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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine perle.

das heilige Rom, wo schreckte man vor Gewaltthaten zurück? Warum sollte
Herzog Francesco sich durch ein so landesübliches Mittel wie den Dolch
oder das Gift nicht "im Dienste des Staates" aus eiuer großen Verlegenheit
herausgeholfen haben?

Der Herzog hat vor seinem Tode noch Gelegenheit gehabt, sich von dem
Verdachte zu reinigen, mit dem ihn jener Zettel belastet hatte. Aber Pater
Vigilio verließ das Totenzimmer mit schmerzlichem Empfindungen, als sie seit
langem ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatten.

Dennoch faßte er sich, nachdem er den Inhalt des Zettels wie ein Beicht¬
geheimnis zu verschweigen beschlossen hatte, und sprach, zu Florida gewandt, mit
der ihm eignen Gewohnheit, niemandem seine Meinung aufzudringen: Was nun,
meine Tochter? Sollte das traurige Ende dieses Mannes, welcher allein um
den Aufenthalt Giuseppe Gouzagas wissen konnte, uns nicht eine Mahnung
sein, das weitere dem Himmel anheimzustellen? Was vermögen wir schwaches
Gewürm gegen die Mächtigen dieser Erde!

Florida hatte wortlos dagestanden, erschüttert von dem Anblick des Ent¬
seelten, taub für den selbstquälerischen Jammer der Friaulerin, ihr Hirn nach
einem Ersatz für den allein in das dunkle Geheimnis eingeweiht gewesenen, nach
einem Berater, wie Antonio Maria vielleicht einer gewesen wäre, zermarternd.

Und der Doktor, der Giuseppe bis heute behandelt hat, gab sie jetzt aber
zur Antwort, wird denn zu dem nicht zu gelangen sein? Auf, auf, Eufemia!
Du allein bist hier ortskundig. Wer kaun ihn verpflegt haben?

Es nahten Schritte.

Florida horchte auf.

Gemach! bat der Pater.

Laßt mich machen!

Aber vergeßt doch nicht, Tochter, sagte er, wir stehen hier auf vulkanischem
Boden! Hatte einzig jener Unglückliche den Schlüssel des Geheimnisses in
Händen, was kann es dann helfen, daß wir einen Beliebiger, der uns in den
Weg kommt, mit Fragen über einen des Hochverrats Bezichtigten bestürmen?
Wird dein eben erst der Haft entronnener Vater nicht für deines Eifers Über¬
maß büßen müssen? Das bedenke!

Eine alte Negerin kam aus dem finstern Gange herangeschlurrt, die halb¬
taube Ubidia. Sie wehklagte und schnappte dazwischen mühsam nach Luft.

Florida versuchte sie anzusprechen.

Vig.! Via! weg! weg! war aber alles, was sie zur Antwort erhielt.
Mehr noch als allen andern Schloßbewohnern war ihr das Läuten der Pest-
glocke in die Glieder gefahren. Sie hatte schon unzählige male sich ins Freie
geflüchtet, und war jetzt wieder auf der Flucht begriffen, hin und her getrieben,
bald von ihrer Angst vor der Ansteckung, bald von der Gewöhnung, ihrem
Dienste mechanisch obzuliegen.


Um eine perle.

das heilige Rom, wo schreckte man vor Gewaltthaten zurück? Warum sollte
Herzog Francesco sich durch ein so landesübliches Mittel wie den Dolch
oder das Gift nicht „im Dienste des Staates" aus eiuer großen Verlegenheit
herausgeholfen haben?

Der Herzog hat vor seinem Tode noch Gelegenheit gehabt, sich von dem
Verdachte zu reinigen, mit dem ihn jener Zettel belastet hatte. Aber Pater
Vigilio verließ das Totenzimmer mit schmerzlichem Empfindungen, als sie seit
langem ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatten.

Dennoch faßte er sich, nachdem er den Inhalt des Zettels wie ein Beicht¬
geheimnis zu verschweigen beschlossen hatte, und sprach, zu Florida gewandt, mit
der ihm eignen Gewohnheit, niemandem seine Meinung aufzudringen: Was nun,
meine Tochter? Sollte das traurige Ende dieses Mannes, welcher allein um
den Aufenthalt Giuseppe Gouzagas wissen konnte, uns nicht eine Mahnung
sein, das weitere dem Himmel anheimzustellen? Was vermögen wir schwaches
Gewürm gegen die Mächtigen dieser Erde!

Florida hatte wortlos dagestanden, erschüttert von dem Anblick des Ent¬
seelten, taub für den selbstquälerischen Jammer der Friaulerin, ihr Hirn nach
einem Ersatz für den allein in das dunkle Geheimnis eingeweiht gewesenen, nach
einem Berater, wie Antonio Maria vielleicht einer gewesen wäre, zermarternd.

