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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus.

"Macht's unter euch aus; ich verstehe diese Zeit uicht und will sie auch gar¬
nicht verstehen." Ja, so einen Konservatismus, also etwa den eines pensionirten
Offiziers oder eines dito Beamten der alten Schule, allenfalls auch eines mi߬
vergnügten Rittergutsbesitzers oder sonstigen "Depvssedirten," den ließen sich
die Herren ganz gern gefallen, und waren ohne Widerrede bereit, demselben
gelegentlich eine halb höfliche, halb spöttische Verbeugung zu machen. Solange
also der Konservatismus kein "Prinzip" sein wollte, sondern sich begnügte,
einen ärgerlichen, etwas pessimistisch angehauchten Gegensatz gegen allerhand
Modernitäten zum Ausdruck zu bringen, solange verstand man sich ganz leidlich
mit ihm und hatte auch garnichts dawider, daß so aus "Hinterpommern und
Mecklenburg" auch einige Vertreter dieses Standpunktes in den parlamentarischen
Körperschaften saßen. Sobald man aber auch auf konservativer Seite prinzi¬
piell werden wollte, hörte der Spaß auf; von diesem Augenblicke an konnte
man sich darauf gefaßt machen, daß dem einzelnen Manne gegenüber alles aufge¬
boten wurde, um seiner persönlichen Ehre etwas anhängen zu könne", und daß
die Zeitung, welche den moralischen Mut hatte, einen derartigen Standpunkt
zu vertreten, als ein Blatt bezeichnet wurde, mit dem man sich anständiger-
weise nicht einlassen könne und auch nicht nötig habe, sich einzulassen. Es
braucht wohl kaum bemerkt zu werde", daß hier der eigentliche Quell der bit¬
tern, giftigen Gehässigkeiten zu suchen ist, welche seit einer Reihe von Jahren
für unser öffentliches Leben so charakteristisch geworden sind. Ein in solcher
Weise überall auf das persönliche Gebiet hinübergespielter politischer Kampf ist
ja ein wahres Treibhaus für diejenigen Verbitterungen, die immer eine ans der
andern hervorwachsen und sich gegenseitig fortwährend steigern, und die Probe
auf das Exempel liegt überall in Deutschland, wo ein prinzipieller Konser¬
vatismus in den Kampf eingetreten ist, deutlich vor Augen. Der tiefere Grund
für die leidenschaftliche Erbitterung und Gereiztheit, die in allen diesen Fällen
schnell ausbrach und allen beiderseitigen guten Willen, auch im politischen Mei¬
nungskampfe die gegenseitige persönliche Achtung zu bewahren und zu bethätigen,
erfolglos machte, ist offenbar nichts andres, als daß der Liberalismus es
schlechterdings nicht ertragen kann, sein alleinseligmachendes Prinzip in Frage
gestellt zu sehen, und denjenigen Menschen, der dies thut, für nichts andres als
einen Feind aller Kultur und alles Fortschrittes, wo nicht kurzweg für eine"
Heuchler und Lügner zu halten vermag. Dieser Punkt ist so durchschlagend,
daß schon eine bloße Steigerung seit Jahrzehnten vorhandener konservativer Be¬
strebungen im prinzipiellen Sinne genügt, um das angedeutete Resultat, die
gesellschaftliche Achtung der Blätter und Männer, welche die Träger dieser
Steigerung sind, sür alle liberalen Kreise herbeizuführen. Ja, es ist so: die
"liberale" Gesinnung, welche allen uns umgebenden Erscheinungen gegenüber
Geistesfreiheit und billiges Urteil sich zu wahren sucht, ist gegenwärtig bei
keiner Partei, selbst bei den Ultramontanen nicht, so schwach vertreten wie bei


Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus.

