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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Deutsches Künstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.

Italien und in den Niederlanden die Meister schon von einem echten Künstler-
stolze beseelt waren, ihre Werke eigenhändig zu vollenden suchten und fast
überall ihre Namen beisetzten, suchen wir in Deutschland nach solchen Künstler¬
inschriften vergebens. Die Maler selbst betrachteten ihre Werke uoch aus¬
schließlich als Handwerkserzeugnisse, die sie ebensowenig mit ihrem Namen be¬
zeichneten wie ihre Zunftgenossen, die Tischler und Sattler. Inschriften auf
Bildern sind äußerst selten; die Monogramme, mit denen die Holzschnitte und
Kupferstiche öfter versehen sind, können nicht zählen, da sie nicht das geistige
Eigentum bezeichnen, sondern lediglich eine Fabrikmarke sind, die schon zum
Zwecke der Besteuerung von den Behörden verlangt wurde. Ebenso vergeblich
sucht man nach Selbstbildnissen der Künstler. Während in Italien fast jeder
Maler auf irgendeinem Werke sein Selbstporträt anbrachte, ist von deutscheu
Meistern nur der ältere Holbein zu nennen, der auf seiner 1504 gemalten
Paulusbasilika sich selbst und seine Familie darstellte.

Wer hätte auch ein Interesse an dem Namen oder dem Bildnisse des
Künstlers haben können! Gab es doch damals in Deutschland überhaupt noch
keinen künstlerischen Ruhm. Es fehlte noch jedes ästhetische Verständnis, wie
es in Italien schon so früh seit Cimabues und Duccios Zeiten sich geltend
machte. Die Bilder dienten nur zur religiösen Erbauung; man war zufrieden,
wenn sie im Goldglanz auf dem Altar prangten, der Name der Maler war
der Mitwelt gleichgiltig. In den Malerbüchern wie in den Stadtregistern
werden sie nur mit dem Vornamen (michel mater, clawß mater) oder höchstens
dem Namen ihrer Heimat (niclas von Oelsen mater) bezeichnet, und ebensowenig
Beachtung fanden sie bei den Gelehrten. Auch diese wußten noch nicht, daß
es außer den politischen Aktionen noch ein andres Gebiet gebe, das der Be¬
achtung des Geschichtsschreibers würdig sei. Und so hat kein einziger Künstler
des fünfzehnten Jahrhunderts in der zeitgenössischen Literatur eine ehrenvolle
Anerkennung gefunden. Sie lebten als zünftige Handwerker und wurden, wenn
sie starben, von ihrer Zunft zu Grabe getragen. Keine Chronik meldete von
ihrem Tode. Wann einer starb, sieht man immer nur daraus, daß er uicht
mehr in den Maler- und Steuerbüchern eingetragen ist, daß statt seiner die
Witwe oder der Sohn die Steuern bezahlt.

Die Entwicklung, die in Italien schon im vierzehnten Jahrhundert be¬
gonnen hatte, ging in Deutschland erst im Reformationszeitalter ganz allmählich
vor sich.

Zunächst blieb auch im sechzehnten Jahrhundert das äußere Leben des
Künstlers das gleiche. Der Knabe trat wie früher in der Werkstatt eines an¬
gesehenen Malers seine Künstlerlaufbahn an, und ging, wenn er seine Lehrzeit
vollendet hatte, auf die Wanderschaft, freilich nicht mehr nach den Niederlanden,
sondern gewöhnlich nach Italien, das seit dem Beginne des sechzehnten Jahr¬
hunderts die Führung ans dem Gebiete der Kunst übernommen hatte. Ins-


Deutsches Künstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.

Italien und in den Niederlanden die Meister schon von einem echten Künstler-
stolze beseelt waren, ihre Werke eigenhändig zu vollenden suchten und fast
überall ihre Namen beisetzten, suchen wir in Deutschland nach solchen Künstler¬
inschriften vergebens. Die Maler selbst betrachteten ihre Werke uoch aus¬
schließlich als Handwerkserzeugnisse, die sie ebensowenig mit ihrem Namen be¬
zeichneten wie ihre Zunftgenossen, die Tischler und Sattler. Inschriften auf
Bildern sind äußerst selten; die Monogramme, mit denen die Holzschnitte und
Kupferstiche öfter versehen sind, können nicht zählen, da sie nicht das geistige
Eigentum bezeichnen, sondern lediglich eine Fabrikmarke sind, die schon zum
Zwecke der Besteuerung von den Behörden verlangt wurde. Ebenso vergeblich
sucht man nach Selbstbildnissen der Künstler. Während in Italien fast jeder
Maler auf irgendeinem Werke sein Selbstporträt anbrachte, ist von deutscheu
Meistern nur der ältere Holbein zu nennen, der auf seiner 1504 gemalten
Paulusbasilika sich selbst und seine Familie darstellte.

