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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Kurzsichtige Politiker.

wenn einmal Österreich mit dem widerspenstigen Ungarn Pallirer sollte, dann
doch nur mit den Liberalen, nie mit den Konservativen. Ach, und von den
letztem hätte er den "Ausgleich" so viel billiger haben können!

Der leitende Staatsmann gab damals, soviel wir uns erinnern, keinen
Grund für seiue Weigerung an, den Frieden aus deu Händen der Konservativen
anzunehmen. Er rechnete darauf, und mit Recht, daß seine Zuhörer bei dem
Wort konservativ an Ketzergerichte, Leibeigenschaft, ^us prirnao noetiL ?c. denken
und schaudern würden. Das ist nun mehr als zwanzig Jahre her, zwanzig
Jahre voll Erfahrungen, die in der übrigen Welt zu ganz andern Ansichten
über Liberalismus und Konservatismus gefühlt haben; nur in Österreich be¬
steht trotz aller Erlebnisse noch der kindliche Glaube an die seligmachende Kraft
der liberalen Phrase, nur in Österreich kann man noch einem politischen Manne
oder einer Partei mit dem Worte konservativ eiuen Makel anhängen. Das war
begreiflich, solange die prinzipiellen Gegner bürgerlicher und Gewissensfreiheit
diese Bezeichnung für sich in Anspruch nahmen. Dem ist aber nicht mehr so.
Was man längst herbeisehnen mußte, vollzieht sich; diejenigen Deutschen, welche
weder die Verfassung umstürzen', noch Österreich zu einem slawischen Staate
machen, noch das Konkordat wiederherstellen wollen, brechen mit den Polen,
Tschechen und Ultramontnnen, treten dieser deutschfeiudlicheu Koalition mit voller
Entschiedenheit entgegen; sie wollen eine Mittclpartci bilden, welche das
Deutschtum hochhält, also in der wichtigsten, in der Lebensfrage zu gunsten
der Lii-item entscheiden wird. Und trotzdem muß vor ihnen wie vor Aussätzigen
gewarnt werden? Was erwartet man entsetzliches von ihnen? Die Antwort
auf diese Frage wird uns nicht vorenthalten. Sie stehen in dem Verdacht, die
konfessionelle Schule wieder einführen zu wollen. Welch ein Unglück in einer
Zeit, in welcher es jedem freisteht, sich zu jeder beliebigen oder garkeiner Kon¬
fession zu bekennen und darnach seine Kinder vor der Berührung mit einem
bestimmten Glauben oder jedem Glauben überhaupt zu schützen! Wer mit der
katholischen Kirche zerfallen ist, kann Altkatholik, Protestant, kann konfessionslos,
und wenn er ganz fortgeschritten ist, Jude werden. Aber merkwürdigerweise
wird von solcher Freiheit fast nur Gebrauch gemacht, wenn es sich um ge¬
mischte Ehen handelt. Und in Wahrheit haben auch die uichtgläubigeu Katho¬
liken garnicht solche Furcht vor der konfessionellen Schule, wieder geht die
Agitation von den Juden aus, welche darin eine Beschränkung der Freiheit,
wie sie sie meinen, wittern. Die Menschheit könnte wieder religiös werden, der
ihnen so sympathische Indifferentismus könnte an Boden verlieren. Und um
das zu verhüten, sollen die Deutschen in Österreich in feindlichen Parteien zer¬
splittert bleiben. Wage es, dich als gläubigen Katholiken zu bekennen, und du
wirst allein deshalb als Feind der Freiheit und des Vaterlandes angeschrieben!

Natürlich muß in diesem Kampfe die Stellung der Zentrumspartei im
deutschen Reiche ihren Dienst leisten, als ob die österreichischen Konservativen


Kurzsichtige Politiker.

wenn einmal Österreich mit dem widerspenstigen Ungarn Pallirer sollte, dann
doch nur mit den Liberalen, nie mit den Konservativen. Ach, und von den
letztem hätte er den „Ausgleich" so viel billiger haben können!

Der leitende Staatsmann gab damals, soviel wir uns erinnern, keinen
Grund für seiue Weigerung an, den Frieden aus deu Händen der Konservativen
anzunehmen. Er rechnete darauf, und mit Recht, daß seine Zuhörer bei dem
Wort konservativ an Ketzergerichte, Leibeigenschaft, ^us prirnao noetiL ?c. denken
und schaudern würden. Das ist nun mehr als zwanzig Jahre her, zwanzig
Jahre voll Erfahrungen, die in der übrigen Welt zu ganz andern Ansichten
über Liberalismus und Konservatismus gefühlt haben; nur in Österreich be¬
steht trotz aller Erlebnisse noch der kindliche Glaube an die seligmachende Kraft
der liberalen Phrase, nur in Österreich kann man noch einem politischen Manne
oder einer Partei mit dem Worte konservativ eiuen Makel anhängen. Das war
begreiflich, solange die prinzipiellen Gegner bürgerlicher und Gewissensfreiheit
diese Bezeichnung für sich in Anspruch nahmen. Dem ist aber nicht mehr so.
Was man längst herbeisehnen mußte, vollzieht sich; diejenigen Deutschen, welche
weder die Verfassung umstürzen', noch Österreich zu einem slawischen Staate
machen, noch das Konkordat wiederherstellen wollen, brechen mit den Polen,
Tschechen und Ultramontnnen, treten dieser deutschfeiudlicheu Koalition mit voller
Entschiedenheit entgegen; sie wollen eine Mittclpartci bilden, welche das
Deutschtum hochhält, also in der wichtigsten, in der Lebensfrage zu gunsten
der Lii-item entscheiden wird. Und trotzdem muß vor ihnen wie vor Aussätzigen
gewarnt werden? Was erwartet man entsetzliches von ihnen? Die Antwort
auf diese Frage wird uns nicht vorenthalten. Sie stehen in dem Verdacht, die
konfessionelle Schule wieder einführen zu wollen. Welch ein Unglück in einer
Zeit, in welcher es jedem freisteht, sich zu jeder beliebigen oder garkeiner Kon¬
fession zu bekennen und darnach seine Kinder vor der Berührung mit einem
bestimmten Glauben oder jedem Glauben überhaupt zu schützen! Wer mit der
katholischen Kirche zerfallen ist, kann Altkatholik, Protestant, kann konfessionslos,
und wenn er ganz fortgeschritten ist, Jude werden. Aber merkwürdigerweise
wird von solcher Freiheit fast nur Gebrauch gemacht, wenn es sich um ge¬
mischte Ehen handelt. Und in Wahrheit haben auch die uichtgläubigeu Katho¬
liken garnicht solche Furcht vor der konfessionellen Schule, wieder geht die
Agitation von den Juden aus, welche darin eine Beschränkung der Freiheit,
wie sie sie meinen, wittern. Die Menschheit könnte wieder religiös werden, der
ihnen so sympathische Indifferentismus könnte an Boden verlieren. Und um
das zu verhüten, sollen die Deutschen in Österreich in feindlichen Parteien zer¬
splittert bleiben. Wage es, dich als gläubigen Katholiken zu bekennen, und du
wirst allein deshalb als Feind der Freiheit und des Vaterlandes angeschrieben!

Natürlich muß in diesem Kampfe die Stellung der Zentrumspartei im
deutschen Reiche ihren Dienst leisten, als ob die österreichischen Konservativen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/156>, abgerufen am 28.07.2024.