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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Schriftvergleichung im Strafprozeß.

Beweismittels. Nur die Tagespresse verlangt bisweilen bei Besprechung einzelner
Nechtsfälle, in welchen die Schriftvergleichung unvorsichtig angewandt wurde,
alsbald deren gänzliche Beseitigung.

Auch alle neueren Strafprozeßordnungen haben die Schriftvergleichung als
etwas selbstverständliches angesehen und diese Materie deshalb kurz abgefertigt.
Die Reichsstrafprozeßordnnng erwähnt sie im Z 93, der dem § 84 des Ent-
Wurfs wörtlich entspricht, ebenfalls als ein zulässiges Beweismittel und verlangt
nur, daß sie "unter Zuziehung von Sachverständigel? vorgenommen werden"
soll; in der Begründung dazu heißt es ganz kurz: "Die 78--84 sind für
einige Fälle der Vernehmung von Sachverständigen, bez. der Einnahme des
Augenscheins besondre Bestimmungen, wie solche sich fast in allen deutschen
Gesetzgebungen finden, getroffen. Zum Teil sind dieselben weniger legislativer
als instruktioneller Natur, und sie könnten deshalb vielleicht entbehrt werden.
Der Entwurf hat indes geglaubt, sie nicht gänzlich übergehen zu sollen." Einige
der bisher giltigen Strafprozeßordnungen erwähnten die Schriftvergleichung mit
keinem Worte, schlössen sie also mich nicht aus, sondern ermöglichten damit viel¬
mehr nur die Vornahme derselben durch das Gericht allein ohne Zuziehung
von Sachverständigen, denn letztere sind nach solchen Prozeßordnungen nur zu
vernehmen, wenn es der Begutachtung durch Sachverständige bedarf, während
der Richter bei Prüfung der Frage, ob ein Umstand für bewiesen zu halten ist
oder nicht, lediglich seiner innern Überzeugung zu folgen hat; glaubt er also
diese Überzeugung ohne Zuziehung von Sachverständigen erlangen zu können,
so kann er in einem Falle, wo dieselbe nicht ganz bestimmt vorgeschrieben ist,
nicht zu deren Zuziehung gezwungen werden. Hiergegen enthält also die Reichs¬
strafprozeßordnnng eine größere Sicherheit für die Gründlichkeit des Verfahrens,
weil nach ihren Bestimmungen die Schriftvergleichung ohne Zuziehung von Sach¬
verständigen garnicht vorgenommen werden kam:.

Der Standpunkt der Reichsstrafprozeßordnung dürfte aber auch der allein
richtige sein.

Ganz auf die Schriftvergleichung zu verzichten, ist unmöglich, wenn man
nicht eine ganze Reihe von Gesetzesübertretungen aus Mangel an Beweis für
straflos erklären will; was auch bei der weitesten Rücksicht für den Angeschul¬
digten niemand, dem es überhaupt mit Aufrechterhaltung der Rechtsordnung
im Staate Ernst ist, wollen wird, und was gleichzeitig der Theorie der mate¬
riellen Bcweisprüfung und der Urteilsfällung nach freier Überzeugung voll¬
ständig widersprechen würde, indem man dem Richter die Anwendung eines
Beweismittels als zu gefährlich untersagen würde.

Aber etwas andres ist die Anwendung von allen Vorsichtsmaßregeln, wie
sie ein Beweismittel so schwieriger Art verlangen kann, und zwar vor allem
bei der Auswahl der als der Vergleichung zu gründe zu legenden Schriftstücke
und bei der Auswahl der Sachverständigen.


Die Schriftvergleichung im Strafprozeß.

Beweismittels. Nur die Tagespresse verlangt bisweilen bei Besprechung einzelner
Nechtsfälle, in welchen die Schriftvergleichung unvorsichtig angewandt wurde,
alsbald deren gänzliche Beseitigung.

Auch alle neueren Strafprozeßordnungen haben die Schriftvergleichung als
etwas selbstverständliches angesehen und diese Materie deshalb kurz abgefertigt.
Die Reichsstrafprozeßordnnng erwähnt sie im Z 93, der dem § 84 des Ent-
Wurfs wörtlich entspricht, ebenfalls als ein zulässiges Beweismittel und verlangt
nur, daß sie „unter Zuziehung von Sachverständigel? vorgenommen werden"
soll; in der Begründung dazu heißt es ganz kurz: „Die 78—84 sind für
einige Fälle der Vernehmung von Sachverständigen, bez. der Einnahme des
Augenscheins besondre Bestimmungen, wie solche sich fast in allen deutschen
Gesetzgebungen finden, getroffen. Zum Teil sind dieselben weniger legislativer
als instruktioneller Natur, und sie könnten deshalb vielleicht entbehrt werden.
Der Entwurf hat indes geglaubt, sie nicht gänzlich übergehen zu sollen." Einige
der bisher giltigen Strafprozeßordnungen erwähnten die Schriftvergleichung mit
keinem Worte, schlössen sie also mich nicht aus, sondern ermöglichten damit viel¬
mehr nur die Vornahme derselben durch das Gericht allein ohne Zuziehung
von Sachverständigen, denn letztere sind nach solchen Prozeßordnungen nur zu
vernehmen, wenn es der Begutachtung durch Sachverständige bedarf, während
der Richter bei Prüfung der Frage, ob ein Umstand für bewiesen zu halten ist
oder nicht, lediglich seiner innern Überzeugung zu folgen hat; glaubt er also
diese Überzeugung ohne Zuziehung von Sachverständigen erlangen zu können,
so kann er in einem Falle, wo dieselbe nicht ganz bestimmt vorgeschrieben ist,
nicht zu deren Zuziehung gezwungen werden. Hiergegen enthält also die Reichs¬
strafprozeßordnnng eine größere Sicherheit für die Gründlichkeit des Verfahrens,
weil nach ihren Bestimmungen die Schriftvergleichung ohne Zuziehung von Sach¬
verständigen garnicht vorgenommen werden kam:.

