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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Schriftvergleichnng im Strafprozeß.

oder Verteidigung -- vielleicht gerade um die Ähnlichkeit seiner Handschrift mit
einer nicht von ihm herrührenden zu verdecken -- seine Handschrift absichtlich
verstellt. Aus all diesem Gesagten erhellt, daß das Amt eines Schriftsachver¬
ständigen mehr voraussetzt, als ein Schreiblehrer sür gewöhnlich besitzen kann,
und daß man bei der Auswahl der Sachverständigen für die Schriftvergleichung
fast mit größerer Sorgfalt zu Werke gehen muß als bei der Wahl irgendeines
andern Sachverständigen. Archivare, Registraturen, Buchhalter ausgebreiteter
Geschäfte, Schriftsetzer bedeutenderer Druckereien, Kopisten größerer Gerichte
oder Verwaltungsbehörden, das alles sind Personen, welche kraft ihres Berufs
die verschiedensten Handschriften vor Augen bekommen und in deren charak¬
teristische Eigenschaften einzudringen haben, wenn sie dieselben vollständig und
leicht verstehen wollen; ihnen sind Lithographen und ähnliche Gewerbtreibende
zuzurechnen, welche fremde Handschriften sogar nachahmen müssen. Aus diesen
Kreisen sind die Schriftverständigen zu entnehmen, und wenn solche Personen
nicht am Gerichtsorte vorhanden sind, so lasse man sie lieber von andern Orten
kommen, anstatt wegen Kostenersparnis oder aus kleinlichen Kirchturmspatriotis¬
mus nicht genügende Personen des Gerichtsortes dazu zu verwenden, wie ja
auch z. B. bei Nachdrucks- oder Mnsterschutzprozessen Sachverständige oft von
weither vor das erkennende Gericht geladen werden.

Wenn in den angedeuteten Richtungen mit der genügenden Vorsicht ver¬
fahren wird, dann ist nicht abzusehen, wie aus der Beurteilung der Schrift¬
vergleichung durch den Richter größere Bedenken bezüglich unrichtiger Verur¬
teilungen oder Freisprechungen erfolgen follten als bei andern schwierigen
Beweisfragen, wo der Richter auf Grund andrer Sachverständigen, z. B. in
den ebenerwähnten Nachdruckssachen oder auf Grund der Aussagen unklarer
Zeugen oder eines verwickelten indirekten Beweises zu erkennen hat. Unsern
Gerichten die Fähigkeit zu dieser Beurteilung absprechen, heißt denu doch ein
Mißtrauen in dieselben setzen, zu welchem eine Veranlassung nicht vorliegt. Auch
in der Rechtsprechung können wie bei jeder menschlichen Thätigkeit Irrtümer
vorkommen, deshalb sind die Rechtsmittel eingeführt. Die Anleitung zur Ver¬
meidung solcher Irrtümer kann aber nicht Sache der Gesetzgebung sein, sondern
sie liegt der juristischen Erziehung ob, sowohl der Lehre der Universitäten als
der Ausbildung in der Praxis; dort wird der junge Jurist wie im vorsichtigen
Gebrauche jedes Beweismittels so auch in dem der Schriftvergleichung unter¬
richtet werden müssen, die Gesetzgebung kann nicht mehr thun als bestimmen, wo
überhaupt dem richterlichen Ermessen das Urteil von Sachverständigen zu gründe
gelegt werden muß. Höchstens würden in dieser Richtung eingehendere Dienst-
instrnktionen erlassen werden können, wie ja auch die in der Reichsstrafproze߬
ordnung enthaltene Bestimmung über die hier erörterten Materien von der
Begründung der Strafprozeßordnung selbst als eigentlich instruktioneller Natur
be



Grenzboten II. 1S8S. 10
Die Schriftvergleichnng im Strafprozeß.

oder Verteidigung — vielleicht gerade um die Ähnlichkeit seiner Handschrift mit
einer nicht von ihm herrührenden zu verdecken — seine Handschrift absichtlich
verstellt. Aus all diesem Gesagten erhellt, daß das Amt eines Schriftsachver¬
ständigen mehr voraussetzt, als ein Schreiblehrer sür gewöhnlich besitzen kann,
und daß man bei der Auswahl der Sachverständigen für die Schriftvergleichung
fast mit größerer Sorgfalt zu Werke gehen muß als bei der Wahl irgendeines
andern Sachverständigen. Archivare, Registraturen, Buchhalter ausgebreiteter
Geschäfte, Schriftsetzer bedeutenderer Druckereien, Kopisten größerer Gerichte
oder Verwaltungsbehörden, das alles sind Personen, welche kraft ihres Berufs
die verschiedensten Handschriften vor Augen bekommen und in deren charak¬
teristische Eigenschaften einzudringen haben, wenn sie dieselben vollständig und
leicht verstehen wollen; ihnen sind Lithographen und ähnliche Gewerbtreibende
zuzurechnen, welche fremde Handschriften sogar nachahmen müssen. Aus diesen
Kreisen sind die Schriftverständigen zu entnehmen, und wenn solche Personen
nicht am Gerichtsorte vorhanden sind, so lasse man sie lieber von andern Orten
kommen, anstatt wegen Kostenersparnis oder aus kleinlichen Kirchturmspatriotis¬
mus nicht genügende Personen des Gerichtsortes dazu zu verwenden, wie ja
auch z. B. bei Nachdrucks- oder Mnsterschutzprozessen Sachverständige oft von
weither vor das erkennende Gericht geladen werden.

Wenn in den angedeuteten Richtungen mit der genügenden Vorsicht ver¬
fahren wird, dann ist nicht abzusehen, wie aus der Beurteilung der Schrift¬
vergleichung durch den Richter größere Bedenken bezüglich unrichtiger Verur¬
teilungen oder Freisprechungen erfolgen follten als bei andern schwierigen
Beweisfragen, wo der Richter auf Grund andrer Sachverständigen, z. B. in
den ebenerwähnten Nachdruckssachen oder auf Grund der Aussagen unklarer
Zeugen oder eines verwickelten indirekten Beweises zu erkennen hat. Unsern
Gerichten die Fähigkeit zu dieser Beurteilung absprechen, heißt denu doch ein
Mißtrauen in dieselben setzen, zu welchem eine Veranlassung nicht vorliegt. Auch
in der Rechtsprechung können wie bei jeder menschlichen Thätigkeit Irrtümer
vorkommen, deshalb sind die Rechtsmittel eingeführt. Die Anleitung zur Ver¬
meidung solcher Irrtümer kann aber nicht Sache der Gesetzgebung sein, sondern
sie liegt der juristischen Erziehung ob, sowohl der Lehre der Universitäten als
der Ausbildung in der Praxis; dort wird der junge Jurist wie im vorsichtigen
Gebrauche jedes Beweismittels so auch in dem der Schriftvergleichung unter¬
richtet werden müssen, die Gesetzgebung kann nicht mehr thun als bestimmen, wo
überhaupt dem richterlichen Ermessen das Urteil von Sachverständigen zu gründe
gelegt werden muß. Höchstens würden in dieser Richtung eingehendere Dienst-
instrnktionen erlassen werden können, wie ja auch die in der Reichsstrafproze߬
ordnung enthaltene Bestimmung über die hier erörterten Materien von der
Begründung der Strafprozeßordnung selbst als eigentlich instruktioneller Natur
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Grenzboten II. 1S8S. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/78>, abgerufen am 22.07.2024.