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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Umist,

Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß mich der Laie,
der lange Zeit hindurch auf die historische Kunst schwören zu müssen meinte,
an ihrem absoluten Werte irre wird, daß er sich die Empfindung der Langen¬
weile, die ihn schon lange den großen Maschinen gegenüber beschlich, da ihm
die dargestellten Könige und Fürsten im Grunde höchst gleichgiltig waren, offen
einzugestehen wagte und daß er sich einmal die Frage vorlegte, ob überhaupt der
Historienmalerei an sich eine höhere Bedeutung zukomme, als den übrigen Ge¬
bieten der Malerei. Solche Erwägungen mögen ihn dann zu der Erkenntnis
führen, daß es höhere und niedere Gattungen auf dem Gebiete der Kunst über¬
haupt nicht giebt, und daß nur die innere Vollendung, nicht aber der Stoff
den Wert eines Kunstwerkes ausmacht, und auf diesem Standpunkte der Be¬
trachtung angelangt, wird er den Glauben an die Zukunft der deutschen Malerei
nicht verlieren, wenn er sich auch eingestehen muß, daß ein lange Zeit in reicher
Blüte prangender Zweig derselben heute dem Verwelken nahe ist. Ob die
Historienmalerei jemals wieder die alte frühere Bedeutung erlangen wird, darum
braucht er sich nicht zu sorgen, das ist die Sache der Künstler, denen er die
Zukunft ruhig überlassen darf; sie werden die naheliegende Frage: Was nun?
gewiß über kurz oder lang in befriedigender Weise beantworten. Denn das
unterliegt keinem Zweifel, daß die Schule, welche die deutsche Kunst unter der
Herrschaft der realistischen Historienmalerei durchgemacht hat, eine heilsame und
gewinnreiche war. Unsre Künstler haben in ihr malen, zum Teil vortrefflich
malen gelernt, und das ist eine Errungenschaft, die niemand unterschätzen sollte,
selbst wenn sie die einzige wäre, zu der uns das Einschlagen realistischer Bahnen
verholfen hätte. Daß jedoch dasselbe auch sonst günstige Folgen gehabt hat,
braucht kaum mehr bewiesen zu werden. Ein Vergleich unsrer heutigen Kunst
mit der, welche vor dem Bekanntwerden der "belgischen Bilder" in Deutschland
herrschend war, läßt deutlich erkennen, daß wir wohl in manchen Stücken großes ver¬
loren haben, dafür aber in andern nicht minder wichtigen Dingen fortgeschritten
sind und uns auf dem besten Wege befinden, auch das Verlorne wieder zu gewinnen.

Solche Gesichtspunkte würden uns leiten, wenn uns die Aufgabe zufiele,
die Geschichte der Historienmalerei, mit deren führender Stellung es heute offenbar
vorüber ist, eingehender darzustellen.

Der Rahmen jedoch, den wir von vornherein diesen Veröffentlichungen ge¬
geben haben, verbietet von selbst, auch nur in Gestalt einer flüchtigen Skizze den
Versuch einer solchen Schilderung zu wagen. Wir wollen hier nicht mehr als
einen kleinen Beitrag für eine künftige Bearbeitung dieses Gegenstandes liefern
und fassen daher zunächst nur den Moment ins Auge, wo sich der im Eingang
erwähnte Umschwung zu gunsten der realistischen Historienmalerei in den all¬
gemeinen Kunstanschauungen der Deutschen vollzog.

Gcillaits und de Biöfres Bilder erschienen in Deutschland zuerst auf der
Kölner Ausstellung des Jahres 1842. War hier schon das Aufsehen, das sie


Grenzboten III. 1385. M
Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Umist,

Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß mich der Laie,
der lange Zeit hindurch auf die historische Kunst schwören zu müssen meinte,
an ihrem absoluten Werte irre wird, daß er sich die Empfindung der Langen¬
weile, die ihn schon lange den großen Maschinen gegenüber beschlich, da ihm
die dargestellten Könige und Fürsten im Grunde höchst gleichgiltig waren, offen
einzugestehen wagte und daß er sich einmal die Frage vorlegte, ob überhaupt der
Historienmalerei an sich eine höhere Bedeutung zukomme, als den übrigen Ge¬
bieten der Malerei. Solche Erwägungen mögen ihn dann zu der Erkenntnis
führen, daß es höhere und niedere Gattungen auf dem Gebiete der Kunst über¬
haupt nicht giebt, und daß nur die innere Vollendung, nicht aber der Stoff
den Wert eines Kunstwerkes ausmacht, und auf diesem Standpunkte der Be¬
trachtung angelangt, wird er den Glauben an die Zukunft der deutschen Malerei
nicht verlieren, wenn er sich auch eingestehen muß, daß ein lange Zeit in reicher
Blüte prangender Zweig derselben heute dem Verwelken nahe ist. Ob die
Historienmalerei jemals wieder die alte frühere Bedeutung erlangen wird, darum
braucht er sich nicht zu sorgen, das ist die Sache der Künstler, denen er die
Zukunft ruhig überlassen darf; sie werden die naheliegende Frage: Was nun?
gewiß über kurz oder lang in befriedigender Weise beantworten. Denn das
unterliegt keinem Zweifel, daß die Schule, welche die deutsche Kunst unter der
Herrschaft der realistischen Historienmalerei durchgemacht hat, eine heilsame und
gewinnreiche war. Unsre Künstler haben in ihr malen, zum Teil vortrefflich
malen gelernt, und das ist eine Errungenschaft, die niemand unterschätzen sollte,
selbst wenn sie die einzige wäre, zu der uns das Einschlagen realistischer Bahnen
verholfen hätte. Daß jedoch dasselbe auch sonst günstige Folgen gehabt hat,
braucht kaum mehr bewiesen zu werden. Ein Vergleich unsrer heutigen Kunst
mit der, welche vor dem Bekanntwerden der „belgischen Bilder" in Deutschland
herrschend war, läßt deutlich erkennen, daß wir wohl in manchen Stücken großes ver¬
loren haben, dafür aber in andern nicht minder wichtigen Dingen fortgeschritten
sind und uns auf dem besten Wege befinden, auch das Verlorne wieder zu gewinnen.

