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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Salisbury und der Mahdi.

dem Schwerte des Mahdi zu verfallen, dem Hungertode entgegenging. Die Rück¬
schau auf diese Ereignisse muß einem patriotischen und nicht vom Liberalismus
verblendeten Engländer im höchsten Grade peinlich sein. Daß der Feldzug voll¬
ständig mißlang, ist allerdings nicht die Schuld der dazu verwendeten Armee.
Die Soldaten haben kämpfend und leidend in glänzender Weise ihr Pflicht er¬
füllt und dabei das Menschenmöglichste geleistet und geduldet. Die Ursache der
Schande und Einbuße an Ansehen und Vertrauen liegt anderswo. Auch an
den die Eingebornen betreffenden traurigen Folgen der "Evakuation," wie der
Euphemismus für "Retirade" in offizieller Sprache lautet, sind diese tapfern
und geduldigen Rotröcke nicht schuld. Daß den Lauf des Nil in den letzten
Monaten ein langer Zug verzweifelter Flüchtlinge bezeichnete, welche dnrch die
britische Politik zum Untergänge verdammt waren, ist die unausbleibliche Folge
eines Verfahrens, welches von Anfang bis zu Ende aus Halbheiten, mutlosen
Schritten heute vorwärts, morgen rückwärts, aus Launen und Faseleien bestand.
Es ist ein häßlicher Flecken auf den Blättern der englischen Geschichte, den anch
der Heldenmut der Soldaten nicht zu verwischen vermag und den die Tories
mit dein besten Willen nicht ungeschehen machen werden, weil sie nicht können.

Noch ehe Salisbury und seiue Amtsgenossen an die Stelle des liberalen
Kabinets gelangten, erhob sich die Frage: Soll Dongola als vorgeschobener
Posten gegen den Aufstand im Sudan besetzt gehalten oder soll der Rückzug
bis nach dem eigentlichen Ägypten fortgesetzt werden? Die telegraphischen De¬
peschen der Blaubücher belehren uns, daß die englische Arrieregarde unter dem
General Sir Redvers Butter am 26. Juni die Stadt noch nicht verlassen hatte.
Sie sollte hier nach Wolseleys Befehl Stand halten, während der General eine
Entscheidung des Kabinets erwartete, dem er im Hinblick ans Gründe, welche die
Gegenwart und gleich sehr die Zukunft an die Hand zu geben schien, eifrig das
Festhalten dieser Position empfohlen hatte. "Sie können, so telegraphirte er
unterm 27. Juni nach London, noch viele Jahre nicht daran denken, Ägypten
zu verlassen. Verbleibt man bei der jetzigen Nückzugspolitik, so wird der Mahdi
stärker und immer stärker werden, und Sie werden dann Ihre Garnisonen ver¬
mehren und sich der Unwürdigkeit unterwerfen müssen, sich von ihm drohen zu
lassen. Schließlich werden Sie ihn, wenn Sie unsre Stellung in Ägypten fest¬
halten wollen, bekämpfen müssen, lind dies wird geschehen, während die Bevöl¬
kerung, in deren Mitte Sie sich befinden, bereit ist, bei dem ersten besten Un-
glücksfälle, der uns dabei betrifft, gegen uns aufzustehen. Keinerlei Streitkraft,
die an der Grenze ^zwischen Nubien und Oberägypten, bei Wady Halfa oder
AssucmZ aufgestellt wird, kann die Macht und Bewegung, an deren Spitze der
Mahdi steht, von Ägypten fernhalten, und früher oder später muß der Mahdi
von Ihnen niedergeschlagen werden, wenn er nicht Sie niederschlagen soll.
Warten Sie seinen Angriff ab, so werden Sie ihn ohne Zweifel besiegen, aber
das wird für ihn nur eine Schlappe sein, die vorübergeht und von der er sich
bald erholt. Die paar tausend Mann, die Sie ihm töten werden, sind bei dem
unbeschränkten Menschenvorrate, über den er verfügt, bedeutungslos für ihn,
während seiue beständigen Angriffe auf Sie Ihre Heere und Ihre Geldkräfte ver¬
mindern werden. Wollte man ihn endlich vernichten oder seinen Einfluß lähmen,
so müßte man im Herbste gegen Chartum vorrücken und ihm innerhalb seines
eignen Gebietes begegnen. Diese mit vorschauendem Blicke ausgeführte Unter¬
nehmung wäre einfach und, soweit im Kriege etwas sicher sein kann, des Er¬
folges sicher. Solange bis dies geschehen ist, giebt es in Ägypten keinen Frieden,


