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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Ver nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt.

höherm Maße fähig war, sich gegen die Not der neuen Zeit auch die Waffen
derselben anzueignen, der "Gutsbesitzer," in unverhältnismäßig höherm Maße
gefährdet, weil der höhere Stand seiner Kultur zu große Anforderungen an sein
Budget stellte, weil er -- mit einem Worte -- zuviel brauchte. Er ist in dieser
gefährdeten Lage noch heute, und er wird ihr, wenn nicht außerordentliches ge¬
schieht, früher oder später erliegen. Seine repräsentativen Lebensgewohnheiten
stehen je länger je mehr in schneidendem Gegensatze zu seinen materiellen Be¬
klemmungen; die einzige Rettung für ihn ist, daß er auf der sozialen Stufen¬
leiter herabsteige, und das ist das letzte, was er thun wird und thun kann.

Er hat sich bis jetzt gewehrt, so gut es ging. Aus dem "gnädigen Herrn"
der frühern Tage, der von Whisttisch und Jagd sich gelegentlich eine Stunde
abmüßigte, um ein wenig nach der Wirtschaft zu sehen, wurde längst ein sorgen¬
voller Mann, ein unruhiger Unternehmer; er wurde ein eifriger Agrikultur-
Chemiker, ein belesener Nationalökonom; er wurde Spiritusbrenner, Viehhändler,
Milchwirtschafter, Mühlentreiber, Znckerfabrikant und weiß Gott was alles,
ohne aus der Patsche herauszukommen. Sehen wir von den wenigen glücklichen
Gegenden ab, wo außerordentliche Fruchtbarkeit und althergebrachter Wohlstand
abnorme Verhältnisse geschaffen haben, so werden die Klagen mit jedem Jahre
lauter, und trotz einer gelegentlichen Erklärung von allerhöchster Stelle aus,
daß die Befürchtungen in bezug auf die Landwirtschaft übertrieben seien, hört
man, besonders aus den östlichen Provinzen, von ganzen Kreisen, wo nach Ver¬
lauf noch nicht eines Menschenalters keine der altaugcsehenen Familien mehr im
Besitz ist und die jetzt vorhandnen zwischen Verschuldung, Sequestration und
Bankerott hiu- und hertaumeln.

Es hat nnn dein deutschen Landwirte, als er all den ans ihn einstür¬
menden Schwierigkeiten erliegend, gerade von der ausländischen Konkurrenz über¬
flutet werden sollte, im Augenblicke höchster und dringendster Gefahr ein treuer
Freund zur Seite gestanden: das war seine Regierung.

Die Alternative, vor welche die deutsche Negierung gestellt war, lautete
einfach: Sollen die Zölle ans landwirtschaftliche Produkte zu wirklichen Schutz¬
zöllen erhoben und der deutsche Landwirt vom Ruin gerettet, oder soll der
deutsche Laudwirt dem Ruin preisgegeben und der Zoll erst nachher eingeführt
werden?^) Die "wahrhaft Freisinnigen" waren natürlich für den sofortigen
Ruin; die Entscheidung fiel jedoch in ersterem Sinne.

Aus dem wütenden Lärm, den besonders einzelne deutsch-amerikanische
Blätter gegen diese neue deutsche Zollgesetzgebung erhoben, kann man entnehmen,
daß der Nagel ans den Kopf getroffen worden war. Wäre die Maßregel von



Vor einer ähnlichen Entscheidung standen kürzlich die englischen Großgrundbesitzer
ihren Pächtern gegenüber, als sie die Rente, vielfach bis zu fünfzig Prozent, herabsetzten!
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Ver nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt.

höherm Maße fähig war, sich gegen die Not der neuen Zeit auch die Waffen
derselben anzueignen, der „Gutsbesitzer," in unverhältnismäßig höherm Maße
gefährdet, weil der höhere Stand seiner Kultur zu große Anforderungen an sein
Budget stellte, weil er — mit einem Worte — zuviel brauchte. Er ist in dieser
gefährdeten Lage noch heute, und er wird ihr, wenn nicht außerordentliches ge¬
schieht, früher oder später erliegen. Seine repräsentativen Lebensgewohnheiten
stehen je länger je mehr in schneidendem Gegensatze zu seinen materiellen Be¬
klemmungen; die einzige Rettung für ihn ist, daß er auf der sozialen Stufen¬
leiter herabsteige, und das ist das letzte, was er thun wird und thun kann.

Er hat sich bis jetzt gewehrt, so gut es ging. Aus dem „gnädigen Herrn"
der frühern Tage, der von Whisttisch und Jagd sich gelegentlich eine Stunde
abmüßigte, um ein wenig nach der Wirtschaft zu sehen, wurde längst ein sorgen¬
voller Mann, ein unruhiger Unternehmer; er wurde ein eifriger Agrikultur-
Chemiker, ein belesener Nationalökonom; er wurde Spiritusbrenner, Viehhändler,
Milchwirtschafter, Mühlentreiber, Znckerfabrikant und weiß Gott was alles,
ohne aus der Patsche herauszukommen. Sehen wir von den wenigen glücklichen
Gegenden ab, wo außerordentliche Fruchtbarkeit und althergebrachter Wohlstand
abnorme Verhältnisse geschaffen haben, so werden die Klagen mit jedem Jahre
lauter, und trotz einer gelegentlichen Erklärung von allerhöchster Stelle aus,
daß die Befürchtungen in bezug auf die Landwirtschaft übertrieben seien, hört
man, besonders aus den östlichen Provinzen, von ganzen Kreisen, wo nach Ver¬
lauf noch nicht eines Menschenalters keine der altaugcsehenen Familien mehr im
Besitz ist und die jetzt vorhandnen zwischen Verschuldung, Sequestration und
Bankerott hiu- und hertaumeln.

