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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

über uns verhängt -- wer weiß, ob nicht um unsers Hasses willen! Sind wir
gebessert? Sind wir nicht hart und unversöhnlich geblieben wie zuvor? Wird
uns die Stundung, die uns ward, nicht plötzlich entzogen werden, wenn wir
uns ihrer unwert erweisen? O ich weiß, Vater, meine Schuld war schwer.
Aber ich konnte nicht Liebe mit Haß lohnen, nicht Gilde und Opferfreudigkeit
mit Kälte, ich habe ein Herz, Vater, und in den Adern Florida Buonacolsis
kocht das Blut gerade so heiß wie in den Eltern.

Du bleibst hier! lautete Marccllos Antwort.

Pater Vigilio, flehte Florida, steht zu mir! Redet meinem Vater ins Gewissen!

Die Tcatincr, baute Marcello vor, haben immer ihre Ehre darin gesucht,
sich nicht zwischen Kind und Eltern einzudrängen. Ihr werdet, wandte er sich
zu dem alten Pater Vigilio, mehr über jenen -- Manu wissen, als bloß daß
er lebt. Tritt auf die Seite, Tochter; Dinge so ernster Art taugen nicht für
das Hineinreden von Weibern. Und jetzt, ehrwürdiger Pater, teilt mir alles
mit, was Ihr wißt. Die Bittgänge kommen noch immer zeitig genug zustande.
Mögen die Minimi heute einmal den Vortritt haben.

Pater Vigilio berichtete näheres über die Art, wie ihm die Kunde zu
Ohren gekommen sei. Er habe dann Nachforschungen angestellt und habe er¬
mittelt, daß alles, was seinerzeit über die nächtliche Bestattung des unglück¬
lichen jungen Mannes erzählt worden sei, des sichern Anhalts entbehrte, wie
der Anwalt Mareellos ja schon, wenn auch vergebens, in seiner Verteidigungs¬
schrift nachzuweisen versucht habe. Da erst die gestrigen Aussagen des Paduaucrs
die hochverräterischen Pläne deS Totgesagten ans Licht gebracht zu haben
schienen, so sei anzunehmen, daß sich der letztere wohl zwar in sicherm Ver¬
wahrsam, aber nicht eigentlich in Haft, sondern im Schlosse selbst und unter
ärztlicher Hut befinde. Darauf deute auch der Umstand hin, daß ganz nahe
am Schlosse die ersten Tauben aufgegriffen seien, welche der vermeintliche Ge¬
fangene als Boten entsandt habe.

Zu mehreren malen hatte Florida mit ungeduldigem Bitten die Auseinander¬
setzungen des alten Paters in beschleunigteres Tempo zu bringen gesucht. Aber
umsonst. Mit fest zusammengezogenen Brauen wies ihr Vater jede solche Ein¬
mischung zurück, und ihr blieb nichts übrig, als in lauten Selbstgesprächen sich
anzuklagen, daß sie eine kostbare Minute nach der andern verstreichen lasse, ohne
dem Geliebten zu Hilfe zu eilen.

Als der Pater zu Ende war, sagte Marcello: Die Sache nimmt ein wunder¬
liches Gesicht an. Wie steht zunächst der Herzog da? Auf Grund des Tot¬
schlags eines Gonzaga hatte er mich zum Tode verurteilen lassen, und jetzt
lebt der Erschlagene, und man hat mit mir also einen Justizmord vorgehabt.
Im letzten Augenblicke mag dem Schwächling Francesco der Mut zur Ausfüh¬
rung seines Anschlages versagt haben, wie ihm der Mut gefehlt haben wird,
den Mann, den ich erschlagen zu haben dachte, wirklich zu den Toten zu werfen.


Um eine Perle.

über uns verhängt — wer weiß, ob nicht um unsers Hasses willen! Sind wir
gebessert? Sind wir nicht hart und unversöhnlich geblieben wie zuvor? Wird
uns die Stundung, die uns ward, nicht plötzlich entzogen werden, wenn wir
uns ihrer unwert erweisen? O ich weiß, Vater, meine Schuld war schwer.
Aber ich konnte nicht Liebe mit Haß lohnen, nicht Gilde und Opferfreudigkeit
mit Kälte, ich habe ein Herz, Vater, und in den Adern Florida Buonacolsis
kocht das Blut gerade so heiß wie in den Eltern.

Du bleibst hier! lautete Marccllos Antwort.

Pater Vigilio, flehte Florida, steht zu mir! Redet meinem Vater ins Gewissen!

Die Tcatincr, baute Marcello vor, haben immer ihre Ehre darin gesucht,
sich nicht zwischen Kind und Eltern einzudrängen. Ihr werdet, wandte er sich
zu dem alten Pater Vigilio, mehr über jenen — Manu wissen, als bloß daß
er lebt. Tritt auf die Seite, Tochter; Dinge so ernster Art taugen nicht für
das Hineinreden von Weibern. Und jetzt, ehrwürdiger Pater, teilt mir alles
mit, was Ihr wißt. Die Bittgänge kommen noch immer zeitig genug zustande.
Mögen die Minimi heute einmal den Vortritt haben.