Salisbury und der Mahdi.

dem Schwerte des Mahdi zu verfallen, dem Hungertode entgegenging. Die Rück¬
schau auf diese Ereignisse muß einem patriotischen und nicht vom Liberalismus
verblendeten Engländer im höchsten Grade peinlich sein. Daß der Feldzug voll¬
ständig mißlang, ist allerdings nicht die Schuld der dazu verwendeten Armee.
Die Soldaten haben kämpfend und leidend in glänzender Weise ihr Pflicht er¬
füllt und dabei das Menschenmöglichste geleistet und geduldet. Die Ursache der
Schande und Einbuße an Ansehen und Vertrauen liegt anderswo. Auch an
den die Eingebornen betreffenden traurigen Folgen der „Evakuation," wie der
Euphemismus für „Retirade" in offizieller Sprache lautet, sind diese tapfern
und geduldigen Rotröcke nicht schuld. Daß den Lauf des Nil in den letzten
Monaten ein langer Zug verzweifelter Flüchtlinge bezeichnete, welche dnrch die
britische Politik zum Untergänge verdammt waren, ist die unausbleibliche Folge
eines Verfahrens, welches von Anfang bis zu Ende aus Halbheiten, mutlosen
Schritten heute vorwärts, morgen rückwärts, aus Launen und Faseleien bestand.
Es ist ein häßlicher Flecken auf den Blättern der englischen Geschichte, den anch
der Heldenmut der Soldaten nicht zu verwischen vermag und den die Tories
mit dein besten Willen nicht ungeschehen machen werden, weil sie nicht können.

Noch ehe Salisbury und seiue Amtsgenossen an die Stelle des liberalen
Kabinets gelangten, erhob sich die Frage: Soll Dongola als vorgeschobener
Posten gegen den Aufstand im Sudan besetzt gehalten oder soll der Rückzug
bis nach dem eigentlichen Ägypten fortgesetzt werden? Die telegraphischen De¬
peschen der Blaubücher belehren uns, daß die englische Arrieregarde unter dem
General Sir Redvers Butter am 26. Juni die Stadt noch nicht verlassen hatte.
Sie sollte hier nach Wolseleys Befehl Stand halten, während der General eine
Entscheidung des Kabinets erwartete, dem er im Hinblick ans Gründe, welche die
Gegenwart und gleich sehr die Zukunft an die Hand zu geben schien, eifrig das
Festhalten dieser Position empfohlen hatte. „Sie können, so telegraphirte er
unterm 27. Juni nach London, noch viele Jahre nicht daran denken, Ägypten
zu verlassen. Verbleibt man bei der jetzigen Nückzugspolitik, so wird der Mahdi
stärker und immer stärker werden, und Sie werden dann Ihre Garnisonen ver¬
mehren und sich der Unwürdigkeit unterwerfen müssen, sich von ihm drohen zu
lassen. Schließlich werden Sie ihn, wenn Sie unsre Stellung in Ägypten fest¬
halten wollen, bekämpfen müssen, lind dies wird geschehen, während die Bevöl¬
kerung, in deren Mitte Sie sich befinden, bereit ist, bei dem ersten besten Un-
glücksfälle, der uns dabei betrifft, gegen uns aufzustehen. Keinerlei Streitkraft,
die an der Grenze ^zwischen Nubien und Oberägypten, bei Wady Halfa oder
AssucmZ aufgestellt wird, kann die Macht und Bewegung, an deren Spitze der
Mahdi steht, von Ägypten fernhalten, und früher oder später muß der Mahdi
von Ihnen niedergeschlagen werden, wenn er nicht Sie niederschlagen soll.
Warten Sie seinen Angriff ab, so werden Sie ihn ohne Zweifel besiegen, aber
das wird für ihn nur eine Schlappe sein, die vorübergeht und von der er sich
bald erholt. Die paar tausend Mann, die Sie ihm töten werden, sind bei dem
unbeschränkten Menschenvorrate, über den er verfügt, bedeutungslos für ihn,
während seiue beständigen Angriffe auf Sie Ihre Heere und Ihre Geldkräfte ver¬
mindern werden. Wollte man ihn endlich vernichten oder seinen Einfluß lähmen,
so müßte man im Herbste gegen Chartum vorrücken und ihm innerhalb seines
eignen Gebietes begegnen. Diese mit vorschauendem Blicke ausgeführte Unter¬
nehmung wäre einfach und, soweit im Kriege etwas sicher sein kann, des Er¬
folges sicher. Solange bis dies geschehen ist, giebt es in Ägypten keinen Frieden,