Es hat nnn dein deutschen Landwirte, als er all den ans ihn einstür¬
menden Schwierigkeiten erliegend, gerade von der ausländischen Konkurrenz über¬
flutet werden sollte, im Augenblicke höchster und dringendster Gefahr ein treuer
Freund zur Seite gestanden: das war seine Regierung.

Die Alternative, vor welche die deutsche Negierung gestellt war, lautete
einfach: Sollen die Zölle ans landwirtschaftliche Produkte zu wirklichen Schutz¬
zöllen erhoben und der deutsche Landwirt vom Ruin gerettet, oder soll der
deutsche Laudwirt dem Ruin preisgegeben und der Zoll erst nachher eingeführt
werden?^) Die „wahrhaft Freisinnigen" waren natürlich für den sofortigen
Ruin; die Entscheidung fiel jedoch in ersterem Sinne.

Aus dem wütenden Lärm, den besonders einzelne deutsch-amerikanische
Blätter gegen diese neue deutsche Zollgesetzgebung erhoben, kann man entnehmen,
daß der Nagel ans den Kopf getroffen worden war. Wäre die Maßregel von



Vor einer ähnlichen Entscheidung standen kürzlich die englischen Großgrundbesitzer
ihren Pächtern gegenüber, als sie die Rente, vielfach bis zu fünfzig Prozent, herabsetzten!
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[0262] Ver nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt. höherm Maße fähig war, sich gegen die Not der neuen Zeit auch die Waffen derselben anzueignen, der „Gutsbesitzer," in unverhältnismäßig höherm Maße gefährdet, weil der höhere Stand seiner Kultur zu große Anforderungen an sein Budget stellte, weil er — mit einem Worte — zuviel brauchte. Er ist in dieser gefährdeten Lage noch heute, und er wird ihr, wenn nicht außerordentliches ge¬ schieht, früher oder später erliegen. Seine repräsentativen Lebensgewohnheiten stehen je länger je mehr in schneidendem Gegensatze zu seinen materiellen Be¬ klemmungen; die einzige Rettung für ihn ist, daß er auf der sozialen Stufen¬ leiter herabsteige, und das ist das letzte, was er thun wird und thun kann. Er hat sich bis jetzt gewehrt, so gut es ging. Aus dem „gnädigen Herrn" der frühern Tage, der von Whisttisch und Jagd sich gelegentlich eine Stunde abmüßigte, um ein wenig nach der Wirtschaft zu sehen, wurde längst ein sorgen¬ voller Mann, ein unruhiger Unternehmer; er wurde ein eifriger Agrikultur- Chemiker, ein belesener Nationalökonom; er wurde Spiritusbrenner, Viehhändler, Milchwirtschafter, Mühlentreiber, Znckerfabrikant und weiß Gott was alles, ohne aus der Patsche herauszukommen. Sehen wir von den wenigen glücklichen Gegenden ab, wo außerordentliche Fruchtbarkeit und althergebrachter Wohlstand abnorme Verhältnisse geschaffen haben, so werden die Klagen mit jedem Jahre lauter, und trotz einer gelegentlichen Erklärung von allerhöchster Stelle aus, daß die Befürchtungen in bezug auf die Landwirtschaft übertrieben seien, hört man, besonders aus den östlichen Provinzen, von ganzen Kreisen, wo nach Ver¬ lauf noch nicht eines Menschenalters keine der altaugcsehenen Familien mehr im Besitz ist und die jetzt vorhandnen zwischen Verschuldung, Sequestration und Bankerott hiu- und hertaumeln. Es hat nnn dein deutschen Landwirte, als er all den ans ihn einstür¬ menden Schwierigkeiten erliegend, gerade von der ausländischen Konkurrenz über¬ flutet werden sollte, im Augenblicke höchster und dringendster Gefahr ein treuer Freund zur Seite gestanden: das war seine Regierung. Die Alternative, vor welche die deutsche Negierung gestellt war, lautete einfach: Sollen die Zölle ans landwirtschaftliche Produkte zu wirklichen Schutz¬ zöllen erhoben und der deutsche Landwirt vom Ruin gerettet, oder soll der deutsche Laudwirt dem Ruin preisgegeben und der Zoll erst nachher eingeführt werden?^) Die „wahrhaft Freisinnigen" waren natürlich für den sofortigen Ruin; die Entscheidung fiel jedoch in ersterem Sinne. Aus dem wütenden Lärm, den besonders einzelne deutsch-amerikanische Blätter gegen diese neue deutsche Zollgesetzgebung erhoben, kann man entnehmen, daß der Nagel ans den Kopf getroffen worden war. Wäre die Maßregel von Vor einer ähnlichen Entscheidung standen kürzlich die englischen Großgrundbesitzer ihren Pächtern gegenüber, als sie die Rente, vielfach bis zu fünfzig Prozent, herabsetzten! Roitncin"' rsnts ouoo liiret savivA ein> loi>»reif l'ron rriin, inne ruluinx tlo ton»neu ürst »uÄ roäuomK routs » tovv ^o»rs Iionvs? (RortK ^.morivtui Novlev, April 1835.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/262>, abgerufen am 23.11.2024.