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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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eine perle.

Er winkte.

Langsam trat sie an sein Bett heran.

Da er nicht gleich das Wort, das er ihr sagen wollte, fand, beugte sie
sich über seine Stirne und segnete sie mit einem Kuß.

Mein armes Kind! stotterte der Greis.

Nichts jetzt von mir! bat sie, und beide schwiegen.

Er reichte ihr die Hand, aber es war jene mörderische Rechte, und Florida
wich ihr aus, indem sie den Fenstervorhang noch dichter zusammenzog und
dann, das Bett nmschreitend, an die linke Seite des Vaters trat und ihre Hand
in seine Linke legte.

Es war ihm nicht entgangen, was sie empfand. Er hielt ihre kleine Hand
in der seinen und nickte teilnahmsvoll. Armes Kind! wiederholte er mit einem
schweren Seufzer.

Nichts von mir, mein Vater! widersprach sie, aber mit bebender Stimme;
haben wir etwa nicht Grund, zunächst dem Himmel Dank zu sagen? Hätte
ich den Tag, wo man Euch zur Nichtstcitte schleifte, überleben können? War
ich nicht schuld an allem? Olrimö! Vielleicht hätte ich ihn überlebt, aber mit
welchem Nachcmahner hinter mir? Das ist mir vor wenigen Augenblicken, als
ich dort die Stadt Mantua so sorglos vom Morgenschlummer erwachen sah, erst
deutlich zum Bewußtsein gekommen.

Schrecklich! entsetzlich! wehrte der Alte mit erhobener Rechten ab.

Wer weiß.

Nicht solche Phantome heraufbeschwören, Kind!

That ich's? Ihr jammertet um mich, Vater. Deshalb rief ich Euch ins
Gedächtnis zurück, daß wir dem Himmel vor allem Dank schuldig sind! Ver¬
gessen wir doch alles übrige. Jubeln wir! Freuen wir uns!

Der Alte blickte scheu nach der Seite Floridas. Deine eherne Miene,
sagte er, läßt mich ja nicht zum Freuen und Danken kommen.

Verzeiht sie mir, Vater, versetzte Florida, ohne die Strenge ihrer Züge
verscheuchen zu können; es ist ein bittres Ding um ein so besondres Wieder¬
sehen, um ein so ticftrauriges Wiedersehen; ich möchte mich Eurer Rettung
freuen, Vater, aber es geht uicht, mein Herz ist wie verdorrt; ich denke unab¬
lässig an das, was die nächsten Stunden an neuen Prüfungen über uns ver¬
hängen werden.

Aber ich bin ja frei, Kind! rief der Greis; du siehst mich im Geiste immer
noch im Kerker; dank dein treuen Primaticcio hat der Herzog das blutige Ur¬
teil ja zerrissen --

Um heute uoch, verlaßt Euch darauf, ein neues zu unterzeichnen.

Wenn was geschieht?

Wenn ich nicht als Büßerin jene schmachvolle Absage wiederhole.

Welche Absage?


eine perle.

Er winkte.

Langsam trat sie an sein Bett heran.

Da er nicht gleich das Wort, das er ihr sagen wollte, fand, beugte sie
sich über seine Stirne und segnete sie mit einem Kuß.

Mein armes Kind! stotterte der Greis.

Nichts jetzt von mir! bat sie, und beide schwiegen.

Er reichte ihr die Hand, aber es war jene mörderische Rechte, und Florida
wich ihr aus, indem sie den Fenstervorhang noch dichter zusammenzog und
dann, das Bett nmschreitend, an die linke Seite des Vaters trat und ihre Hand
in seine Linke legte.

Es war ihm nicht entgangen, was sie empfand. Er hielt ihre kleine Hand
in der seinen und nickte teilnahmsvoll. Armes Kind! wiederholte er mit einem
schweren Seufzer.

Nichts von mir, mein Vater! widersprach sie, aber mit bebender Stimme;
haben wir etwa nicht Grund, zunächst dem Himmel Dank zu sagen? Hätte
ich den Tag, wo man Euch zur Nichtstcitte schleifte, überleben können? War
ich nicht schuld an allem? Olrimö! Vielleicht hätte ich ihn überlebt, aber mit
welchem Nachcmahner hinter mir? Das ist mir vor wenigen Augenblicken, als
ich dort die Stadt Mantua so sorglos vom Morgenschlummer erwachen sah, erst
deutlich zum Bewußtsein gekommen.

Schrecklich! entsetzlich! wehrte der Alte mit erhobener Rechten ab.

Wer weiß.

Nicht solche Phantome heraufbeschwören, Kind!

That ich's? Ihr jammertet um mich, Vater. Deshalb rief ich Euch ins
Gedächtnis zurück, daß wir dem Himmel vor allem Dank schuldig sind! Ver¬
gessen wir doch alles übrige. Jubeln wir! Freuen wir uns!

Der Alte blickte scheu nach der Seite Floridas. Deine eherne Miene,
sagte er, läßt mich ja nicht zum Freuen und Danken kommen.

Verzeiht sie mir, Vater, versetzte Florida, ohne die Strenge ihrer Züge
verscheuchen zu können; es ist ein bittres Ding um ein so besondres Wieder¬
sehen, um ein so ticftrauriges Wiedersehen; ich möchte mich Eurer Rettung
freuen, Vater, aber es geht uicht, mein Herz ist wie verdorrt; ich denke unab¬
lässig an das, was die nächsten Stunden an neuen Prüfungen über uns ver¬
hängen werden.

Aber ich bin ja frei, Kind! rief der Greis; du siehst mich im Geiste immer
noch im Kerker; dank dein treuen Primaticcio hat der Herzog das blutige Ur¬
teil ja zerrissen —

Um heute uoch, verlaßt Euch darauf, ein neues zu unterzeichnen.

Wenn was geschieht?

Wenn ich nicht als Büßerin jene schmachvolle Absage wiederhole.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/240>, abgerufen am 25.11.2024.