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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Italienische Rcisebriefe vom Jahre ^832.

zücken und waren nicht wieder wegzubringen. Ich staune über diesen bisher un¬
genannten Künstler ans dem Volke, der mit einem Griffe so die Universalität des
Ereignisses umspannen und soviel Seligkeit, Glück, Vergnügen und Scherz durch
seine Puppe" darstellen konnte.

Früh besuchten wir den Kreuzgang des Klosters San Severino, in welchem
jetzt das Staatsarchiv untergebracht ist. Derselbe ist mit zwanzig großen Gemälden
aus dem Leben des heiligen Benedict geschmückt, die dem Zingaro (Ende des vier¬
zehnten Jahrhunderts) zugeschrieben werden, aber vermöge des durchgebildeten Aus¬
drucks der Gesichter jünger scheinen. Die Kompositionen sind einfach und klar,
die Farbenstimmuug ist eine dunkle, ius Schwarzgrüne fallende. Die poetisch an¬
gelegten landschaftlichen Hintergründe tragen viel zur Wirkung mit bei. Uebrigens
ist die Hälfte dieser Fresken durch das Wetter beinahe ganz zerstört; an den übrigen
ist vieles übermalt, und dies hat dazu beigetragen, den Ton schwer zu machen. In
der Kirche findet sich ein sehr auffallendes Denkmal für drei Jünglinge aus der
Familie der Sanseverini, welche von ihrem Oheim an einem Tage erbschaftshalber
vergiftet wurden. Die Figuren sitzen nämlich auf den Sarkophagen und lassen
die Füße herabhängen, während die Gesichter wie flehend und anklagend nach oben
gerichtet sind. Es macht dies den Eindruck, als könnten die Unglücklichen keine
Ruhe im Grabe finden. -- Von San Severino in den Dom San Gennaro, der, seit
ich ihn nicht gesehen, durch den Kardinal Sforza restaurirt worden ist. Die Apsis des
Chores fiel mir diesmal durch ihre heitre Pracht angenehm auf, und es schien mir,
als sei dies namentlich auf die Art der Beleuchtung mit zurückzuführen. Ueber
den hohen Fenstern findet sich in der Attika unter der Halbkuppel noch ein Kranz
von Rnndfensteru, aufs reichste eingerahmt. In der Krypta unter dem Dome
wird die ans vergoldetem Silber getriebne Büste des heiligen Januarius aufbewahrt,
in welcher dessen Schädel steckt und welche man bei großen Gefahren, namentlich vom
Vesuv her, herumträgt. Wird dieselbe in die Nähe des eingetrockneten Blutes
gebracht, welches oben in einer Kapelle steht, so wird letzteres flüssig. In der
Krypta findet sich auch die knieende Statur eines Kardinals von vorzüglicher Arbeit
und großer Lebenswahrheit. Man schreibt dieselbe dein Michelangelo zu; doch
möchte ich dies wegen der Drapirung bezweifeln. Im übrigen ist dies Unter-
kirchlcin interessant durch die naive Art, wie man Ornamente ans einem alten
Tempel, der hier gestanden, mit christlichen gemischt hat.

Mittags ein Frühstück in den Trümmern des Palastes der Königin Johanna
unmittelbar am Meere -- der Königin Johanna, die ihren Gemahl Andreas von
Ungarn im Jahre 131S erdrosseln ließ. Es wird behauptet, daß man nach ihrem
Tode den Palast habe verfallen lassen, mir scheint er jüngern Ursprunges. Gegen¬
wärtig haben sich in verschiednen Ecken desselben kleine Restaurants angesiedelt,
und es ist in der That sehr reizvoll, hier nnmittelbnr über den ausspritzenden
Wogen zu essen.

Nachmittags fuhren wir auf den ciampo Muw nuovo, eine Totenstadt von
mächtiger Ausdehnung und herrlicher Lage über der Stadt und dem Golf. Während
es auf den bisher gesehenen italienischen Friedhöfen wesentlich die Skulptur war,
welche die Grabstätten schmückte, so ist es hier die Architektur. Man sieht da
Tempel, Kapellen, ja ganze Kirchenbauten in allen Stilarten. Vornehme und reiche
Familien haben ihre eignen Bauten, überirdisch und unterirdisch, in denen die Toten
stets seitlings in die Wände eingeschoben werden; Leute mittlerer Stellung schließen


Italienische Rcisebriefe vom Jahre ^832.

zücken und waren nicht wieder wegzubringen. Ich staune über diesen bisher un¬
genannten Künstler ans dem Volke, der mit einem Griffe so die Universalität des
Ereignisses umspannen und soviel Seligkeit, Glück, Vergnügen und Scherz durch
seine Puppe» darstellen konnte.

