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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zentrcilasien,

und bereits in diese eingedrungen waren. Die bei Kungrad mit den Kankasiern
Lvmcckins znsammengetroffneli Oreuburger erreichten im Verein mit den letztern
am 30. Mai, über Chodscheili vorrückend, Mcmgyt. 3000 Chiwesen, die sich
ihnen hier entgegenstellten, wurden in die Flucht geschlagen, worauf General
Werewlin über Gurken weiter nach der Hauptstadt ChiwaS marschiren konnte.
Am 26. Mai langte er in der Nähe derselben an, am 27. erfolgte ein Ausfall
gegen ihn, der zurückgeschlagen wurde, und am 28. pflanzte er dicht vor dem
nördlichen Thore eine Batterie leichter Geschütze auf. General von Kaufmann,
ber inzwischen das befestigte Chasarasp genommen hatte und dann gleichfalls
-auf die Stadt Chiwa zumarschirt war, erschien jetzt vor derselben und schickte
sich zum Sturm auf sie an. Im Innern hatte man vollständig den Kopf ver¬
loren. Der Chan war entflohen und sein Bruder zum Nachfolger ausgerufen
worden. Die eine Partei wollte Fortsetzung des Kampfes, die andre Frieden
ohne Verzug. Als der neue Chan dem russischen Oberfeldherrn bereits seine
Unterwerfung erklärt hatte, wurde am Nordthore noch gekämpft. Werewkin ließ
es zusammenschießen und dann stürmen. Um zwei Uhr mittags war alles zu
Ende, und von Kaufmann zog in die Stadt ein. Sein erstes war hier, den
frühern Chan zur Rückkehr aufzufordern, und als derselbe gekommen war und
sich bedingungslos unterworfen hatte, ihn in seine Würde wieder einzusetzen.
Dann wurde die Sklaverei für abgeschafft erklärt, und die vorhandnen Sklaven,
3000 an der Zahl, erhielten die Freiheit und die Erlaubnis heimzukehren. Die
Hauptgegner Rußlands im Charade waren die Turkmenen gewesen, und so legte
ihnen der General eine Kontribution von 300 000 Rubeln auf, die. als sie sich
weigerten, zu zahlen, und ihr Widerstand erst mit den Waffen gebrochen werden
mußte, um 10 000 Rubel erhöht wurde. Auch bei dem Frieden, der nun mit
-dem Chan vereinbart wurde, spielte die Rücksicht auf die Turkmenen eine Rolle.
Um sie für die Dauer einzuschüchtern und Aufstände derselben für die Zukunft
rasch dämpfen zu können, hielt man die Anlegung eines russischen Forts am
Ann und zwar ans dessen rechtem Ufer für notwendig, und dieses Fort mit
seiner Garnison mußte von russischem Gebiete umgeben sein. Infolgedessen hatte
der Chan dem Zaren das rechte Ufer jenes Stromes abzutreten. Ferner verlangte
und erhielt Nußland das Delta am Ausflüsse des Ann, da dessen Besitz für die
Vefahruug des Flusses mit Handelsschiffen wünschenswert war. Sodann durfte
Chiwa nicht mehr in de rLage sein, den Karawanenverkehr Rußlands mit Buchara
zu stören, und so wurde ihm die Abtretung eines weitern Stückes Gebiet rechts vom
Anm auferlegt und dieses dein Emir Mosafar übergeben -- zugleich als Beispiel,
wie der Zar einen guten Nachbar, als den der Emir sichwährend des Krieges re-
wiesen hatte, zu belohnen wußte. Schließlich mußte der Chan in eine Kriegskontri-
bntion von 2200 000 Nudeln willigen, deren letzte Rate 1893 fällig sein sollte.