Solche Gesichtspunkte würden uns leiten, wenn uns die Aufgabe zufiele,
die Geschichte der Historienmalerei, mit deren führender Stellung es heute offenbar
vorüber ist, eingehender darzustellen.

Der Rahmen jedoch, den wir von vornherein diesen Veröffentlichungen ge¬
geben haben, verbietet von selbst, auch nur in Gestalt einer flüchtigen Skizze den
Versuch einer solchen Schilderung zu wagen. Wir wollen hier nicht mehr als
einen kleinen Beitrag für eine künftige Bearbeitung dieses Gegenstandes liefern
und fassen daher zunächst nur den Moment ins Auge, wo sich der im Eingang
erwähnte Umschwung zu gunsten der realistischen Historienmalerei in den all¬
gemeinen Kunstanschauungen der Deutschen vollzog.

Gcillaits und de Biöfres Bilder erschienen in Deutschland zuerst auf der
Kölner Ausstellung des Jahres 1842. War hier schon das Aufsehen, das sie


Grenzboten III. 1385. M
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[0313] Analekten zur Geschichte der neuern deutschen Umist, Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß mich der Laie, der lange Zeit hindurch auf die historische Kunst schwören zu müssen meinte, an ihrem absoluten Werte irre wird, daß er sich die Empfindung der Langen¬ weile, die ihn schon lange den großen Maschinen gegenüber beschlich, da ihm die dargestellten Könige und Fürsten im Grunde höchst gleichgiltig waren, offen einzugestehen wagte und daß er sich einmal die Frage vorlegte, ob überhaupt der Historienmalerei an sich eine höhere Bedeutung zukomme, als den übrigen Ge¬ bieten der Malerei. Solche Erwägungen mögen ihn dann zu der Erkenntnis führen, daß es höhere und niedere Gattungen auf dem Gebiete der Kunst über¬ haupt nicht giebt, und daß nur die innere Vollendung, nicht aber der Stoff den Wert eines Kunstwerkes ausmacht, und auf diesem Standpunkte der Be¬ trachtung angelangt, wird er den Glauben an die Zukunft der deutschen Malerei nicht verlieren, wenn er sich auch eingestehen muß, daß ein lange Zeit in reicher Blüte prangender Zweig derselben heute dem Verwelken nahe ist. Ob die Historienmalerei jemals wieder die alte frühere Bedeutung erlangen wird, darum braucht er sich nicht zu sorgen, das ist die Sache der Künstler, denen er die Zukunft ruhig überlassen darf; sie werden die naheliegende Frage: Was nun? gewiß über kurz oder lang in befriedigender Weise beantworten. Denn das unterliegt keinem Zweifel, daß die Schule, welche die deutsche Kunst unter der Herrschaft der realistischen Historienmalerei durchgemacht hat, eine heilsame und gewinnreiche war. Unsre Künstler haben in ihr malen, zum Teil vortrefflich malen gelernt, und das ist eine Errungenschaft, die niemand unterschätzen sollte, selbst wenn sie die einzige wäre, zu der uns das Einschlagen realistischer Bahnen verholfen hätte. Daß jedoch dasselbe auch sonst günstige Folgen gehabt hat, braucht kaum mehr bewiesen zu werden. Ein Vergleich unsrer heutigen Kunst mit der, welche vor dem Bekanntwerden der „belgischen Bilder" in Deutschland herrschend war, läßt deutlich erkennen, daß wir wohl in manchen Stücken großes ver¬ loren haben, dafür aber in andern nicht minder wichtigen Dingen fortgeschritten sind und uns auf dem besten Wege befinden, auch das Verlorne wieder zu gewinnen. Solche Gesichtspunkte würden uns leiten, wenn uns die Aufgabe zufiele, die Geschichte der Historienmalerei, mit deren führender Stellung es heute offenbar vorüber ist, eingehender darzustellen. Der Rahmen jedoch, den wir von vornherein diesen Veröffentlichungen ge¬ geben haben, verbietet von selbst, auch nur in Gestalt einer flüchtigen Skizze den Versuch einer solchen Schilderung zu wagen. Wir wollen hier nicht mehr als einen kleinen Beitrag für eine künftige Bearbeitung dieses Gegenstandes liefern und fassen daher zunächst nur den Moment ins Auge, wo sich der im Eingang erwähnte Umschwung zu gunsten der realistischen Historienmalerei in den all¬ gemeinen Kunstanschauungen der Deutschen vollzog. Gcillaits und de Biöfres Bilder erschienen in Deutschland zuerst auf der Kölner Ausstellung des Jahres 1842. War hier schon das Aufsehen, das sie Grenzboten III. 1385. M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/313>, abgerufen am 01.09.2024.