Früh besuchten wir den Kreuzgang des Klosters San Severino, in welchem
jetzt das Staatsarchiv untergebracht ist. Derselbe ist mit zwanzig großen Gemälden
aus dem Leben des heiligen Benedict geschmückt, die dem Zingaro (Ende des vier¬
zehnten Jahrhunderts) zugeschrieben werden, aber vermöge des durchgebildeten Aus¬
drucks der Gesichter jünger scheinen. Die Kompositionen sind einfach und klar,
die Farbenstimmuug ist eine dunkle, ius Schwarzgrüne fallende. Die poetisch an¬
gelegten landschaftlichen Hintergründe tragen viel zur Wirkung mit bei. Uebrigens
ist die Hälfte dieser Fresken durch das Wetter beinahe ganz zerstört; an den übrigen
ist vieles übermalt, und dies hat dazu beigetragen, den Ton schwer zu machen. In
der Kirche findet sich ein sehr auffallendes Denkmal für drei Jünglinge aus der
Familie der Sanseverini, welche von ihrem Oheim an einem Tage erbschaftshalber
vergiftet wurden. Die Figuren sitzen nämlich auf den Sarkophagen und lassen
die Füße herabhängen, während die Gesichter wie flehend und anklagend nach oben
gerichtet sind. Es macht dies den Eindruck, als könnten die Unglücklichen keine
Ruhe im Grabe finden. — Von San Severino in den Dom San Gennaro, der, seit
ich ihn nicht gesehen, durch den Kardinal Sforza restaurirt worden ist. Die Apsis des
Chores fiel mir diesmal durch ihre heitre Pracht angenehm auf, und es schien mir,
als sei dies namentlich auf die Art der Beleuchtung mit zurückzuführen. Ueber
den hohen Fenstern findet sich in der Attika unter der Halbkuppel noch ein Kranz
von Rnndfensteru, aufs reichste eingerahmt. In der Krypta unter dem Dome
wird die ans vergoldetem Silber getriebne Büste des heiligen Januarius aufbewahrt,
in welcher dessen Schädel steckt und welche man bei großen Gefahren, namentlich vom
Vesuv her, herumträgt. Wird dieselbe in die Nähe des eingetrockneten Blutes
gebracht, welches oben in einer Kapelle steht, so wird letzteres flüssig. In der
Krypta findet sich auch die knieende Statur eines Kardinals von vorzüglicher Arbeit
und großer Lebenswahrheit. Man schreibt dieselbe dein Michelangelo zu; doch
möchte ich dies wegen der Drapirung bezweifeln. Im übrigen ist dies Unter-
kirchlcin interessant durch die naive Art, wie man Ornamente ans einem alten
Tempel, der hier gestanden, mit christlichen gemischt hat.

Mittags ein Frühstück in den Trümmern des Palastes der Königin Johanna
unmittelbar am Meere — der Königin Johanna, die ihren Gemahl Andreas von
Ungarn im Jahre 131S erdrosseln ließ. Es wird behauptet, daß man nach ihrem
Tode den Palast habe verfallen lassen, mir scheint er jüngern Ursprunges. Gegen¬
wärtig haben sich in verschiednen Ecken desselben kleine Restaurants angesiedelt,
und es ist in der That sehr reizvoll, hier nnmittelbnr über den ausspritzenden
Wogen zu essen.