Das durch diesen Frieden erlangte Gebiet von 1880 Quadratmeilen wurde
als "Ann Darja-Territorium" mit dem Generalgouvernement Turkestan ver-


Die Russen in Zentrcilasien,

und bereits in diese eingedrungen waren. Die bei Kungrad mit den Kankasiern
Lvmcckins znsammengetroffneli Oreuburger erreichten im Verein mit den letztern
am 30. Mai, über Chodscheili vorrückend, Mcmgyt. 3000 Chiwesen, die sich
ihnen hier entgegenstellten, wurden in die Flucht geschlagen, worauf General
Werewlin über Gurken weiter nach der Hauptstadt ChiwaS marschiren konnte.
Am 26. Mai langte er in der Nähe derselben an, am 27. erfolgte ein Ausfall
gegen ihn, der zurückgeschlagen wurde, und am 28. pflanzte er dicht vor dem
nördlichen Thore eine Batterie leichter Geschütze auf. General von Kaufmann,
ber inzwischen das befestigte Chasarasp genommen hatte und dann gleichfalls
-auf die Stadt Chiwa zumarschirt war, erschien jetzt vor derselben und schickte
sich zum Sturm auf sie an. Im Innern hatte man vollständig den Kopf ver¬
loren. Der Chan war entflohen und sein Bruder zum Nachfolger ausgerufen
worden. Die eine Partei wollte Fortsetzung des Kampfes, die andre Frieden
ohne Verzug. Als der neue Chan dem russischen Oberfeldherrn bereits seine
Unterwerfung erklärt hatte, wurde am Nordthore noch gekämpft. Werewkin ließ
es zusammenschießen und dann stürmen. Um zwei Uhr mittags war alles zu
Ende, und von Kaufmann zog in die Stadt ein. Sein erstes war hier, den
frühern Chan zur Rückkehr aufzufordern, und als derselbe gekommen war und
sich bedingungslos unterworfen hatte, ihn in seine Würde wieder einzusetzen.
Dann wurde die Sklaverei für abgeschafft erklärt, und die vorhandnen Sklaven,
3000 an der Zahl, erhielten die Freiheit und die Erlaubnis heimzukehren. Die
Hauptgegner Rußlands im Charade waren die Turkmenen gewesen, und so legte
ihnen der General eine Kontribution von 300 000 Rubeln auf, die. als sie sich
weigerten, zu zahlen, und ihr Widerstand erst mit den Waffen gebrochen werden
mußte, um 10 000 Rubel erhöht wurde. Auch bei dem Frieden, der nun mit
-dem Chan vereinbart wurde, spielte die Rücksicht auf die Turkmenen eine Rolle.
Um sie für die Dauer einzuschüchtern und Aufstände derselben für die Zukunft
rasch dämpfen zu können, hielt man die Anlegung eines russischen Forts am
Ann und zwar ans dessen rechtem Ufer für notwendig, und dieses Fort mit
seiner Garnison mußte von russischem Gebiete umgeben sein. Infolgedessen hatte
der Chan dem Zaren das rechte Ufer jenes Stromes abzutreten. Ferner verlangte
und erhielt Nußland das Delta am Ausflüsse des Ann, da dessen Besitz für die
Vefahruug des Flusses mit Handelsschiffen wünschenswert war. Sodann durfte
Chiwa nicht mehr in de rLage sein, den Karawanenverkehr Rußlands mit Buchara
zu stören, und so wurde ihm die Abtretung eines weitern Stückes Gebiet rechts vom
Anm auferlegt und dieses dein Emir Mosafar übergeben — zugleich als Beispiel,
wie der Zar einen guten Nachbar, als den der Emir sichwährend des Krieges re-
wiesen hatte, zu belohnen wußte. Schließlich mußte der Chan in eine Kriegskontri-
bntion von 2200 000 Nudeln willigen, deren letzte Rate 1893 fällig sein sollte.

Das durch diesen Frieden erlangte Gebiet von 1880 Quadratmeilen wurde
als „Ann Darja-Territorium" mit dem Generalgouvernement Turkestan ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/331>, abgerufen am 28.07.2024.