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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Russen in Zentralusien.

und immer habsüchtig, und was sie den Unterthanen nicht durch hohe Steuern
abnahmen, preßten ihnen nach Möglichkeit die Beamten ab. In Buchara be¬
trugen die Abgaben der Bauern ein Drittel der Ernte, und in Kokand ent¬
richteten die 700000 Einwohner im Jahre 1840 Steuern an Früchten, die
einen Wert von nicht weniger als 800000 Rubeln reprcisentirten. Auch in
Chiwa waren die regelmäßigen Abgaben drückend, und daneben fehlte es nicht
an willkürlicher Aufsaugung des Volkes. Geleistet aber wurde von den Re¬
gierungen wenig, und alle öffentlichen Anstalten gerieten von Jahr zu Jahr
mehr in Verfall. Kurz, diese kleinen Usbekenrciche waren schon längst gründ¬
lich faul, und das Sprichwort sagt: Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.
Der russische machte davon keine Ausnahme, und man darf sagen, er hatte Ur¬
sache, diesen Zuständen ein Ende zu bereiten, und es war kein Unglück, daß ihm
dies ziemlich rasch und vollständig gelang. Es war nicht bloß eine Eroberung,
sondern zugleich ein Werk der Zivilisation, als die Russen der barbarischen
Wirtschaft in diesen zentralasiatischen Chcmaten durch Annexionen ein Ziel zu
setzen begannen. Das Regiment, das an deren Stelle trat, ließ sicher mancherlei
zu wünschen übrig, war aber, mit dem bisherigen verglichen, ebenso sicher ein
Fortschritt und eine Wohlthat.

Bekannt wurden die hier in Rede stehenden Länder den Russen durch Züge
abenteuernder Kosaken vom Ural, die schon in der zweiten Hülste des sechzehnten
Jahrhunderts und später noch zweimal Chiwa zu erobern versuchten, aber ver¬
geblich. Im Jahre 1700 ging der Chan von Chiwa, der von seinem Nachbar
in Buchara bedrängt wurde, Peter deu Großen an, ihn zum Vasallen und
Schützling anzunehmen, und der Zar erließ einen Ukas, der eine dahingehende
Erklärung aussprach, die jedoch vorläufig uicht ausgeführt wurde. Erst im Mai
1714 wurde der Fürst Bekowitsch und den Vorbereitungen zu einer Expedition
nach Chiwa beauftragt, und erst zwei Jahre später setzte sich dieselbe in Be¬
wegung. Ihr Zweck war, dein Chan russischerscits die Erbfolge für seine Fa¬
milie zu sichert! und ihm zu dem Ende ein Truppenkorps zuzuführen, dann
freundschaftliche Beziehungen zum Hofe von Buchara anzuknüpfen, endlich eine
Handelsstraße uach Indien zu eröffnen. Anfangs ging alles nach Wunsch.
Man legte bei Tjub Karaycm und am Golf von Balkan Forts an, konzentrirte
bei Gnriew ein kleines Heer von 3300 Manu mit sechs Geschützen, rückte im
Juni 1717 nach dem Embaslusse vor und zog darauf acht und eine halbe Woche
lang auf der alten Karawanenstraße uach Südosten dnrch Steppen und Sand-
wüsten weiter, bis mau an dem ausgetrockneten See von Bnrsa Kilmcis an¬
langte. Hier wurde wieder ein Fort erbaut und einige Zeit Halt gemacht.
Inzwischen aber hatte der rnssenfreundliche Chan in Chiwa den Thron einem
Gegner Rußlands räumen müssen, und die von Bekowitsch vorausgeschickten
Gesandten wurden von diesem als Gefangene behandelt. Bekowitsch zog trotzdem
mit seinen Truppen weiter und schlug die sich ihm entgegenstellenden Chiwescn,


Die Russen in Zentralusien.

und immer habsüchtig, und was sie den Unterthanen nicht durch hohe Steuern
abnahmen, preßten ihnen nach Möglichkeit die Beamten ab. In Buchara be¬
trugen die Abgaben der Bauern ein Drittel der Ernte, und in Kokand ent¬
richteten die 700000 Einwohner im Jahre 1840 Steuern an Früchten, die
einen Wert von nicht weniger als 800000 Rubeln reprcisentirten. Auch in
Chiwa waren die regelmäßigen Abgaben drückend, und daneben fehlte es nicht
an willkürlicher Aufsaugung des Volkes. Geleistet aber wurde von den Re¬
gierungen wenig, und alle öffentlichen Anstalten gerieten von Jahr zu Jahr
mehr in Verfall. Kurz, diese kleinen Usbekenrciche waren schon längst gründ¬
lich faul, und das Sprichwort sagt: Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.
Der russische machte davon keine Ausnahme, und man darf sagen, er hatte Ur¬
sache, diesen Zuständen ein Ende zu bereiten, und es war kein Unglück, daß ihm
dies ziemlich rasch und vollständig gelang. Es war nicht bloß eine Eroberung,
sondern zugleich ein Werk der Zivilisation, als die Russen der barbarischen
Wirtschaft in diesen zentralasiatischen Chcmaten durch Annexionen ein Ziel zu
setzen begannen. Das Regiment, das an deren Stelle trat, ließ sicher mancherlei
zu wünschen übrig, war aber, mit dem bisherigen verglichen, ebenso sicher ein
Fortschritt und eine Wohlthat.

