Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Rechtspolitischv Streifzüge. durch Bestimmungen über die Bestechung das Genügende vorgesehen zu haben. Was die Sachkunde der Richter betrifft, so haben wir die merkwürdige *) Mit Recht zieht der Verfasser in Ur. 27 den Fall "Amur" zur Analogie heran.
Bisher ist in Preussen jeder große politische Prozeß mit einer Schädigung des richterlichen Ansehens verknüpft gewesen. Rechtspolitischv Streifzüge. durch Bestimmungen über die Bestechung das Genügende vorgesehen zu haben. Was die Sachkunde der Richter betrifft, so haben wir die merkwürdige *) Mit Recht zieht der Verfasser in Ur. 27 den Fall „Amur" zur Analogie heran.
Bisher ist in Preussen jeder große politische Prozeß mit einer Schädigung des richterlichen Ansehens verknüpft gewesen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196352"/> <fw type="header" place="top"> Rechtspolitischv Streifzüge.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1016" prev="#ID_1015"> durch Bestimmungen über die Bestechung das Genügende vorgesehen zu haben.<lb/> Diese Vorschriften sind Gott sei Dank unangewendet geblieben, denn gegen Ein¬<lb/> flüsse dieser Art bedarf es bei dem deutscheu Richterstande keines Schutzes; da¬<lb/> gegen ist er den politischen Parteibestrebungen völlig preisgegeben. Je mehr<lb/> man der obersten Justizverwaltung die Möglichkeit entzogen hat, eine Einwirkung<lb/> auf den Richter zu üben, desto weniger hat man ihn vor den Parteibestrebungen<lb/> zu wahren gesucht. Dies ist im großen und ganzen, wenn es sich um einen<lb/> Privatstreit zwischen A und B oder um eine Dicbstahlsanklage gegen C handelt,<lb/> völlig gleichgiltig. Anders aber, wenn es sich um Prozesse handelt, die eine<lb/> politische Fürbuug tragen und die bei einem bewegten Verfassnngsleben uicht<lb/> ausbleiben können/") Unsre Richter beteiligen sich an dein öffentlichen politischen<lb/> Leben wie jeder andre Bürger, sie schließen sich offen den bestehenden Parteien<lb/> an, sie wählen, agitiren und werdeu gewählt. Es ist nun ganz unmöglich, daß<lb/> die politische Stellung nicht für die Entscheidung eines politischen Prozesses von<lb/> Bedeutung sein sollte, und so kommt es denn, daß, so oft ein politischer Prozeß<lb/> vou größerm Kaliber zur Entscheidung gelangt, die größten Zweifel gegen die<lb/> politische Unparteilichkeit der Richter laut werdeu. Mit solchen Äußerungen<lb/> sollte mau sich aber nicht begnügen; im Gegenteil, sie sind schädlich, weil sie<lb/> dem richterlichen Urteil den Kredit auch in denjenigen Kreisen entziehen, in<lb/> welchen: die Aufrechterhaltung desselben notwendig ist. Fürst Bismarck hat<lb/> auch hier wie in so vielen andern Dingen den richtigen Weg angegeben, indem<lb/> er in dem Verfasfungsentwurfe für den Norddeutschen Bund den Richtern sowie<lb/> allen Beamten die passive Wählbarkeit entziehen wollte. Allein sein Entwurf<lb/> scheiterte, weil die Linke den liberalen Kreisrichter und die Rechte den konser¬<lb/> vativen Landrat nicht opfern wollte. Und doch ist dieser Weg die notwendige<lb/> Ergänzung — wenigstens was den Richter angeht — zu den vorhandnen Vor¬<lb/> schriften zum Schutze seiner Unparteilichkeit. Dem Richter sollte von Gesetzes¬<lb/> wegen untersagt sein, sich einer Partei anzuschließen, er dürfte weder aktiv<lb/> wahlfähig, noch passiv wählbar sein. Wir würden auch gern zugeben, wenn<lb/> man für ihn alle Titulaturen und Orden verpönte. Erst dann wäre die Kette<lb/> geschlossen und alles geschehen, um auch — soweit Menschenkräfte es ver¬<lb/> mögen — für den Richter in politischen Prozessen seinen Urteilen die echte Un¬<lb/> parteilichkeit zu wahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Was die Sachkunde der Richter betrifft, so haben wir die merkwürdige<lb/> Erscheinung, daß wir in den schwierigsten Fällen von einer solchen absehen.<lb/> Im Strafverfahren wird in den bedeutendsten Sachen gerade die Aburteilung<lb/> Laien übertragen, deren Qualifikation in nichts anderen besteht, als daß sie die</p><lb/> <note xml:id="FID_11" place="foot"> *) Mit Recht zieht der Verfasser in Ur. 27 den Fall „Amur" zur Analogie heran.<lb/> Bisher ist in Preussen jeder große politische Prozeß mit einer Schädigung des richterlichen<lb/> Ansehens verknüpft gewesen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Rechtspolitischv Streifzüge.