„Macht's unter euch aus; ich verstehe diese Zeit uicht und will sie auch gar¬
nicht verstehen." Ja, so einen Konservatismus, also etwa den eines pensionirten
Offiziers oder eines dito Beamten der alten Schule, allenfalls auch eines mi߬
vergnügten Rittergutsbesitzers oder sonstigen „Depvssedirten," den ließen sich
die Herren ganz gern gefallen, und waren ohne Widerrede bereit, demselben
gelegentlich eine halb höfliche, halb spöttische Verbeugung zu machen. Solange
also der Konservatismus kein „Prinzip" sein wollte, sondern sich begnügte,
einen ärgerlichen, etwas pessimistisch angehauchten Gegensatz gegen allerhand
Modernitäten zum Ausdruck zu bringen, solange verstand man sich ganz leidlich
mit ihm und hatte auch garnichts dawider, daß so aus „Hinterpommern und
Mecklenburg" auch einige Vertreter dieses Standpunktes in den parlamentarischen
Körperschaften saßen. Sobald man aber auch auf konservativer Seite prinzi¬
piell werden wollte, hörte der Spaß auf; von diesem Augenblicke an konnte
man sich darauf gefaßt machen, daß dem einzelnen Manne gegenüber alles aufge¬
boten wurde, um seiner persönlichen Ehre etwas anhängen zu könne», und daß
die Zeitung, welche den moralischen Mut hatte, einen derartigen Standpunkt
zu vertreten, als ein Blatt bezeichnet wurde, mit dem man sich anständiger-
weise nicht einlassen könne und auch nicht nötig habe, sich einzulassen. Es
braucht wohl kaum bemerkt zu werde», daß hier der eigentliche Quell der bit¬
tern, giftigen Gehässigkeiten zu suchen ist, welche seit einer Reihe von Jahren
für unser öffentliches Leben so charakteristisch geworden sind. Ein in solcher
Weise überall auf das persönliche Gebiet hinübergespielter politischer Kampf ist
ja ein wahres Treibhaus für diejenigen Verbitterungen, die immer eine ans der
andern hervorwachsen und sich gegenseitig fortwährend steigern, und die Probe
auf das Exempel liegt überall in Deutschland, wo ein prinzipieller Konser¬
vatismus in den Kampf eingetreten ist, deutlich vor Augen. Der tiefere Grund
für die leidenschaftliche Erbitterung und Gereiztheit, die in allen diesen Fällen
schnell ausbrach und allen beiderseitigen guten Willen, auch im politischen Mei¬
nungskampfe die gegenseitige persönliche Achtung zu bewahren und zu bethätigen,
erfolglos machte, ist offenbar nichts andres, als daß der Liberalismus es
schlechterdings nicht ertragen kann, sein alleinseligmachendes Prinzip in Frage
gestellt zu sehen, und denjenigen Menschen, der dies thut, für nichts andres als
einen Feind aller Kultur und alles Fortschrittes, wo nicht kurzweg für eine»
Heuchler und Lügner zu halten vermag. Dieser Punkt ist so durchschlagend,
daß schon eine bloße Steigerung seit Jahrzehnten vorhandener konservativer Be¬
strebungen im prinzipiellen Sinne genügt, um das angedeutete Resultat, die
gesellschaftliche Achtung der Blätter und Männer, welche die Träger dieser
Steigerung sind, sür alle liberalen Kreise herbeizuführen. Ja, es ist so: die
„liberale" Gesinnung, welche allen uns umgebenden Erscheinungen gegenüber
Geistesfreiheit und billiges Urteil sich zu wahren sucht, ist gegenwärtig bei
keiner Partei, selbst bei den Ultramontanen nicht, so schwach vertreten wie bei


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[0159] Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus. „Macht's unter euch aus; ich verstehe diese Zeit uicht und will sie auch gar¬ nicht verstehen." Ja, so einen Konservatismus, also etwa den eines pensionirten Offiziers oder eines dito Beamten der alten Schule, allenfalls auch eines mi߬ vergnügten Rittergutsbesitzers oder sonstigen „Depvssedirten," den ließen sich die Herren ganz gern gefallen, und waren ohne Widerrede bereit, demselben gelegentlich eine halb höfliche, halb spöttische Verbeugung zu machen. Solange also der Konservatismus kein „Prinzip" sein wollte, sondern sich begnügte, einen ärgerlichen, etwas pessimistisch angehauchten Gegensatz gegen allerhand Modernitäten zum Ausdruck zu bringen, solange verstand man sich ganz leidlich mit ihm und hatte auch garnichts dawider, daß so aus „Hinterpommern und Mecklenburg" auch einige Vertreter dieses Standpunktes in den parlamentarischen Körperschaften saßen. Sobald man aber auch auf konservativer Seite prinzi¬ piell werden wollte, hörte der Spaß auf; von diesem Augenblicke an konnte man sich darauf gefaßt machen, daß dem einzelnen Manne gegenüber alles aufge¬ boten wurde, um seiner persönlichen Ehre etwas anhängen zu könne», und daß die Zeitung, welche den moralischen Mut hatte, einen derartigen Standpunkt zu vertreten, als ein Blatt bezeichnet wurde, mit dem man sich anständiger- weise nicht einlassen könne und auch nicht nötig habe, sich einzulassen. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werde», daß hier der eigentliche Quell der bit¬ tern, giftigen Gehässigkeiten zu suchen ist, welche seit einer Reihe von Jahren für unser öffentliches Leben so charakteristisch geworden sind. Ein in solcher Weise überall auf das persönliche Gebiet hinübergespielter politischer Kampf ist ja ein wahres Treibhaus für diejenigen Verbitterungen, die immer eine ans der andern hervorwachsen und sich gegenseitig fortwährend steigern, und die Probe auf das Exempel liegt überall in Deutschland, wo ein prinzipieller Konser¬ vatismus in den Kampf eingetreten ist, deutlich vor Augen. Der tiefere Grund für die leidenschaftliche Erbitterung und Gereiztheit, die in allen diesen Fällen schnell ausbrach und allen beiderseitigen guten Willen, auch im politischen Mei¬ nungskampfe die gegenseitige persönliche Achtung zu bewahren und zu bethätigen, erfolglos machte, ist offenbar nichts andres, als daß der Liberalismus es schlechterdings nicht ertragen kann, sein alleinseligmachendes Prinzip in Frage gestellt zu sehen, und denjenigen Menschen, der dies thut, für nichts andres als einen Feind aller Kultur und alles Fortschrittes, wo nicht kurzweg für eine» Heuchler und Lügner zu halten vermag. Dieser Punkt ist so durchschlagend, daß schon eine bloße Steigerung seit Jahrzehnten vorhandener konservativer Be¬ strebungen im prinzipiellen Sinne genügt, um das angedeutete Resultat, die gesellschaftliche Achtung der Blätter und Männer, welche die Träger dieser Steigerung sind, sür alle liberalen Kreise herbeizuführen. Ja, es ist so: die „liberale" Gesinnung, welche allen uns umgebenden Erscheinungen gegenüber Geistesfreiheit und billiges Urteil sich zu wahren sucht, ist gegenwärtig bei keiner Partei, selbst bei den Ultramontanen nicht, so schwach vertreten wie bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/159>, abgerufen am 01.09.2024.