Bekannt wurden die hier in Rede stehenden Länder den Russen durch Züge
abenteuernder Kosaken vom Ural, die schon in der zweiten Hülste des sechzehnten
Jahrhunderts und später noch zweimal Chiwa zu erobern versuchten, aber ver¬
geblich. Im Jahre 1700 ging der Chan von Chiwa, der von seinem Nachbar
in Buchara bedrängt wurde, Peter deu Großen an, ihn zum Vasallen und
Schützling anzunehmen, und der Zar erließ einen Ukas, der eine dahingehende
Erklärung aussprach, die jedoch vorläufig uicht ausgeführt wurde. Erst im Mai
1714 wurde der Fürst Bekowitsch und den Vorbereitungen zu einer Expedition
nach Chiwa beauftragt, und erst zwei Jahre später setzte sich dieselbe in Be¬
wegung. Ihr Zweck war, dein Chan russischerscits die Erbfolge für seine Fa¬
milie zu sichert! und ihm zu dem Ende ein Truppenkorps zuzuführen, dann
freundschaftliche Beziehungen zum Hofe von Buchara anzuknüpfen, endlich eine
Handelsstraße uach Indien zu eröffnen. Anfangs ging alles nach Wunsch.
Man legte bei Tjub Karaycm und am Golf von Balkan Forts an, konzentrirte
bei Gnriew ein kleines Heer von 3300 Manu mit sechs Geschützen, rückte im
Juni 1717 nach dem Embaslusse vor und zog darauf acht und eine halbe Woche
lang auf der alten Karawanenstraße uach Südosten dnrch Steppen und Sand-
wüsten weiter, bis mau an dem ausgetrockneten See von Bnrsa Kilmcis an¬
langte. Hier wurde wieder ein Fort erbaut und einige Zeit Halt gemacht.
Inzwischen aber hatte der rnssenfreundliche Chan in Chiwa den Thron einem
Gegner Rußlands räumen müssen, und die von Bekowitsch vorausgeschickten
Gesandten wurden von diesem als Gefangene behandelt. Bekowitsch zog trotzdem
mit seinen Truppen weiter und schlug die sich ihm entgegenstellenden Chiwescn,


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[0203] Die Russen in Zentralusien. und immer habsüchtig, und was sie den Unterthanen nicht durch hohe Steuern abnahmen, preßten ihnen nach Möglichkeit die Beamten ab. In Buchara be¬ trugen die Abgaben der Bauern ein Drittel der Ernte, und in Kokand ent¬ richteten die 700000 Einwohner im Jahre 1840 Steuern an Früchten, die einen Wert von nicht weniger als 800000 Rubeln reprcisentirten. Auch in Chiwa waren die regelmäßigen Abgaben drückend, und daneben fehlte es nicht an willkürlicher Aufsaugung des Volkes. Geleistet aber wurde von den Re¬ gierungen wenig, und alle öffentlichen Anstalten gerieten von Jahr zu Jahr mehr in Verfall. Kurz, diese kleinen Usbekenrciche waren schon längst gründ¬ lich faul, und das Sprichwort sagt: Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler. Der russische machte davon keine Ausnahme, und man darf sagen, er hatte Ur¬ sache, diesen Zuständen ein Ende zu bereiten, und es war kein Unglück, daß ihm dies ziemlich rasch und vollständig gelang. Es war nicht bloß eine Eroberung, sondern zugleich ein Werk der Zivilisation, als die Russen der barbarischen Wirtschaft in diesen zentralasiatischen Chcmaten durch Annexionen ein Ziel zu setzen begannen. Das Regiment, das an deren Stelle trat, ließ sicher mancherlei zu wünschen übrig, war aber, mit dem bisherigen verglichen, ebenso sicher ein Fortschritt und eine Wohlthat. Bekannt wurden die hier in Rede stehenden Länder den Russen durch Züge abenteuernder Kosaken vom Ural, die schon in der zweiten Hülste des sechzehnten Jahrhunderts und später noch zweimal Chiwa zu erobern versuchten, aber ver¬ geblich. Im Jahre 1700 ging der Chan von Chiwa, der von seinem Nachbar in Buchara bedrängt wurde, Peter deu Großen an, ihn zum Vasallen und Schützling anzunehmen, und der Zar erließ einen Ukas, der eine dahingehende Erklärung aussprach, die jedoch vorläufig uicht ausgeführt wurde. Erst im Mai 1714 wurde der Fürst Bekowitsch und den Vorbereitungen zu einer Expedition nach Chiwa beauftragt, und erst zwei Jahre später setzte sich dieselbe in Be¬ wegung. Ihr Zweck war, dein Chan russischerscits die Erbfolge für seine Fa¬ milie zu sichert! und ihm zu dem Ende ein Truppenkorps zuzuführen, dann freundschaftliche Beziehungen zum Hofe von Buchara anzuknüpfen, endlich eine Handelsstraße uach Indien zu eröffnen. Anfangs ging alles nach Wunsch. Man legte bei Tjub Karaycm und am Golf von Balkan Forts an, konzentrirte bei Gnriew ein kleines Heer von 3300 Manu mit sechs Geschützen, rückte im Juni 1717 nach dem Embaslusse vor und zog darauf acht und eine halbe Woche lang auf der alten Karawanenstraße uach Südosten dnrch Steppen und Sand- wüsten weiter, bis mau an dem ausgetrockneten See von Bnrsa Kilmcis an¬ langte. Hier wurde wieder ein Fort erbaut und einige Zeit Halt gemacht. Inzwischen aber hatte der rnssenfreundliche Chan in Chiwa den Thron einem Gegner Rußlands räumen müssen, und die von Bekowitsch vorausgeschickten Gesandten wurden von diesem als Gefangene behandelt. Bekowitsch zog trotzdem mit seinen Truppen weiter und schlug die sich ihm entgegenstellenden Chiwescn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/203>, abgerufen am 01.09.2024.