegenheit hatte, eine
Anzahl verdienstvoller Opportunisten mit einträglichen Stellen zu versorgen, die
bei der Partei auch sonst ein vielbegehrter Artikel sein und oft das eigentliche
Ziel des gesinnungstüchtigen Eifers bilden sollen, den deren Mitglieder zur
Schau tragen. Drei Jahre lang verhandelte man Reformvorschläge in bezug
auf die Heeresvrgauisatiou, aber nur ein Gesetz über die Festuugsartillerie
gelaugte zur Annahme. Ebendasselbe war mit dem Gesetzentwurfe über die De¬
portation rückfälliger Verbrecher der Fall, nur weiß nun niemand, wie mau
davon Gebrauch machen soll, weil die Kammer unterließ, die dazu erforderlichen
Kredite zu bewilligen. In Sachen der Kolonialpolitik zeigte mau dagegen die
größte Freigebigkeit und gewährte der Regierung Millionen auf Millionen,
sodaß, wenn Tvnking damit nicht zu teuer erkauft sein sollte, wie manche
behaupten, die Kammer in dieser Hinsicht Lob verdienen würde. Schließlich
ist von deu positiven Leistungen derselben noch das neue Wahlgesetz zu er¬
wähnen, das zur Hinterlassenschaft Gambettas gehörte und vou dem man die
gute Wirkung hofft, daß die Deputirten sich in Zukunft nicht so sehr in die
Aufgaben der Verwaltung einmengen werden wie in den letzten Jahren, wo
diese Gewohnheit oft ein unerträgliches Hemmnis war und das Regieren zu
einem sehr unsichern Geschäfte machte. Die Kammer hat mit ihr nicht weniger
als ein halbes Dutzend Ministerien zur Abdankung gezwungen: erst Ferrys,
dann Gambettas, darauf Frcheinets, Dnelercs, Fallicres und nochmals Ferrhs
Administration. Unter dem Einflüsse der Energie und der rhetorischen Künste
des Mannes von Cahors gewählt, beeilte sich die Mehrheit der Deputirten bei


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[0394] Wahlen und Parteien in Frankreich. zu unserm Schaden — gelungen. Indes wuchsen die Bäume der Opportunisten nicht in den Himmel, und ihre Partei, welche zwar in der Kammer die stärkste war und blieb, aber mit ihren Absichten vielfach auf Widerstand stieß und selbst nicht immer einig war, mußte sich mit ihren Leistungen in bescheidnen Grenzen halten. Es war das gut für Frankreich, da es so uicht in heillose Verwirrung hiueingcsteuert wurde, und gut für die Welt, weil so die Republik bestehen blieb, welche, wie die Dinge liegeu, die für die Nachbarn der Franzosen bequemste Lebensform dieser unruhigen, ehrgeizigen und begehrlichen Nation ist. Fragen wir, was die jetzt zu ihren Penaten heungegangne Kammer von den Aufgaben, welche sie nach Gambettas Plan ausführen sollte, zustande gebracht hat, so finden wir zunächst, daß sie in Verbindung mit dein Senate den Versailler Kongreß abhielt, bei dem es ein paarmal zu sehr unerbaulichen Auftritten kam, und bei dem man gewisse Abänderungen der gesetzlichen Vorschriften für die Wahlen zum Senate vereinbarte, welche nur Doktrinäre interessiren konnten und von der herrschenden Partei der Kammer nnr betrieben wurden, weil man sie in Wahlreden versprochen hatte. Später gab es die von Gmubetta auf das Programm seiner Anhängerschaft gesetzte „Reinigung des Nichterstandcs," d. h, die Beseitigung der Persönlichkeiten in demselben, die im Verdacht antirepubli¬ kanischer Gesinnung standen, wobei der Justizminister Gelegenheit hatte, eine Anzahl verdienstvoller Opportunisten mit einträglichen Stellen zu versorgen, die bei der Partei auch sonst ein vielbegehrter Artikel sein und oft das eigentliche Ziel des gesinnungstüchtigen Eifers bilden sollen, den deren Mitglieder zur Schau tragen. Drei Jahre lang verhandelte man Reformvorschläge in bezug auf die Heeresvrgauisatiou, aber nur ein Gesetz über die Festuugsartillerie gelaugte zur Annahme. Ebendasselbe war mit dem Gesetzentwurfe über die De¬ portation rückfälliger Verbrecher der Fall, nur weiß nun niemand, wie mau davon Gebrauch machen soll, weil die Kammer unterließ, die dazu erforderlichen Kredite zu bewilligen. In Sachen der Kolonialpolitik zeigte mau dagegen die größte Freigebigkeit und gewährte der Regierung Millionen auf Millionen, sodaß, wenn Tvnking damit nicht zu teuer erkauft sein sollte, wie manche behaupten, die Kammer in dieser Hinsicht Lob verdienen würde. Schließlich ist von deu positiven Leistungen derselben noch das neue Wahlgesetz zu er¬ wähnen, das zur Hinterlassenschaft Gambettas gehörte und vou dem man die gute Wirkung hofft, daß die Deputirten sich in Zukunft nicht so sehr in die Aufgaben der Verwaltung einmengen werden wie in den letzten Jahren, wo diese Gewohnheit oft ein unerträgliches Hemmnis war und das Regieren zu einem sehr unsichern Geschäfte machte. Die Kammer hat mit ihr nicht weniger als ein halbes Dutzend Ministerien zur Abdankung gezwungen: erst Ferrys, dann Gambettas, darauf Frcheinets, Dnelercs, Fallicres und nochmals Ferrhs Administration. Unter dem Einflüsse der Energie und der rhetorischen Künste des Mannes von Cahors gewählt, beeilte sich die Mehrheit der Deputirten bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/394>, abgerufen am 01.09.2024.