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[0192] Salisbury und der Mahdi. dem Schwerte des Mahdi zu verfallen, dem Hungertode entgegenging. Die Rück¬ schau auf diese Ereignisse muß einem patriotischen und nicht vom Liberalismus verblendeten Engländer im höchsten Grade peinlich sein. Daß der Feldzug voll¬ ständig mißlang, ist allerdings nicht die Schuld der dazu verwendeten Armee. Die Soldaten haben kämpfend und leidend in glänzender Weise ihr Pflicht er¬ füllt und dabei das Menschenmöglichste geleistet und geduldet. Die Ursache der Schande und Einbuße an Ansehen und Vertrauen liegt anderswo. Auch an den die Eingebornen betreffenden traurigen Folgen der „Evakuation," wie der Euphemismus für „Retirade" in offizieller Sprache lautet, sind diese tapfern und geduldigen Rotröcke nicht schuld. Daß den Lauf des Nil in den letzten Monaten ein langer Zug verzweifelter Flüchtlinge bezeichnete, welche dnrch die britische Politik zum Untergänge verdammt waren, ist die unausbleibliche Folge eines Verfahrens, welches von Anfang bis zu Ende aus Halbheiten, mutlosen Schritten heute vorwärts, morgen rückwärts, aus Launen und Faseleien bestand. Es ist ein häßlicher Flecken auf den Blättern der englischen Geschichte, den anch der Heldenmut der Soldaten nicht zu verwischen vermag und den die Tories mit dein besten Willen nicht ungeschehen machen werden, weil sie nicht können. Noch ehe Salisbury und seiue Amtsgenossen an die Stelle des liberalen Kabinets gelangten, erhob sich die Frage: Soll Dongola als vorgeschobener Posten gegen den Aufstand im Sudan besetzt gehalten oder soll der Rückzug bis nach dem eigentlichen Ägypten fortgesetzt werden? Die telegraphischen De¬ peschen der Blaubücher belehren uns, daß die englische Arrieregarde unter dem General Sir Redvers Butter am 26. Juni die Stadt noch nicht verlassen hatte. Sie sollte hier nach Wolseleys Befehl Stand halten, während der General eine Entscheidung des Kabinets erwartete, dem er im Hinblick ans Gründe, welche die Gegenwart und gleich sehr die Zukunft an die Hand zu geben schien, eifrig das Festhalten dieser Position empfohlen hatte. „Sie können, so telegraphirte er unterm 27. Juni nach London, noch viele Jahre nicht daran denken, Ägypten zu verlassen. Verbleibt man bei der jetzigen Nückzugspolitik, so wird der Mahdi stärker und immer stärker werden, und Sie werden dann Ihre Garnisonen ver¬ mehren und sich der Unwürdigkeit unterwerfen müssen, sich von ihm drohen zu lassen. Schließlich werden Sie ihn, wenn Sie unsre Stellung in Ägypten fest¬ halten wollen, bekämpfen müssen, lind dies wird geschehen, während die Bevöl¬ kerung, in deren Mitte Sie sich befinden, bereit ist, bei dem ersten besten Un- glücksfälle, der uns dabei betrifft, gegen uns aufzustehen. Keinerlei Streitkraft, die an der Grenze ^zwischen Nubien und Oberägypten, bei Wady Halfa oder AssucmZ aufgestellt wird, kann die Macht und Bewegung, an deren Spitze der Mahdi steht, von Ägypten fernhalten, und früher oder später muß der Mahdi von Ihnen niedergeschlagen werden, wenn er nicht Sie niederschlagen soll. Warten Sie seinen Angriff ab, so werden Sie ihn ohne Zweifel besiegen, aber das wird für ihn nur eine Schlappe sein, die vorübergeht und von der er sich bald erholt. Die paar tausend Mann, die Sie ihm töten werden, sind bei dem unbeschränkten Menschenvorrate, über den er verfügt, bedeutungslos für ihn, während seiue beständigen Angriffe auf Sie Ihre Heere und Ihre Geldkräfte ver¬ mindern werden. Wollte man ihn endlich vernichten oder seinen Einfluß lähmen, so müßte man im Herbste gegen Chartum vorrücken und ihm innerhalb seines eignen Gebietes begegnen. Diese mit vorschauendem Blicke ausgeführte Unter¬ nehmung wäre einfach und, soweit im Kriege etwas sicher sein kann, des Er¬ folges sicher. Solange bis dies geschehen ist, giebt es in Ägypten keinen Frieden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/192>, abgerufen am 24.11.2024.