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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Parnelliten haben durch ihren Führer erklärt, sich neutral Verhalten zu wollen,
falls keine neue irische Zwangsbill aufs Tapet gebracht und durchgesetzt würde.
Das Kabinet Salisbury wird hauptsächlich in cinswärtigen Fragen zu zeigen
haben, was es kaun. Wenn von Gladstone und Genossen gesagt wird, sie
hätten abgewirtschaftet, so kann sich das nur auf jene Frage beziehen. Aber
es erheblich besser als der abgetretene Premier zu machen, wird keineswegs
leicht sein. Der Wille thut es hier nicht allein, man muß Wege und Mittel
finde", wenn der verfahrene Staatswagen weitergebracht und wieder in raschen
und regelrechten Gang nach dem durch sein Interesse gesteckten Ziele gesetzt
werden soll.

Von Leute", welche sich als Eingeweihte angesehen wissen wollen, wird
die äußere Politik des Torykabincts im allgemeinen als von dem Bestreben
ausgehend charakterisirt, dem Lande zu zeigen, daß die Konservativen die wahren
Freunde des Friedens seien, da sie nicht die Absicht hätten, sich wie die bis¬
her herrschenden Staatsmänner dem Unvermeidlichen zu widersetzen, um dann
nachzugeben, und da sie sich nicht von demokratischen Liebhabereien zur Hin¬
neigung zu republikanischen Staaten und zur Bevorzugung derselben verleiten
ließen, was dem Lande nur Demütigung zugezogen und es isolirt habe. Salis¬
bury werde in erster Reihe ein inniges Einvernehmen mit Deutschland und
Österreich-Ungarn erstreben und zunächst versuchen, die Frage wegen der russisch-
afghanischen Grenze endgiltig zu lösen, und er und Churchill würden sich dabei
gegen Rußland entgegenkommender zeigen als Lord Greenville. Sie würden
nicht wie die Liberalen sich bemühen, Indien durch Verhandlungen und Ver¬
träge zu schützen, die nach den Lehren der Geschichte nur geringen Wert hätten,
sondern England eine so feste Stellung zwischen Indien und Rußland schaffen,
daß die britische Macht zwischen Indus und Ganges fortan nicht mehr gefährdet
werden könnte. Im Hinblick auf Ägypten werde Salisbury sich angelegen sein
lassen, die Stellung Englands dadurch zu befestigen, daß das britische Kabinet
sich offen für die Maßregeln der dortigen Regierung verantwortlich erkläre und
im Lande eine Armee zurücklasse, welche hinreiche, die Ordnung aufrecht zu er¬
halten und einen Einbruch des Mahdi in das untere Nilthal abzuwehren.

Das wären gewiß recht lobwürdige Absichten, mir erfahren wir nichts be¬
stimmtes und ausreichendes über das Wie ihrer Ausführung. Gewiß wird
mau in Berlin und Wien die Ersetzung Gladstones durch Salisbury nicht un¬
gern gesehen haben, obwohl seine schroffe Art in diplomatischen Geschäften den
Verkehr mit ihm einigermaßen unbequem machen könnte. Er ist ehrlicher, kon¬
sequenter und zuverlässiger als Gladstone, sodaß man im allgemeinen wissen
wird, wie man mit ihm daran ist. Es wird sich wenigstens in Kolonialsachen
mehr guter Wille kundgeben als bisher; nur werden die Handlungen der be¬
treffenden Herren nicht über das hinausgehen können, was man hergebrachter¬
maßen als englisches Interesse ansieht. Auch wird alles, mindestens bis zu den


Parnelliten haben durch ihren Führer erklärt, sich neutral Verhalten zu wollen,
falls keine neue irische Zwangsbill aufs Tapet gebracht und durchgesetzt würde.
Das Kabinet Salisbury wird hauptsächlich in cinswärtigen Fragen zu zeigen
haben, was es kaun. Wenn von Gladstone und Genossen gesagt wird, sie
hätten abgewirtschaftet, so kann sich das nur auf jene Frage beziehen. Aber
es erheblich besser als der abgetretene Premier zu machen, wird keineswegs
leicht sein. Der Wille thut es hier nicht allein, man muß Wege und Mittel
finde», wenn der verfahrene Staatswagen weitergebracht und wieder in raschen
und regelrechten Gang nach dem durch sein Interesse gesteckten Ziele gesetzt
werden soll.

Von Leute», welche sich als Eingeweihte angesehen wissen wollen, wird
die äußere Politik des Torykabincts im allgemeinen als von dem Bestreben
ausgehend charakterisirt, dem Lande zu zeigen, daß die Konservativen die wahren
Freunde des Friedens seien, da sie nicht die Absicht hätten, sich wie die bis¬
her herrschenden Staatsmänner dem Unvermeidlichen zu widersetzen, um dann
nachzugeben, und da sie sich nicht von demokratischen Liebhabereien zur Hin¬
neigung zu republikanischen Staaten und zur Bevorzugung derselben verleiten
ließen, was dem Lande nur Demütigung zugezogen und es isolirt habe. Salis¬
bury werde in erster Reihe ein inniges Einvernehmen mit Deutschland und
Österreich-Ungarn erstreben und zunächst versuchen, die Frage wegen der russisch-
afghanischen Grenze endgiltig zu lösen, und er und Churchill würden sich dabei
gegen Rußland entgegenkommender zeigen als Lord Greenville. Sie würden
nicht wie die Liberalen sich bemühen, Indien durch Verhandlungen und Ver¬
träge zu schützen, die nach den Lehren der Geschichte nur geringen Wert hätten,
sondern England eine so feste Stellung zwischen Indien und Rußland schaffen,
daß die britische Macht zwischen Indus und Ganges fortan nicht mehr gefährdet
werden könnte. Im Hinblick auf Ägypten werde Salisbury sich angelegen sein
lassen, die Stellung Englands dadurch zu befestigen, daß das britische Kabinet
sich offen für die Maßregeln der dortigen Regierung verantwortlich erkläre und
im Lande eine Armee zurücklasse, welche hinreiche, die Ordnung aufrecht zu er¬
halten und einen Einbruch des Mahdi in das untere Nilthal abzuwehren.

Das wären gewiß recht lobwürdige Absichten, mir erfahren wir nichts be¬
stimmtes und ausreichendes über das Wie ihrer Ausführung. Gewiß wird
mau in Berlin und Wien die Ersetzung Gladstones durch Salisbury nicht un¬
gern gesehen haben, obwohl seine schroffe Art in diplomatischen Geschäften den
Verkehr mit ihm einigermaßen unbequem machen könnte. Er ist ehrlicher, kon¬
sequenter und zuverlässiger als Gladstone, sodaß man im allgemeinen wissen
wird, wie man mit ihm daran ist. Es wird sich wenigstens in Kolonialsachen
mehr guter Wille kundgeben als bisher; nur werden die Handlungen der be¬
treffenden Herren nicht über das hinausgehen können, was man hergebrachter¬
maßen als englisches Interesse ansieht. Auch wird alles, mindestens bis zu den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/13>, abgerufen am 28.07.2024.