Pater Vigilio berichtete näheres über die Art, wie ihm die Kunde zu
Ohren gekommen sei. Er habe dann Nachforschungen angestellt und habe er¬
mittelt, daß alles, was seinerzeit über die nächtliche Bestattung des unglück¬
lichen jungen Mannes erzählt worden sei, des sichern Anhalts entbehrte, wie
der Anwalt Mareellos ja schon, wenn auch vergebens, in seiner Verteidigungs¬
schrift nachzuweisen versucht habe. Da erst die gestrigen Aussagen des Paduaucrs
die hochverräterischen Pläne deS Totgesagten ans Licht gebracht zu haben
schienen, so sei anzunehmen, daß sich der letztere wohl zwar in sicherm Ver¬
wahrsam, aber nicht eigentlich in Haft, sondern im Schlosse selbst und unter
ärztlicher Hut befinde. Darauf deute auch der Umstand hin, daß ganz nahe
am Schlosse die ersten Tauben aufgegriffen seien, welche der vermeintliche Ge¬
fangene als Boten entsandt habe.

Zu mehreren malen hatte Florida mit ungeduldigem Bitten die Auseinander¬
setzungen des alten Paters in beschleunigteres Tempo zu bringen gesucht. Aber
umsonst. Mit fest zusammengezogenen Brauen wies ihr Vater jede solche Ein¬
mischung zurück, und ihr blieb nichts übrig, als in lauten Selbstgesprächen sich
anzuklagen, daß sie eine kostbare Minute nach der andern verstreichen lasse, ohne
dem Geliebten zu Hilfe zu eilen.

Als der Pater zu Ende war, sagte Marcello: Die Sache nimmt ein wunder¬
liches Gesicht an. Wie steht zunächst der Herzog da? Auf Grund des Tot¬
schlags eines Gonzaga hatte er mich zum Tode verurteilen lassen, und jetzt
lebt der Erschlagene, und man hat mit mir also einen Justizmord vorgehabt.
Im letzten Augenblicke mag dem Schwächling Francesco der Mut zur Ausfüh¬
rung seines Anschlages versagt haben, wie ihm der Mut gefehlt haben wird,
den Mann, den ich erschlagen zu haben dachte, wirklich zu den Toten zu werfen.


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[0287] Um eine Perle. über uns verhängt — wer weiß, ob nicht um unsers Hasses willen! Sind wir gebessert? Sind wir nicht hart und unversöhnlich geblieben wie zuvor? Wird uns die Stundung, die uns ward, nicht plötzlich entzogen werden, wenn wir uns ihrer unwert erweisen? O ich weiß, Vater, meine Schuld war schwer. Aber ich konnte nicht Liebe mit Haß lohnen, nicht Gilde und Opferfreudigkeit mit Kälte, ich habe ein Herz, Vater, und in den Adern Florida Buonacolsis kocht das Blut gerade so heiß wie in den Eltern. Du bleibst hier! lautete Marccllos Antwort. Pater Vigilio, flehte Florida, steht zu mir! Redet meinem Vater ins Gewissen! Die Tcatincr, baute Marcello vor, haben immer ihre Ehre darin gesucht, sich nicht zwischen Kind und Eltern einzudrängen. Ihr werdet, wandte er sich zu dem alten Pater Vigilio, mehr über jenen — Manu wissen, als bloß daß er lebt. Tritt auf die Seite, Tochter; Dinge so ernster Art taugen nicht für das Hineinreden von Weibern. Und jetzt, ehrwürdiger Pater, teilt mir alles mit, was Ihr wißt. Die Bittgänge kommen noch immer zeitig genug zustande. Mögen die Minimi heute einmal den Vortritt haben. Pater Vigilio berichtete näheres über die Art, wie ihm die Kunde zu Ohren gekommen sei. Er habe dann Nachforschungen angestellt und habe er¬ mittelt, daß alles, was seinerzeit über die nächtliche Bestattung des unglück¬ lichen jungen Mannes erzählt worden sei, des sichern Anhalts entbehrte, wie der Anwalt Mareellos ja schon, wenn auch vergebens, in seiner Verteidigungs¬ schrift nachzuweisen versucht habe. Da erst die gestrigen Aussagen des Paduaucrs die hochverräterischen Pläne deS Totgesagten ans Licht gebracht zu haben schienen, so sei anzunehmen, daß sich der letztere wohl zwar in sicherm Ver¬ wahrsam, aber nicht eigentlich in Haft, sondern im Schlosse selbst und unter ärztlicher Hut befinde. Darauf deute auch der Umstand hin, daß ganz nahe am Schlosse die ersten Tauben aufgegriffen seien, welche der vermeintliche Ge¬ fangene als Boten entsandt habe. Zu mehreren malen hatte Florida mit ungeduldigem Bitten die Auseinander¬ setzungen des alten Paters in beschleunigteres Tempo zu bringen gesucht. Aber umsonst. Mit fest zusammengezogenen Brauen wies ihr Vater jede solche Ein¬ mischung zurück, und ihr blieb nichts übrig, als in lauten Selbstgesprächen sich anzuklagen, daß sie eine kostbare Minute nach der andern verstreichen lasse, ohne dem Geliebten zu Hilfe zu eilen. Als der Pater zu Ende war, sagte Marcello: Die Sache nimmt ein wunder¬ liches Gesicht an. Wie steht zunächst der Herzog da? Auf Grund des Tot¬ schlags eines Gonzaga hatte er mich zum Tode verurteilen lassen, und jetzt lebt der Erschlagene, und man hat mit mir also einen Justizmord vorgehabt. Im letzten Augenblicke mag dem Schwächling Francesco der Mut zur Ausfüh¬ rung seines Anschlages versagt haben, wie ihm der Mut gefehlt haben wird, den Mann, den ich erschlagen zu haben dachte, wirklich zu den Toten zu werfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/287>, abgerufen am 23.11.2024.