Wer hätte auch ein Interesse an dem Namen oder dem Bildnisse des
Künstlers haben können! Gab es doch damals in Deutschland überhaupt noch
keinen künstlerischen Ruhm. Es fehlte noch jedes ästhetische Verständnis, wie
es in Italien schon so früh seit Cimabues und Duccios Zeiten sich geltend
machte. Die Bilder dienten nur zur religiösen Erbauung; man war zufrieden,
wenn sie im Goldglanz auf dem Altar prangten, der Name der Maler war
der Mitwelt gleichgiltig. In den Malerbüchern wie in den Stadtregistern
werden sie nur mit dem Vornamen (michel mater, clawß mater) oder höchstens
dem Namen ihrer Heimat (niclas von Oelsen mater) bezeichnet, und ebensowenig
Beachtung fanden sie bei den Gelehrten. Auch diese wußten noch nicht, daß
es außer den politischen Aktionen noch ein andres Gebiet gebe, das der Be¬
achtung des Geschichtsschreibers würdig sei. Und so hat kein einziger Künstler
des fünfzehnten Jahrhunderts in der zeitgenössischen Literatur eine ehrenvolle
Anerkennung gefunden. Sie lebten als zünftige Handwerker und wurden, wenn
sie starben, von ihrer Zunft zu Grabe getragen. Keine Chronik meldete von
ihrem Tode. Wann einer starb, sieht man immer nur daraus, daß er uicht
mehr in den Maler- und Steuerbüchern eingetragen ist, daß statt seiner die
Witwe oder der Sohn die Steuern bezahlt.

Die Entwicklung, die in Italien schon im vierzehnten Jahrhundert be¬
gonnen hatte, ging in Deutschland erst im Reformationszeitalter ganz allmählich
vor sich.

Zunächst blieb auch im sechzehnten Jahrhundert das äußere Leben des
Künstlers das gleiche. Der Knabe trat wie früher in der Werkstatt eines an¬
gesehenen Malers seine Künstlerlaufbahn an, und ging, wenn er seine Lehrzeit
vollendet hatte, auf die Wanderschaft, freilich nicht mehr nach den Niederlanden,
sondern gewöhnlich nach Italien, das seit dem Beginne des sechzehnten Jahr¬
hunderts die Führung ans dem Gebiete der Kunst übernommen hatte. Ins-


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[0029] Deutsches Künstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Italien und in den Niederlanden die Meister schon von einem echten Künstler- stolze beseelt waren, ihre Werke eigenhändig zu vollenden suchten und fast überall ihre Namen beisetzten, suchen wir in Deutschland nach solchen Künstler¬ inschriften vergebens. Die Maler selbst betrachteten ihre Werke uoch aus¬ schließlich als Handwerkserzeugnisse, die sie ebensowenig mit ihrem Namen be¬ zeichneten wie ihre Zunftgenossen, die Tischler und Sattler. Inschriften auf Bildern sind äußerst selten; die Monogramme, mit denen die Holzschnitte und Kupferstiche öfter versehen sind, können nicht zählen, da sie nicht das geistige Eigentum bezeichnen, sondern lediglich eine Fabrikmarke sind, die schon zum Zwecke der Besteuerung von den Behörden verlangt wurde. Ebenso vergeblich sucht man nach Selbstbildnissen der Künstler. Während in Italien fast jeder Maler auf irgendeinem Werke sein Selbstporträt anbrachte, ist von deutscheu Meistern nur der ältere Holbein zu nennen, der auf seiner 1504 gemalten Paulusbasilika sich selbst und seine Familie darstellte. Wer hätte auch ein Interesse an dem Namen oder dem Bildnisse des Künstlers haben können! Gab es doch damals in Deutschland überhaupt noch keinen künstlerischen Ruhm. Es fehlte noch jedes ästhetische Verständnis, wie es in Italien schon so früh seit Cimabues und Duccios Zeiten sich geltend machte. Die Bilder dienten nur zur religiösen Erbauung; man war zufrieden, wenn sie im Goldglanz auf dem Altar prangten, der Name der Maler war der Mitwelt gleichgiltig. In den Malerbüchern wie in den Stadtregistern werden sie nur mit dem Vornamen (michel mater, clawß mater) oder höchstens dem Namen ihrer Heimat (niclas von Oelsen mater) bezeichnet, und ebensowenig Beachtung fanden sie bei den Gelehrten. Auch diese wußten noch nicht, daß es außer den politischen Aktionen noch ein andres Gebiet gebe, das der Be¬ achtung des Geschichtsschreibers würdig sei. Und so hat kein einziger Künstler des fünfzehnten Jahrhunderts in der zeitgenössischen Literatur eine ehrenvolle Anerkennung gefunden. Sie lebten als zünftige Handwerker und wurden, wenn sie starben, von ihrer Zunft zu Grabe getragen. Keine Chronik meldete von ihrem Tode. Wann einer starb, sieht man immer nur daraus, daß er uicht mehr in den Maler- und Steuerbüchern eingetragen ist, daß statt seiner die Witwe oder der Sohn die Steuern bezahlt. Die Entwicklung, die in Italien schon im vierzehnten Jahrhundert be¬ gonnen hatte, ging in Deutschland erst im Reformationszeitalter ganz allmählich vor sich. Zunächst blieb auch im sechzehnten Jahrhundert das äußere Leben des Künstlers das gleiche. Der Knabe trat wie früher in der Werkstatt eines an¬ gesehenen Malers seine Künstlerlaufbahn an, und ging, wenn er seine Lehrzeit vollendet hatte, auf die Wanderschaft, freilich nicht mehr nach den Niederlanden, sondern gewöhnlich nach Italien, das seit dem Beginne des sechzehnten Jahr¬ hunderts die Führung ans dem Gebiete der Kunst übernommen hatte. Ins-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/29>, abgerufen am 28.07.2024.