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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Tod des Mahdi,

neuen Propheten entschieden haben, werden sie in ihr früheres Dunkel zurück-
versinkcn; denn sie lebten nur von dem Lichte, das der Tote entzündet und um
sich verbreitet hatte. Als Jünger und Gehilfen des Messias waren sie Personen
von Bedeutung, aber er starb wie ein gewöhnlicher Mensch an den Blattern,
und ihre Stellung ist jetzt eine höchst unsichere, um nicht zu sagen eine absurde,
auf alle Fülle eine für den Chedive und England ungefährliche. Der Aufstand
des Sudan ist fortan eine Gewitterwolke, welcher die Elektrizität abhanden
gekommen ist. Sie kann sich wieder sammeln und spannen, aber wahrscheinlicher
ist, daß die Wolke sich in kleine Wölkchen auflösen und nach einem schwächer
werdenden Wetterleuchten ganz verschwinden wird.

Der Tod des Mcchdi bietet dem Lord Salisbury eine politische Gelegenheit
zum Handeln, die mit einer finanziellen eng verbunden ist. Die Bewegung im
Sudan stockt damit, der Aufstand ist praktisch wenigstens bis auf weiteres,
vielleicht für lauge Zeit, vielleicht sogar für immer tot wie sein Urheber. Osman
Digma wird -- falls er nicht wirklich ebenfalls gestorben ist -- den Widerstand
fortsetzen, und andre werden möglicherweise desgleichen thun. Aber das einigende
Ziel wird fehlen, die Bewegung wird auf Unabhängigkeit von Stämmen ge¬
richtet, weniger von religiösen Kräften und Zwecken erfüllt und getrieben sein.
So wird es für die englische Politik möglich werden, die Rückzugspläne einer
Revision zu unterziehen, welche in der letzten Zeit die Operationen der britischen
Truppen und das Verfahren der ägyptischen Behörden bestimmten. Schon hörte
man in dieser Hinsicht, daß ein Versuch unternommen werden soll, durch einen
Vorstoß nach Kassala hin die tapfere Besatzung dieser Stadt zu retten, welche
sich um schon länger als ein Jahr mühsam gegen die Angriffe der Sudanesen
gewehrt hat. Ob man imstande sein wird, die wertvolle Provinz Dongola ohne
große Opfer wieder zu besetzen, ist eine Frage, die sich nicht eher beantworten
läßt, als bis der jetzt nach Konstantinopel abgesandte Drummond Wolff sich und
Salisbury Gewißheit verschafft hat, wieweit England nicht bloß ans die
Autorität des Sultans, sondern auch auf die türkische Armee, d. h. auf ein
Hilfskorps aus derselben, rechnen darf. Ans alle Fälle ist es klar, daß die
Politik der Tories am Ruder jetzt, wo der Tod des Mcchdi die Revolution der
Sudanesen gelähmt hat, eine gute Gelegenheit vor sich sieht, das Bollwerk zwischen
Ägypten und dem Sudan, welches selbst die liberale Regierung für notwendig
erklärte, weiter nach Süden, über Wady Halfa hinaus vorzuschieben. Es gab
eine Zeit, wo Chartum zum südlichsten Endpunkte der ägyptischen Herrschaft zu
machen gewesen wäre, aber mit Gordons Tode und dem Einzuge des Propheten
in die Stadt am Zusammenflüsse des Blauen und des Weißen Nils ging die
Aussicht auf diese Ausdehnung verloren. Man darf indes nicht unterschätzen,
was sich hier jetzt wieder, wo die Persönlichkeit des Mcchdi und der Glaube an
seine göttliche Sendung die Sudanesen nicht mehr einigt und stärkt, diese viel¬
mehr wieder in einzelne Parteien mit weltlichen Zielen, die sich widerstreiten,


Der Tod des Mahdi,

neuen Propheten entschieden haben, werden sie in ihr früheres Dunkel zurück-
versinkcn; denn sie lebten nur von dem Lichte, das der Tote entzündet und um
sich verbreitet hatte. Als Jünger und Gehilfen des Messias waren sie Personen
von Bedeutung, aber er starb wie ein gewöhnlicher Mensch an den Blattern,
und ihre Stellung ist jetzt eine höchst unsichere, um nicht zu sagen eine absurde,
auf alle Fülle eine für den Chedive und England ungefährliche. Der Aufstand
des Sudan ist fortan eine Gewitterwolke, welcher die Elektrizität abhanden
gekommen ist. Sie kann sich wieder sammeln und spannen, aber wahrscheinlicher
ist, daß die Wolke sich in kleine Wölkchen auflösen und nach einem schwächer
werdenden Wetterleuchten ganz verschwinden wird.

Der Tod des Mcchdi bietet dem Lord Salisbury eine politische Gelegenheit
zum Handeln, die mit einer finanziellen eng verbunden ist. Die Bewegung im
Sudan stockt damit, der Aufstand ist praktisch wenigstens bis auf weiteres,
vielleicht für lauge Zeit, vielleicht sogar für immer tot wie sein Urheber. Osman
Digma wird — falls er nicht wirklich ebenfalls gestorben ist — den Widerstand
fortsetzen, und andre werden möglicherweise desgleichen thun. Aber das einigende
Ziel wird fehlen, die Bewegung wird auf Unabhängigkeit von Stämmen ge¬
richtet, weniger von religiösen Kräften und Zwecken erfüllt und getrieben sein.
So wird es für die englische Politik möglich werden, die Rückzugspläne einer
Revision zu unterziehen, welche in der letzten Zeit die Operationen der britischen
Truppen und das Verfahren der ägyptischen Behörden bestimmten. Schon hörte
man in dieser Hinsicht, daß ein Versuch unternommen werden soll, durch einen
Vorstoß nach Kassala hin die tapfere Besatzung dieser Stadt zu retten, welche
sich um schon länger als ein Jahr mühsam gegen die Angriffe der Sudanesen
gewehrt hat. Ob man imstande sein wird, die wertvolle Provinz Dongola ohne
große Opfer wieder zu besetzen, ist eine Frage, die sich nicht eher beantworten
läßt, als bis der jetzt nach Konstantinopel abgesandte Drummond Wolff sich und
Salisbury Gewißheit verschafft hat, wieweit England nicht bloß ans die
Autorität des Sultans, sondern auch auf die türkische Armee, d. h. auf ein
Hilfskorps aus derselben, rechnen darf. Ans alle Fälle ist es klar, daß die
Politik der Tories am Ruder jetzt, wo der Tod des Mcchdi die Revolution der
Sudanesen gelähmt hat, eine gute Gelegenheit vor sich sieht, das Bollwerk zwischen
Ägypten und dem Sudan, welches selbst die liberale Regierung für notwendig
erklärte, weiter nach Süden, über Wady Halfa hinaus vorzuschieben. Es gab
eine Zeit, wo Chartum zum südlichsten Endpunkte der ägyptischen Herrschaft zu
machen gewesen wäre, aber mit Gordons Tode und dem Einzuge des Propheten
in die Stadt am Zusammenflüsse des Blauen und des Weißen Nils ging die
Aussicht auf diese Ausdehnung verloren. Man darf indes nicht unterschätzen,
was sich hier jetzt wieder, wo die Persönlichkeit des Mcchdi und der Glaube an
seine göttliche Sendung die Sudanesen nicht mehr einigt und stärkt, diese viel¬
mehr wieder in einzelne Parteien mit weltlichen Zielen, die sich widerstreiten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/300>, abgerufen am 28.07.2024.