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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Rechtspolitische Streifziige.

Leben durchforsche, die Handlungen und Gewohnheiten einer ganzen Familie
und eines Einzelnen der Öffentlichkeit übergebe und sie dem Übelwollen und
Spott der Menge aussetze. Und unsre moderne Presse, um durch unlautere
Mittel anzulocken, versteht es ganz meisterlich, nach Pariser Vorbildern die
Waffen des Skeptizismus gegen andre, mir nicht gegen sich selbst zu führen.
Wir erleben es täglich, wie in dieser Beziehung unsre größten Staatsmänner
und alle, welche durch ihren Dienst und ihren Beruf in ihre Nähe geführt
werden, von der unbefugten Neugier der Journalistik zu leiden haben. Wer
in das öffentliche Leben tritt, mag darauf gefaßt sein, daß jede seiner öffent¬
lichen Handlungen besprochen und beurteilt werde, auch daß jede seiner Hand¬
lungen im Privatleben der Stellung nicht widerspreche, in der er sich befindet.
Aber wo die Öffentlichkeit weiter geht, dann ist sie vom Übel, und dann sollten
sich alle ehrlichen Leute zusammenthun, um dieser journalistischen Brigautagc
entgegenzutreten. Die Mittel, welche unsre bestehende Gesetzgebung an die Hand
giebt, sind völlig unzureichend; das Recht, wegen Beleidigungen zu klagen und
Berichtigungen zu verlangen, reicht nicht aus. Im erstern Falle riskirt man,
daß später die ganze Gerichtsverhandlung veröffentlicht wird, und daß man den
Vexationen der Advokaten fast schutzlos gegenübersteht. Ver letzte Fall ist ganz
unzureichend; man berichtigt in dem einen Blatte, während tausend andre zwar
die falsche Nachricht gebracht haben, aber die Berichtigung unterlassen. Endlich
giebt es unzählige brave Leute, denen das Unglück irgendeinen schlechten Ver¬
wandten zugesellt und die es sich gefallen lassen müssen -- lediglich weil ein
Reporter seinen Groschen für die Zeile verdienen will --, ihren ehrlichen Namen,
den sie hoch zu Ehren gebracht haben, in den Staub gezogen zu sehen. Das
Privatleben sollte mit Mauern umgeben sein, und wie nach dem französischen
Prcßgcsetz von 1868 sollte jede Zeitung gestraft werden, die einen lediglich pri¬
vaten Vorgang an die Öffentlichkeit zieht.

Ganz unberührt, wenn auch nicht um die Sache zu erschöpfen, soll die
Frage der freien Advokatur hier nicht bleiben. Die wenigen Jahre seit 1879,
in denen wir uns derselben erfreuen, haben schon ausgereicht, um in Preußen
den bis dahin angesehenen Anwaltsstand herunterzubringen. Denn es ist ein
alter Erfahrungssatz, daß auf dem geistigen Gebiete die freie Konkurrenz nur
nachteilig wirkt. Und diese nachteilige Wirkung ist bereits in vollem Maße ein¬
getreten, weil keine Sache zu schlecht ist, die nicht einen Vertreter funde. Da
aber unser ganzes Gerichtsverfahren auf einer Mitwirkung des Urwalds beruht,
so wird durch eine korrumpirtc Anwaltschaft das Gerichtswesen selbst in Mit¬
leidenschaft gezogen und diskrcditirt.

Wir haben es in den letzten Jahrzehnten erlebt, daß viele sogenannte liberale
Ideen, sobald sie aus der Parteiagitation in die Wirklichkeit der Gesetze über¬
geleitet worden waren, Schiffbruch erlitten und den bethörten "Hödur" von der
Nichtigkeit dieser Gedanken überzeugt haben. Für das Staatsleben sind solche Er-


Rechtspolitische Streifziige.

Leben durchforsche, die Handlungen und Gewohnheiten einer ganzen Familie
und eines Einzelnen der Öffentlichkeit übergebe und sie dem Übelwollen und
Spott der Menge aussetze. Und unsre moderne Presse, um durch unlautere
Mittel anzulocken, versteht es ganz meisterlich, nach Pariser Vorbildern die
Waffen des Skeptizismus gegen andre, mir nicht gegen sich selbst zu führen.
Wir erleben es täglich, wie in dieser Beziehung unsre größten Staatsmänner
und alle, welche durch ihren Dienst und ihren Beruf in ihre Nähe geführt
werden, von der unbefugten Neugier der Journalistik zu leiden haben. Wer
in das öffentliche Leben tritt, mag darauf gefaßt sein, daß jede seiner öffent¬
lichen Handlungen besprochen und beurteilt werde, auch daß jede seiner Hand¬
lungen im Privatleben der Stellung nicht widerspreche, in der er sich befindet.
Aber wo die Öffentlichkeit weiter geht, dann ist sie vom Übel, und dann sollten
sich alle ehrlichen Leute zusammenthun, um dieser journalistischen Brigautagc
entgegenzutreten. Die Mittel, welche unsre bestehende Gesetzgebung an die Hand
giebt, sind völlig unzureichend; das Recht, wegen Beleidigungen zu klagen und
Berichtigungen zu verlangen, reicht nicht aus. Im erstern Falle riskirt man,
daß später die ganze Gerichtsverhandlung veröffentlicht wird, und daß man den
Vexationen der Advokaten fast schutzlos gegenübersteht. Ver letzte Fall ist ganz
unzureichend; man berichtigt in dem einen Blatte, während tausend andre zwar
die falsche Nachricht gebracht haben, aber die Berichtigung unterlassen. Endlich
giebt es unzählige brave Leute, denen das Unglück irgendeinen schlechten Ver¬
wandten zugesellt und die es sich gefallen lassen müssen — lediglich weil ein
Reporter seinen Groschen für die Zeile verdienen will —, ihren ehrlichen Namen,
den sie hoch zu Ehren gebracht haben, in den Staub gezogen zu sehen. Das
Privatleben sollte mit Mauern umgeben sein, und wie nach dem französischen
Prcßgcsetz von 1868 sollte jede Zeitung gestraft werden, die einen lediglich pri¬
vaten Vorgang an die Öffentlichkeit zieht.

Ganz unberührt, wenn auch nicht um die Sache zu erschöpfen, soll die
Frage der freien Advokatur hier nicht bleiben. Die wenigen Jahre seit 1879,
in denen wir uns derselben erfreuen, haben schon ausgereicht, um in Preußen
den bis dahin angesehenen Anwaltsstand herunterzubringen. Denn es ist ein
alter Erfahrungssatz, daß auf dem geistigen Gebiete die freie Konkurrenz nur
nachteilig wirkt. Und diese nachteilige Wirkung ist bereits in vollem Maße ein¬
getreten, weil keine Sache zu schlecht ist, die nicht einen Vertreter funde. Da
aber unser ganzes Gerichtsverfahren auf einer Mitwirkung des Urwalds beruht,
so wird durch eine korrumpirtc Anwaltschaft das Gerichtswesen selbst in Mit¬
leidenschaft gezogen und diskrcditirt.

Wir haben es in den letzten Jahrzehnten erlebt, daß viele sogenannte liberale
Ideen, sobald sie aus der Parteiagitation in die Wirklichkeit der Gesetze über¬
geleitet worden waren, Schiffbruch erlitten und den bethörten „Hödur" von der
Nichtigkeit dieser Gedanken überzeugt haben. Für das Staatsleben sind solche Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/256>, abgerufen am 01.09.2024.