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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine perle.

andre wollten wenigstens sagen können, sie seien nur um sich zu orientiren zeit¬
weilig ins Freie gegangen, und diese machten sich drinnen denn auf Augenblicke
wieder zu schaffen, worauf sie bei jedem neuen Ertönen der Pestglocke aber¬
mals hinausschlüpften. Von einer Absperrung der drei bis vier rückseitigen
Schloßeingünge war nichts zu sehen. Ein großes Feuer loderte in geringer
Entfernung jedes Einganges, und trotz der ohnehin schon drückenden Hitze
wurden diese Feuer fleißig geschürt und von zahlreichen Neugierigen umstanden;
denn die herzoglichen Holzkammern waren auf Anordnung des Dottore Posse-
vino geöffnet worden, und wer Freude an dem Prasseln und Knistern des gie¬
rigen Elements hatte, der trug aus den reichen Vorräten, soviel er wollte, hinzu.

Florida hatte mit Bestimmtheit erklärt, nichts werde sie abhalten, sich zu
Giuseppe Gonzaga den Weg zu bahnen, und so war denn endlich auch der
Redefluß Eufemias versiegt. Ihr Gebetbuch in der Hand und, obschon des
Lesens unkundig, doch beim Hersagen des allen Weibern und Kindern jener
Zeit geläufigen Gebets gegen Pest, Pocken und sonstige Seuchen sich des Ge¬
betbuchs bedienend, schritt sie, von niemand aufgehalten, ihrer Herrin und dem
mühsam sich auf den Arm derselben stützenden Pater voran.

Sie wußte recht wohl, in welchem Teile des Erdgeschosses die beiden
Zimmer Antonio Marias lagen, hatte sie auf sein Verlangen, ihr seine Woh¬
nung zeigen zu dürfen, ihm doch einmal soweit gewillfahrt, daß sie bis an die
Schwelle gegangen war und durch die offne Thür die für sie, als seine erhoffte
Zukünftige, bereitstehende Einrichtung in Augenschein genommen hatte.

Wirst du dich zurechtfinden? fragte Florida, als die Frianlenn nach kurzem
Hin- und Herblicken in einen der sonst halbdunkeln Gänge einbog, welche hente
durch das Offenstehen vieler in Eile verlassenen Dienstwohnungen absonderlich
hell und freundlich anmuteten.

Livuro, lautete die lakonische Antwort.

Kehrt" Ihr aber um, ehrwürdiger Vater, wandte sich Florida gegen Pater
Vigilio, die Kälte hier könnte Euch Schaden bringen.

Dn wirst meiner vielleicht noch sehr bedürfen, gab der Alte ablehnend zur
Antwort.

Und so wurde der Gang ohne weitern Aufenthalt durchschritten, worauf
ein zweiter kürzerer an die Reihe kam und endlich ein pechfinster verlaufender
dritter. An eine der ersten Thüren desselben pochte die Friaulerin mit leisem
Finger. , ,

Poche vernehmbarer, sagte Florida, da keine Antwort erfolgte.

Enfemia pochte beherzter.

Alles still.

Öffne, befahl Florida.

Die Friaulerin zögerte.

Er wird geflohen sein, sagte der Pater.


Um eine perle.

andre wollten wenigstens sagen können, sie seien nur um sich zu orientiren zeit¬
weilig ins Freie gegangen, und diese machten sich drinnen denn auf Augenblicke
wieder zu schaffen, worauf sie bei jedem neuen Ertönen der Pestglocke aber¬
mals hinausschlüpften. Von einer Absperrung der drei bis vier rückseitigen
Schloßeingünge war nichts zu sehen. Ein großes Feuer loderte in geringer
Entfernung jedes Einganges, und trotz der ohnehin schon drückenden Hitze
wurden diese Feuer fleißig geschürt und von zahlreichen Neugierigen umstanden;
denn die herzoglichen Holzkammern waren auf Anordnung des Dottore Posse-
vino geöffnet worden, und wer Freude an dem Prasseln und Knistern des gie¬
rigen Elements hatte, der trug aus den reichen Vorräten, soviel er wollte, hinzu.

Florida hatte mit Bestimmtheit erklärt, nichts werde sie abhalten, sich zu
Giuseppe Gonzaga den Weg zu bahnen, und so war denn endlich auch der
Redefluß Eufemias versiegt. Ihr Gebetbuch in der Hand und, obschon des
Lesens unkundig, doch beim Hersagen des allen Weibern und Kindern jener
Zeit geläufigen Gebets gegen Pest, Pocken und sonstige Seuchen sich des Ge¬
betbuchs bedienend, schritt sie, von niemand aufgehalten, ihrer Herrin und dem
mühsam sich auf den Arm derselben stützenden Pater voran.

