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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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enthält. Im ersten Saale fesselt ein weibliches Porträt aus der Schule. Raffaels
(und vielleicht vou ihm selbst), welches seine Mutter darstellen soll und ihm jeden--
falls höchst ähnlich sieht, Augen, Nase und Mund sind ganz die seinigen.

Ein großes Gemälde von Bartolomeo Schidoue (die christliche Liebe) ist durch
scharfe Beleuchtung, bestimmte, doch uicht grelle Lokaltöne interessant und weist
gute Zeichnung auf, leidet aber an einer gewissen Härte, Ein Kind vorn rechts
ist von naivem Ausdruck. Von demselben in derselbe" Manier, doch mehr an
Correggio herangehend Ur, 21: Dinare in liposo, und eine heilige Familie (Ur, 23).

Im vierten Saale fesselt eine lebendige und geistreiche Untermalung von
Tizian: Paul III. Farnese (den er öfters gemalt,) mit einem Kardinal und einem
Nepoten. Die überlegene patromsirende und zugleich fein ironische Art, wie der
alte kluge Papst den letztern anblickt, ist köstlich gegeben.

Im sogenannten Großen Saale (Elite aus verschiedenen Schulen) fesselt gleich
am Eingänge eine Pieta von Annibale Carrcicci. Der in schwärzlich-grauen Tönen
gehaltne Christus ist von Bildhauern viel benutzt worden. Neulich sahen wir
in Rom ein neues Grabdenkmal, das auf dem Bewegungsmotive der Figur
beruht.

Von Naffael befinde" sich hier drei vorzügliche Porträts: der Kardinal Passe¬
rini, Raffaels Fechtmeister Tibaldco und der vou ihm öfters gemalte Leo X., (letz¬
teres jedoch wahrscheinlich Kopie von Andrea del Sarto, der ein weniger glühendes
Kolorit als Raffael hat). Dann die sogenannte Uaclomur alvi cliviuo "mors. Zwei
deutsche gelehrte Damen standen mit einem noch gelehrtem Begleiter davor. Die eine
sagte: Wird dieser Raffael angezweifelt? -- Nein, dieser nicht, war die Antwort, --
O, wie wundervoll ist er! -- In der That wird aber ein Teil der Ausführung den
Schülern zugeschrieben. Mag sein, aber er ist wirklich schön, und die Madonna
kommt in der Auffassung der Dresdner am nächsten. Sie hat ganz das Gro߬
äugige, Kindliche, Verwunderte.

Bernardo Luini, eine Madonna, die mau für ein Werk Lionardos nehmen
möchte. Domenichino, der Schutzengel. Das Kind ist vortrefflich, namentlich das
kindliche Beten höchst wahr zum Ausdrucke gebracht, Tizians weinende Magda-
lena. Ein vorzüglicher, doch etwas ins Grüne fallende Claude Lorrain, dem
Dresdner mit der Galathea verwandt.

Im Saale des Correggio (fünfter) befinden sich zwei seiner berühmtesten Meister¬
werke, die sogenannte Zingarella, d, h. die als Zigeunerin frisirte Madonna, und
die Verlobung der heiligen Katharina. Beide Bilder, in kleinsten Maßstabe ge¬
malt, .sind wichtig für die Bestimmung der Dresdner Magdalena. Ich habe mir
deshalb viel Einzelheiten notirt. Die Zingarella scheint mir in wärmerein Tone
gemalt, falls dies nicht vom Firniß herrührt; doch finde ich sie in der Technik
Mit der Magdalena übereinstimmend. -- Tizians Dancie, eins seiner vorzüglichsten
Werke, sowohl was Adel der Form als Glut der Farbe betrifft. Dessen Por¬
trät Philipps II. höchst hervorragend in der Charakteristik.

Das Wetter wurde schön, wir brachen unsern Rundgang ab und machten
die Wanderung nach dem herrlich gelegenen Kloster Camnldoli hinauf, von
wo man sowohl den Golf von Neapel, wie denjenigen von Bajä mit allen
Inseln übersieht, ein ganz einziges Panorama. Die vierundzwanzig Eremiten¬
zellen stehen nun leer, und statt von den alten, schönen und würdigen Mönchen, wird
man vou schmutzigen Lümmeln empfangen, die sicher noch viel weniger leisten als
jene und doch mehr arbeiten könnten, weil sie jünger sind. Zwei Mönche, hieß
es, wären noch oben, aber sie seien ausgegangen. Nach 4>/z Stunden waren wir


Grenzboten III. 1836, 29

enthält. Im ersten Saale fesselt ein weibliches Porträt aus der Schule. Raffaels
(und vielleicht vou ihm selbst), welches seine Mutter darstellen soll und ihm jeden--
falls höchst ähnlich sieht, Augen, Nase und Mund sind ganz die seinigen.