Und der Doktor, der Giuseppe bis heute behandelt hat, gab sie jetzt aber
zur Antwort, wird denn zu dem nicht zu gelangen sein? Auf, auf, Eufemia!
Du allein bist hier ortskundig. Wer kaun ihn verpflegt haben?

Es nahten Schritte.

Florida horchte auf.

Gemach! bat der Pater.

Laßt mich machen!

Aber vergeßt doch nicht, Tochter, sagte er, wir stehen hier auf vulkanischem
Boden! Hatte einzig jener Unglückliche den Schlüssel des Geheimnisses in
Händen, was kann es dann helfen, daß wir einen Beliebiger, der uns in den
Weg kommt, mit Fragen über einen des Hochverrats Bezichtigten bestürmen?
Wird dein eben erst der Haft entronnener Vater nicht für deines Eifers Über¬
maß büßen müssen? Das bedenke!

Eine alte Negerin kam aus dem finstern Gange herangeschlurrt, die halb¬
taube Ubidia. Sie wehklagte und schnappte dazwischen mühsam nach Luft.

Florida versuchte sie anzusprechen.

Vig.! Via! weg! weg! war aber alles, was sie zur Antwort erhielt.
Mehr noch als allen andern Schloßbewohnern war ihr das Läuten der Pest-
glocke in die Glieder gefahren. Sie hatte schon unzählige male sich ins Freie
geflüchtet, und war jetzt wieder auf der Flucht begriffen, hin und her getrieben,
bald von ihrer Angst vor der Ansteckung, bald von der Gewöhnung, ihrem
Dienste mechanisch obzuliegen.


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[0341] Um eine perle. das heilige Rom, wo schreckte man vor Gewaltthaten zurück? Warum sollte Herzog Francesco sich durch ein so landesübliches Mittel wie den Dolch oder das Gift nicht „im Dienste des Staates" aus eiuer großen Verlegenheit herausgeholfen haben? Der Herzog hat vor seinem Tode noch Gelegenheit gehabt, sich von dem Verdachte zu reinigen, mit dem ihn jener Zettel belastet hatte. Aber Pater Vigilio verließ das Totenzimmer mit schmerzlichem Empfindungen, als sie seit langem ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatten. Dennoch faßte er sich, nachdem er den Inhalt des Zettels wie ein Beicht¬ geheimnis zu verschweigen beschlossen hatte, und sprach, zu Florida gewandt, mit der ihm eignen Gewohnheit, niemandem seine Meinung aufzudringen: Was nun, meine Tochter? Sollte das traurige Ende dieses Mannes, welcher allein um den Aufenthalt Giuseppe Gouzagas wissen konnte, uns nicht eine Mahnung sein, das weitere dem Himmel anheimzustellen? Was vermögen wir schwaches Gewürm gegen die Mächtigen dieser Erde! Florida hatte wortlos dagestanden, erschüttert von dem Anblick des Ent¬ seelten, taub für den selbstquälerischen Jammer der Friaulerin, ihr Hirn nach einem Ersatz für den allein in das dunkle Geheimnis eingeweiht gewesenen, nach einem Berater, wie Antonio Maria vielleicht einer gewesen wäre, zermarternd. Und der Doktor, der Giuseppe bis heute behandelt hat, gab sie jetzt aber zur Antwort, wird denn zu dem nicht zu gelangen sein? Auf, auf, Eufemia! Du allein bist hier ortskundig. Wer kaun ihn verpflegt haben? Es nahten Schritte. Florida horchte auf. Gemach! bat der Pater. Laßt mich machen! Aber vergeßt doch nicht, Tochter, sagte er, wir stehen hier auf vulkanischem Boden! Hatte einzig jener Unglückliche den Schlüssel des Geheimnisses in Händen, was kann es dann helfen, daß wir einen Beliebiger, der uns in den Weg kommt, mit Fragen über einen des Hochverrats Bezichtigten bestürmen? Wird dein eben erst der Haft entronnener Vater nicht für deines Eifers Über¬ maß büßen müssen? Das bedenke! Eine alte Negerin kam aus dem finstern Gange herangeschlurrt, die halb¬ taube Ubidia. Sie wehklagte und schnappte dazwischen mühsam nach Luft. Florida versuchte sie anzusprechen. Vig.! Via! weg! weg! war aber alles, was sie zur Antwort erhielt. Mehr noch als allen andern Schloßbewohnern war ihr das Läuten der Pest- glocke in die Glieder gefahren. Sie hatte schon unzählige male sich ins Freie geflüchtet, und war jetzt wieder auf der Flucht begriffen, hin und her getrieben, bald von ihrer Angst vor der Ansteckung, bald von der Gewöhnung, ihrem Dienste mechanisch obzuliegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/341>, abgerufen am 23.11.2024.