durch Bestimmungen über die Bestechung das Genügende vorgesehen zu haben.
Diese Vorschriften sind Gott sei Dank unangewendet geblieben, denn gegen Ein¬
flüsse dieser Art bedarf es bei dem deutscheu Richterstande keines Schutzes; da¬
gegen ist er den politischen Parteibestrebungen völlig preisgegeben. Je mehr
man der obersten Justizverwaltung die Möglichkeit entzogen hat, eine Einwirkung
auf den Richter zu üben, desto weniger hat man ihn vor den Parteibestrebungen
zu wahren gesucht. Dies ist im großen und ganzen, wenn es sich um einen
Privatstreit zwischen A und B oder um eine Dicbstahlsanklage gegen C handelt,
völlig gleichgiltig. Anders aber, wenn es sich um Prozesse handelt, die eine
politische Fürbuug tragen und die bei einem bewegten Verfassnngsleben uicht
ausbleiben können/") Unsre Richter beteiligen sich an dein öffentlichen politischen
Leben wie jeder andre Bürger, sie schließen sich offen den bestehenden Parteien
an, sie wählen, agitiren und werdeu gewählt. Es ist nun ganz unmöglich, daß
die politische Stellung nicht für die Entscheidung eines politischen Prozesses von
Bedeutung sein sollte, und so kommt es denn, daß, so oft ein politischer Prozeß
vou größerm Kaliber zur Entscheidung gelangt, die größten Zweifel gegen die
politische Unparteilichkeit der Richter laut werdeu. Mit solchen Äußerungen
sollte mau sich aber nicht begnügen; im Gegenteil, sie sind schädlich, weil sie
dem richterlichen Urteil den Kredit auch in denjenigen Kreisen entziehen, in
welchen: die Aufrechterhaltung desselben notwendig ist. Fürst Bismarck hat
auch hier wie in so vielen andern Dingen den richtigen Weg angegeben, indem
er in dem Verfasfungsentwurfe für den Norddeutschen Bund den Richtern sowie
allen Beamten die passive Wählbarkeit entziehen wollte. Allein sein Entwurf
scheiterte, weil die Linke den liberalen Kreisrichter und die Rechte den konser¬
vativen Landrat nicht opfern wollte. Und doch ist dieser Weg die notwendige
Ergänzung — wenigstens was den Richter angeht — zu den vorhandnen Vor¬
schriften zum Schutze seiner Unparteilichkeit. Dem Richter sollte von Gesetzes¬
wegen untersagt sein, sich einer Partei anzuschließen, er dürfte weder aktiv
wahlfähig, noch passiv wählbar sein. Wir würden auch gern zugeben, wenn
man für ihn alle Titulaturen und Orden verpönte. Erst dann wäre die Kette
geschlossen und alles geschehen, um auch — soweit Menschenkräfte es ver¬
mögen — für den Richter in politischen Prozessen seinen Urteilen die echte Un¬
parteilichkeit zu wahren.
Was die Sachkunde der Richter betrifft, so haben wir die merkwürdige
Erscheinung, daß wir in den schwierigsten Fällen von einer solchen absehen.
Im Strafverfahren wird in den bedeutendsten Sachen gerade die Aburteilung
Laien übertragen, deren Qualifikation in nichts anderen besteht, als daß sie die
*) Mit Recht zieht der Verfasser in Ur. 27 den Fall „Amur" zur Analogie heran.
Bisher ist in Preussen jeder große politische Prozeß mit einer Schädigung des richterlichen
Ansehens verknüpft gewesen.
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