Ein großes Gemälde von Bartolomeo Schidoue (die christliche Liebe) ist durch
scharfe Beleuchtung, bestimmte, doch uicht grelle Lokaltöne interessant und weist
gute Zeichnung auf, leidet aber an einer gewissen Härte, Ein Kind vorn rechts
ist von naivem Ausdruck. Von demselben in derselbe« Manier, doch mehr an
Correggio herangehend Ur, 21: Dinare in liposo, und eine heilige Familie (Ur, 23).

Im vierten Saale fesselt eine lebendige und geistreiche Untermalung von
Tizian: Paul III. Farnese (den er öfters gemalt,) mit einem Kardinal und einem
Nepoten. Die überlegene patromsirende und zugleich fein ironische Art, wie der
alte kluge Papst den letztern anblickt, ist köstlich gegeben.

Im sogenannten Großen Saale (Elite aus verschiedenen Schulen) fesselt gleich
am Eingänge eine Pieta von Annibale Carrcicci. Der in schwärzlich-grauen Tönen
gehaltne Christus ist von Bildhauern viel benutzt worden. Neulich sahen wir
in Rom ein neues Grabdenkmal, das auf dem Bewegungsmotive der Figur
beruht.

Von Naffael befinde« sich hier drei vorzügliche Porträts: der Kardinal Passe¬
rini, Raffaels Fechtmeister Tibaldco und der vou ihm öfters gemalte Leo X., (letz¬
teres jedoch wahrscheinlich Kopie von Andrea del Sarto, der ein weniger glühendes
Kolorit als Raffael hat). Dann die sogenannte Uaclomur alvi cliviuo »mors. Zwei
deutsche gelehrte Damen standen mit einem noch gelehrtem Begleiter davor. Die eine
sagte: Wird dieser Raffael angezweifelt? — Nein, dieser nicht, war die Antwort, —
O, wie wundervoll ist er! — In der That wird aber ein Teil der Ausführung den
Schülern zugeschrieben. Mag sein, aber er ist wirklich schön, und die Madonna
kommt in der Auffassung der Dresdner am nächsten. Sie hat ganz das Gro߬
äugige, Kindliche, Verwunderte.

Bernardo Luini, eine Madonna, die mau für ein Werk Lionardos nehmen
möchte. Domenichino, der Schutzengel. Das Kind ist vortrefflich, namentlich das
kindliche Beten höchst wahr zum Ausdrucke gebracht, Tizians weinende Magda-
lena. Ein vorzüglicher, doch etwas ins Grüne fallende Claude Lorrain, dem
Dresdner mit der Galathea verwandt.

Im Saale des Correggio (fünfter) befinden sich zwei seiner berühmtesten Meister¬
werke, die sogenannte Zingarella, d, h. die als Zigeunerin frisirte Madonna, und
die Verlobung der heiligen Katharina. Beide Bilder, in kleinsten Maßstabe ge¬
malt, .sind wichtig für die Bestimmung der Dresdner Magdalena. Ich habe mir
deshalb viel Einzelheiten notirt. Die Zingarella scheint mir in wärmerein Tone
gemalt, falls dies nicht vom Firniß herrührt; doch finde ich sie in der Technik
Mit der Magdalena übereinstimmend. — Tizians Dancie, eins seiner vorzüglichsten
Werke, sowohl was Adel der Form als Glut der Farbe betrifft. Dessen Por¬
trät Philipps II. höchst hervorragend in der Charakteristik.

Das Wetter wurde schön, wir brachen unsern Rundgang ab und machten
die Wanderung nach dem herrlich gelegenen Kloster Camnldoli hinauf, von
wo man sowohl den Golf von Neapel, wie denjenigen von Bajä mit allen
Inseln übersieht, ein ganz einziges Panorama. Die vierundzwanzig Eremiten¬
zellen stehen nun leer, und statt von den alten, schönen und würdigen Mönchen, wird
man vou schmutzigen Lümmeln empfangen, die sicher noch viel weniger leisten als
jene und doch mehr arbeiten könnten, weil sie jünger sind. Zwei Mönche, hieß
es, wären noch oben, aber sie seien ausgegangen. Nach 4>/z Stunden waren wir


Grenzboten III. 1836, 29
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/233>, abgerufen am 24.11.2024.