Nachmittags fuhren wir auf den ciampo Muw nuovo, eine Totenstadt von
mächtiger Ausdehnung und herrlicher Lage über der Stadt und dem Golf. Während
es auf den bisher gesehenen italienischen Friedhöfen wesentlich die Skulptur war,
welche die Grabstätten schmückte, so ist es hier die Architektur. Man sieht da
Tempel, Kapellen, ja ganze Kirchenbauten in allen Stilarten. Vornehme und reiche
Familien haben ihre eignen Bauten, überirdisch und unterirdisch, in denen die Toten
stets seitlings in die Wände eingeschoben werden; Leute mittlerer Stellung schließen


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[0237] Italienische Rcisebriefe vom Jahre ^832. zücken und waren nicht wieder wegzubringen. Ich staune über diesen bisher un¬ genannten Künstler ans dem Volke, der mit einem Griffe so die Universalität des Ereignisses umspannen und soviel Seligkeit, Glück, Vergnügen und Scherz durch seine Puppe» darstellen konnte. Früh besuchten wir den Kreuzgang des Klosters San Severino, in welchem jetzt das Staatsarchiv untergebracht ist. Derselbe ist mit zwanzig großen Gemälden aus dem Leben des heiligen Benedict geschmückt, die dem Zingaro (Ende des vier¬ zehnten Jahrhunderts) zugeschrieben werden, aber vermöge des durchgebildeten Aus¬ drucks der Gesichter jünger scheinen. Die Kompositionen sind einfach und klar, die Farbenstimmuug ist eine dunkle, ius Schwarzgrüne fallende. Die poetisch an¬ gelegten landschaftlichen Hintergründe tragen viel zur Wirkung mit bei. Uebrigens ist die Hälfte dieser Fresken durch das Wetter beinahe ganz zerstört; an den übrigen ist vieles übermalt, und dies hat dazu beigetragen, den Ton schwer zu machen. In der Kirche findet sich ein sehr auffallendes Denkmal für drei Jünglinge aus der Familie der Sanseverini, welche von ihrem Oheim an einem Tage erbschaftshalber vergiftet wurden. Die Figuren sitzen nämlich auf den Sarkophagen und lassen die Füße herabhängen, während die Gesichter wie flehend und anklagend nach oben gerichtet sind. Es macht dies den Eindruck, als könnten die Unglücklichen keine Ruhe im Grabe finden. — Von San Severino in den Dom San Gennaro, der, seit ich ihn nicht gesehen, durch den Kardinal Sforza restaurirt worden ist. Die Apsis des Chores fiel mir diesmal durch ihre heitre Pracht angenehm auf, und es schien mir, als sei dies namentlich auf die Art der Beleuchtung mit zurückzuführen. Ueber den hohen Fenstern findet sich in der Attika unter der Halbkuppel noch ein Kranz von Rnndfensteru, aufs reichste eingerahmt. In der Krypta unter dem Dome wird die ans vergoldetem Silber getriebne Büste des heiligen Januarius aufbewahrt, in welcher dessen Schädel steckt und welche man bei großen Gefahren, namentlich vom Vesuv her, herumträgt. Wird dieselbe in die Nähe des eingetrockneten Blutes gebracht, welches oben in einer Kapelle steht, so wird letzteres flüssig. In der Krypta findet sich auch die knieende Statur eines Kardinals von vorzüglicher Arbeit und großer Lebenswahrheit. Man schreibt dieselbe dein Michelangelo zu; doch möchte ich dies wegen der Drapirung bezweifeln. Im übrigen ist dies Unter- kirchlcin interessant durch die naive Art, wie man Ornamente ans einem alten Tempel, der hier gestanden, mit christlichen gemischt hat. Mittags ein Frühstück in den Trümmern des Palastes der Königin Johanna unmittelbar am Meere — der Königin Johanna, die ihren Gemahl Andreas von Ungarn im Jahre 131S erdrosseln ließ. Es wird behauptet, daß man nach ihrem Tode den Palast habe verfallen lassen, mir scheint er jüngern Ursprunges. Gegen¬ wärtig haben sich in verschiednen Ecken desselben kleine Restaurants angesiedelt, und es ist in der That sehr reizvoll, hier nnmittelbnr über den ausspritzenden Wogen zu essen. Nachmittags fuhren wir auf den ciampo Muw nuovo, eine Totenstadt von mächtiger Ausdehnung und herrlicher Lage über der Stadt und dem Golf. Während es auf den bisher gesehenen italienischen Friedhöfen wesentlich die Skulptur war, welche die Grabstätten schmückte, so ist es hier die Architektur. Man sieht da Tempel, Kapellen, ja ganze Kirchenbauten in allen Stilarten. Vornehme und reiche Familien haben ihre eignen Bauten, überirdisch und unterirdisch, in denen die Toten stets seitlings in die Wände eingeschoben werden; Leute mittlerer Stellung schließen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/237>, abgerufen am 24.11.2024.