Sie wußte recht wohl, in welchem Teile des Erdgeschosses die beiden
Zimmer Antonio Marias lagen, hatte sie auf sein Verlangen, ihr seine Woh¬
nung zeigen zu dürfen, ihm doch einmal soweit gewillfahrt, daß sie bis an die
Schwelle gegangen war und durch die offne Thür die für sie, als seine erhoffte
Zukünftige, bereitstehende Einrichtung in Augenschein genommen hatte.

Wirst du dich zurechtfinden? fragte Florida, als die Frianlenn nach kurzem
Hin- und Herblicken in einen der sonst halbdunkeln Gänge einbog, welche hente
durch das Offenstehen vieler in Eile verlassenen Dienstwohnungen absonderlich
hell und freundlich anmuteten.

Livuro, lautete die lakonische Antwort.

Kehrt" Ihr aber um, ehrwürdiger Vater, wandte sich Florida gegen Pater
Vigilio, die Kälte hier könnte Euch Schaden bringen.

Dn wirst meiner vielleicht noch sehr bedürfen, gab der Alte ablehnend zur
Antwort.

Und so wurde der Gang ohne weitern Aufenthalt durchschritten, worauf
ein zweiter kürzerer an die Reihe kam und endlich ein pechfinster verlaufender
dritter. An eine der ersten Thüren desselben pochte die Friaulerin mit leisem
Finger. , ,

Poche vernehmbarer, sagte Florida, da keine Antwort erfolgte.

Enfemia pochte beherzter.

Alles still.

Öffne, befahl Florida.

Die Friaulerin zögerte.

Er wird geflohen sein, sagte der Pater.


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[0339] Um eine perle. andre wollten wenigstens sagen können, sie seien nur um sich zu orientiren zeit¬ weilig ins Freie gegangen, und diese machten sich drinnen denn auf Augenblicke wieder zu schaffen, worauf sie bei jedem neuen Ertönen der Pestglocke aber¬ mals hinausschlüpften. Von einer Absperrung der drei bis vier rückseitigen Schloßeingünge war nichts zu sehen. Ein großes Feuer loderte in geringer Entfernung jedes Einganges, und trotz der ohnehin schon drückenden Hitze wurden diese Feuer fleißig geschürt und von zahlreichen Neugierigen umstanden; denn die herzoglichen Holzkammern waren auf Anordnung des Dottore Posse- vino geöffnet worden, und wer Freude an dem Prasseln und Knistern des gie¬ rigen Elements hatte, der trug aus den reichen Vorräten, soviel er wollte, hinzu. Florida hatte mit Bestimmtheit erklärt, nichts werde sie abhalten, sich zu Giuseppe Gonzaga den Weg zu bahnen, und so war denn endlich auch der Redefluß Eufemias versiegt. Ihr Gebetbuch in der Hand und, obschon des Lesens unkundig, doch beim Hersagen des allen Weibern und Kindern jener Zeit geläufigen Gebets gegen Pest, Pocken und sonstige Seuchen sich des Ge¬ betbuchs bedienend, schritt sie, von niemand aufgehalten, ihrer Herrin und dem mühsam sich auf den Arm derselben stützenden Pater voran. Sie wußte recht wohl, in welchem Teile des Erdgeschosses die beiden Zimmer Antonio Marias lagen, hatte sie auf sein Verlangen, ihr seine Woh¬ nung zeigen zu dürfen, ihm doch einmal soweit gewillfahrt, daß sie bis an die Schwelle gegangen war und durch die offne Thür die für sie, als seine erhoffte Zukünftige, bereitstehende Einrichtung in Augenschein genommen hatte. Wirst du dich zurechtfinden? fragte Florida, als die Frianlenn nach kurzem Hin- und Herblicken in einen der sonst halbdunkeln Gänge einbog, welche hente durch das Offenstehen vieler in Eile verlassenen Dienstwohnungen absonderlich hell und freundlich anmuteten. Livuro, lautete die lakonische Antwort. Kehrt" Ihr aber um, ehrwürdiger Vater, wandte sich Florida gegen Pater Vigilio, die Kälte hier könnte Euch Schaden bringen. Dn wirst meiner vielleicht noch sehr bedürfen, gab der Alte ablehnend zur Antwort. Und so wurde der Gang ohne weitern Aufenthalt durchschritten, worauf ein zweiter kürzerer an die Reihe kam und endlich ein pechfinster verlaufender dritter. An eine der ersten Thüren desselben pochte die Friaulerin mit leisem Finger. , , Poche vernehmbarer, sagte Florida, da keine Antwort erfolgte. Enfemia pochte beherzter. Alles still. Öffne, befahl Florida. Die Friaulerin zögerte. Er wird geflohen sein, sagte der Pater.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/339>, abgerufen am 23.11.2024.