Der Standpunkt der Reichsstrafprozeßordnung dürfte aber auch der allein
richtige sein.

Ganz auf die Schriftvergleichung zu verzichten, ist unmöglich, wenn man
nicht eine ganze Reihe von Gesetzesübertretungen aus Mangel an Beweis für
straflos erklären will; was auch bei der weitesten Rücksicht für den Angeschul¬
digten niemand, dem es überhaupt mit Aufrechterhaltung der Rechtsordnung
im Staate Ernst ist, wollen wird, und was gleichzeitig der Theorie der mate¬
riellen Bcweisprüfung und der Urteilsfällung nach freier Überzeugung voll¬
ständig widersprechen würde, indem man dem Richter die Anwendung eines
Beweismittels als zu gefährlich untersagen würde.

Aber etwas andres ist die Anwendung von allen Vorsichtsmaßregeln, wie
sie ein Beweismittel so schwieriger Art verlangen kann, und zwar vor allem
bei der Auswahl der als der Vergleichung zu gründe zu legenden Schriftstücke
und bei der Auswahl der Sachverständigen.


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[0076] Die Schriftvergleichung im Strafprozeß. Beweismittels. Nur die Tagespresse verlangt bisweilen bei Besprechung einzelner Nechtsfälle, in welchen die Schriftvergleichung unvorsichtig angewandt wurde, alsbald deren gänzliche Beseitigung. Auch alle neueren Strafprozeßordnungen haben die Schriftvergleichung als etwas selbstverständliches angesehen und diese Materie deshalb kurz abgefertigt. Die Reichsstrafprozeßordnnng erwähnt sie im Z 93, der dem § 84 des Ent- Wurfs wörtlich entspricht, ebenfalls als ein zulässiges Beweismittel und verlangt nur, daß sie „unter Zuziehung von Sachverständigel? vorgenommen werden" soll; in der Begründung dazu heißt es ganz kurz: „Die 78—84 sind für einige Fälle der Vernehmung von Sachverständigen, bez. der Einnahme des Augenscheins besondre Bestimmungen, wie solche sich fast in allen deutschen Gesetzgebungen finden, getroffen. Zum Teil sind dieselben weniger legislativer als instruktioneller Natur, und sie könnten deshalb vielleicht entbehrt werden. Der Entwurf hat indes geglaubt, sie nicht gänzlich übergehen zu sollen." Einige der bisher giltigen Strafprozeßordnungen erwähnten die Schriftvergleichung mit keinem Worte, schlössen sie also mich nicht aus, sondern ermöglichten damit viel¬ mehr nur die Vornahme derselben durch das Gericht allein ohne Zuziehung von Sachverständigen, denn letztere sind nach solchen Prozeßordnungen nur zu vernehmen, wenn es der Begutachtung durch Sachverständige bedarf, während der Richter bei Prüfung der Frage, ob ein Umstand für bewiesen zu halten ist oder nicht, lediglich seiner innern Überzeugung zu folgen hat; glaubt er also diese Überzeugung ohne Zuziehung von Sachverständigen erlangen zu können, so kann er in einem Falle, wo dieselbe nicht ganz bestimmt vorgeschrieben ist, nicht zu deren Zuziehung gezwungen werden. Hiergegen enthält also die Reichs¬ strafprozeßordnnng eine größere Sicherheit für die Gründlichkeit des Verfahrens, weil nach ihren Bestimmungen die Schriftvergleichung ohne Zuziehung von Sach¬ verständigen garnicht vorgenommen werden kam:. Der Standpunkt der Reichsstrafprozeßordnung dürfte aber auch der allein richtige sein. Ganz auf die Schriftvergleichung zu verzichten, ist unmöglich, wenn man nicht eine ganze Reihe von Gesetzesübertretungen aus Mangel an Beweis für straflos erklären will; was auch bei der weitesten Rücksicht für den Angeschul¬ digten niemand, dem es überhaupt mit Aufrechterhaltung der Rechtsordnung im Staate Ernst ist, wollen wird, und was gleichzeitig der Theorie der mate¬ riellen Bcweisprüfung und der Urteilsfällung nach freier Überzeugung voll¬ ständig widersprechen würde, indem man dem Richter die Anwendung eines Beweismittels als zu gefährlich untersagen würde. Aber etwas andres ist die Anwendung von allen Vorsichtsmaßregeln, wie sie ein Beweismittel so schwieriger Art verlangen kann, und zwar vor allem bei der Auswahl der als der Vergleichung zu gründe zu legenden Schriftstücke und bei der Auswahl der Sachverständigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/76>, abgerufen am 22.07.2024.