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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Reden des Fürsten Bismarck.

Deutschland, und wie man auch über die Annexion an Preußen denken mag,
so hatten doch preußische Politiker wahrlich keinen Grund, ihr zu wider¬
streben. Auch in der sozialen Frage verkennen heute nur noch wenige, daß,
wie damals schon Herr von Bismarck klar vor Augen hatte, der Staat den
Beruf habe, soviel als möglich helfend einzugreifen.

Daß in allen diesen Dingen damals die fast das ganze Abgeordnetenhaus
umfassende Opposition die wahre Sachlage verkannte, daß sie in blindem Eifer
für ihr Budgetrccht alles andre mißachtete, daß sie auch die mannichfachen An-
deutungen nicht verstand, welche ihr der Ministerpräsident, wenn auch mit der
unumgänglich gebotenen Zurückhaltung, über seine Pläne gab, das alles war
ja zu verzeihen. Die Politik ist eine schwere Wissenschaft, und wer sie prak¬
tisch übt, dem bleiben Täuschungen selten erspart. Man muß sich, wie einst
Fürst Bismarck im Reichstage sagte, schon glücklich schätzen, wenn man sich in
keiner größern politischen Frage mit seiner Voraussicht völlig geirrt hat. Was
aber in jenen Verhandlungen auf das peinlichste berührt, das ist die Über-
hebung und Geringschätzung, mit welcher jene Männer fast ohne Ausnahme
ihrem großen Gegner gegenübertraten. Da war kein denkbarer Vorwurf, den
man nicht gegen ihn geschleudert hätte. Daß er die personifizirte Reaktion sei,
daß es sich bei ihm nur darum handle, die Volksfreiheiten zu unterdrücken, das
verstand sich ganz von selbst. Aber auch seine Fähigkeiten wurden auf das ge¬
ringste Maß herabgesetzt. Bei diesem Ministerium, sagte ein Hauptführer der
Linken, könne man weder auf eine große Politik in Europa, noch ans eine klare
und wahre und freie und redliche Politik im Innern irgend einen Anspruch
machen. Ein berühmter Professor sprach Herrn von Bismarck jedes Verständnis
für "nationale Politik" ab, und als ihn dieser darauf hinwies, daß er doch
mehr von seinem Spezialfach als von der Politik verstehe, drückte er spöttisch
den Wunsch aus, daß es dem Herrn Ministerpräsidenten gelingen möge, unter
deu Diplomaten Europas eine ähnlich anerkannte Stellung zu finden, wie er
selbst uuter seinen Spezialkollegen gefunden habe! Von andrer Seite wurde
als das eigentliche Motiv für den Standpunkt der Negierung die Furcht
vor der Demokratie und die Besorgnis vor dem Auslande bezeichnet. Es
wurde der Vorwurf erhoben, daß das Ministerium das Steuerruder stets
nach dem Winde drehe. Der Gang desselben wurde ein fortgesetztes Stürzen
und Stolpern genannt. Auch der Vergleich mit Don Quixote und einem Seil¬
tänzer, der sich nur mit Mühe vor dem Fallen bewahre, kam aus dem Munde
eines bewährten Parlamentariers. Selbst der Vorwurf eines Mangels an
Wahrheitsliebe wurde Herrn von Bismarck entgegengeschleudert, was daun zu
einer, von dem Redner jedoch nicht angenommenen, Herausforderung führte.
Freilich vergalt Herr von Bismarck diese Schmähungen den ihm gegenüber¬
stehenden "politischen Dilettanten" oft mit dem bittersten Spott, der sie dem
Gelächter ihrer eignen Parteigenossen preisgab. Wohl selten aber hat ein


Die Reden des Fürsten Bismarck.

Deutschland, und wie man auch über die Annexion an Preußen denken mag,
so hatten doch preußische Politiker wahrlich keinen Grund, ihr zu wider¬
streben. Auch in der sozialen Frage verkennen heute nur noch wenige, daß,
wie damals schon Herr von Bismarck klar vor Augen hatte, der Staat den
Beruf habe, soviel als möglich helfend einzugreifen.

Daß in allen diesen Dingen damals die fast das ganze Abgeordnetenhaus
umfassende Opposition die wahre Sachlage verkannte, daß sie in blindem Eifer
für ihr Budgetrccht alles andre mißachtete, daß sie auch die mannichfachen An-
deutungen nicht verstand, welche ihr der Ministerpräsident, wenn auch mit der
unumgänglich gebotenen Zurückhaltung, über seine Pläne gab, das alles war
ja zu verzeihen. Die Politik ist eine schwere Wissenschaft, und wer sie prak¬
tisch übt, dem bleiben Täuschungen selten erspart. Man muß sich, wie einst
Fürst Bismarck im Reichstage sagte, schon glücklich schätzen, wenn man sich in
keiner größern politischen Frage mit seiner Voraussicht völlig geirrt hat. Was
aber in jenen Verhandlungen auf das peinlichste berührt, das ist die Über-
hebung und Geringschätzung, mit welcher jene Männer fast ohne Ausnahme
ihrem großen Gegner gegenübertraten. Da war kein denkbarer Vorwurf, den
man nicht gegen ihn geschleudert hätte. Daß er die personifizirte Reaktion sei,
daß es sich bei ihm nur darum handle, die Volksfreiheiten zu unterdrücken, das
verstand sich ganz von selbst. Aber auch seine Fähigkeiten wurden auf das ge¬
ringste Maß herabgesetzt. Bei diesem Ministerium, sagte ein Hauptführer der
Linken, könne man weder auf eine große Politik in Europa, noch ans eine klare
und wahre und freie und redliche Politik im Innern irgend einen Anspruch
machen. Ein berühmter Professor sprach Herrn von Bismarck jedes Verständnis
für „nationale Politik" ab, und als ihn dieser darauf hinwies, daß er doch
mehr von seinem Spezialfach als von der Politik verstehe, drückte er spöttisch
den Wunsch aus, daß es dem Herrn Ministerpräsidenten gelingen möge, unter
deu Diplomaten Europas eine ähnlich anerkannte Stellung zu finden, wie er
selbst uuter seinen Spezialkollegen gefunden habe! Von andrer Seite wurde
als das eigentliche Motiv für den Standpunkt der Negierung die Furcht
vor der Demokratie und die Besorgnis vor dem Auslande bezeichnet. Es
wurde der Vorwurf erhoben, daß das Ministerium das Steuerruder stets
nach dem Winde drehe. Der Gang desselben wurde ein fortgesetztes Stürzen
und Stolpern genannt. Auch der Vergleich mit Don Quixote und einem Seil¬
tänzer, der sich nur mit Mühe vor dem Fallen bewahre, kam aus dem Munde
eines bewährten Parlamentariers. Selbst der Vorwurf eines Mangels an
Wahrheitsliebe wurde Herrn von Bismarck entgegengeschleudert, was daun zu
einer, von dem Redner jedoch nicht angenommenen, Herausforderung führte.
Freilich vergalt Herr von Bismarck diese Schmähungen den ihm gegenüber¬
stehenden „politischen Dilettanten" oft mit dem bittersten Spott, der sie dem
Gelächter ihrer eignen Parteigenossen preisgab. Wohl selten aber hat ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/116>, abgerufen am 24.11.2024.