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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Afghanistan und die Afghanen.

Von dickem, hartem, ungeschwärztem Leder und war mit gezognen Vorderladern
bewaffnet, welche ein Pistonschloß und ein Bajonnet hatten; bei einigen hingen
am Gürtel Säbel oder lange Messer/'

Die Stärke seiner Armee gab schir Ali selbst auf 60000 Mann an, seine
Einkünfte hatten, wie er sagte, bis zum Ausbrüche des Krieges jährlich
zwanzig Millionen Rupien betragen. Zur Steuereinhebung hatte er das
Land in Kreise eingeteilt, von denen jeder einzelne einen Hakim zur Oberauf¬
sicht hatte. Die Steuern wurden weniger in Geld als in Naturalien, Getreide
und Vieh entrichtet. Auch dem Verkehre hatte der Emir seine Aufmerksamkeit
zugewendet. Auf seinen Befehl waren die Hauptstraßen verbessert worden, und
es existirte eine Postverbindung zwischen Kabul und den übrigen großen Städten
des Reiches. Die Post stand nicht bloß der Regierung, sondern auch Privat¬
leuten zur Verfügung. Die Briefe wurden dnrch Reiter und Voden zu Fuße be¬
sorgt, im Winter, soweit es die Wege über den Hindukusch betraf, nur durch Fu߬
gänger. Man hatte sogar Briefmarken eingeführt, die in Kabul gedruckt wurden,
und deren es vier Arten gab, eine zu einer ganzen, eine zu einer halben, eine
zu einer Viertel- und eine zu einer Zehntel-Rupie. Am Hofe gab es englische
Zeitungen, die sich schir Ali übersetzen ließ, und aus denen er über euro¬
päische Verhältnisse und Ereignisse nicht übel unterichtet war, wie er sich denn
über die Ursachen des deutsch-französischen Krieges gegen Jaworski recht ver¬
ständig äußerte.

Von besonders hohem Juteresse sind die Mitteilungen Jaworskis über die
Verhältnisse des nördlichen Teiles von Afghanistan, da sich der letzte Streit
zwischen dem Emir Abdnrrachman und England auf der einen und Rußland
anf der andern Seite um eine Strecke im Westen desselben drehte, und da
wahrscheinlich bald auch im Osten, weiter nach dem Anm-Darja hin, russische
Ansprüche Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten geben und schließlich Erfüllung
finden werden. Das Land, um das es sich hier handelt, wird auf der Karte durch
die Städte Maimene, Sarypnl, Beiles, Chnum und Kundus bezeichnet und bildet
eine besondre Provinz des Reiches Abdurrachmans, welche das Vilajet Tschaar
heißt, von den Russen aber " Afghanisch-Turkestan" genannt wird. Die Be¬
völkerung ist hier eine sehr gemischte, was beiläufig von ganz Zentralasien gilt.
Das Hauptelement derselben bilden die Usbeken in ihren verschiednen Stämmen,
und einige Bezirke, z. B. die Gegenden von Chnum, Andcho, Kuudus und
Schiberchan, die früher mehr oder minder unabhängige Chcmate waren, sind fast
ausschließlich von diesem Volke bewohnt, das als Überrest der großen Urtajns
anzusehen ist. In Kundns, Tahas-Kurgan und der Nachbarschaft dieser Orte
sitzt hauptsächlich der usbekische Stamm Kalagan, in Masari Scherif und Bates
begegnet man den Stämmen Saraj und Ming. Die Gesamtzahl der im
Vilajet Tschaar wohnenden Usbeken wird nach Jaworskis Angaben auf ungefähr
400 000 Köpfe geschätzt. Die Tadschiks, welche in alter Zeit die Mehrzahl


Grenzboten II. 1885,
Afghanistan und die Afghanen.

Von dickem, hartem, ungeschwärztem Leder und war mit gezognen Vorderladern
bewaffnet, welche ein Pistonschloß und ein Bajonnet hatten; bei einigen hingen
am Gürtel Säbel oder lange Messer/'

Die Stärke seiner Armee gab schir Ali selbst auf 60000 Mann an, seine
Einkünfte hatten, wie er sagte, bis zum Ausbrüche des Krieges jährlich
zwanzig Millionen Rupien betragen. Zur Steuereinhebung hatte er das
Land in Kreise eingeteilt, von denen jeder einzelne einen Hakim zur Oberauf¬
sicht hatte. Die Steuern wurden weniger in Geld als in Naturalien, Getreide
und Vieh entrichtet. Auch dem Verkehre hatte der Emir seine Aufmerksamkeit
zugewendet. Auf seinen Befehl waren die Hauptstraßen verbessert worden, und
es existirte eine Postverbindung zwischen Kabul und den übrigen großen Städten
des Reiches. Die Post stand nicht bloß der Regierung, sondern auch Privat¬
leuten zur Verfügung. Die Briefe wurden dnrch Reiter und Voden zu Fuße be¬
sorgt, im Winter, soweit es die Wege über den Hindukusch betraf, nur durch Fu߬
gänger. Man hatte sogar Briefmarken eingeführt, die in Kabul gedruckt wurden,
und deren es vier Arten gab, eine zu einer ganzen, eine zu einer halben, eine
zu einer Viertel- und eine zu einer Zehntel-Rupie. Am Hofe gab es englische
Zeitungen, die sich schir Ali übersetzen ließ, und aus denen er über euro¬
päische Verhältnisse und Ereignisse nicht übel unterichtet war, wie er sich denn
über die Ursachen des deutsch-französischen Krieges gegen Jaworski recht ver¬
ständig äußerte.

Von besonders hohem Juteresse sind die Mitteilungen Jaworskis über die
Verhältnisse des nördlichen Teiles von Afghanistan, da sich der letzte Streit
zwischen dem Emir Abdnrrachman und England auf der einen und Rußland
anf der andern Seite um eine Strecke im Westen desselben drehte, und da
wahrscheinlich bald auch im Osten, weiter nach dem Anm-Darja hin, russische
Ansprüche Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten geben und schließlich Erfüllung
finden werden. Das Land, um das es sich hier handelt, wird auf der Karte durch
die Städte Maimene, Sarypnl, Beiles, Chnum und Kundus bezeichnet und bildet
eine besondre Provinz des Reiches Abdurrachmans, welche das Vilajet Tschaar
heißt, von den Russen aber „ Afghanisch-Turkestan" genannt wird. Die Be¬
völkerung ist hier eine sehr gemischte, was beiläufig von ganz Zentralasien gilt.
Das Hauptelement derselben bilden die Usbeken in ihren verschiednen Stämmen,
und einige Bezirke, z. B. die Gegenden von Chnum, Andcho, Kuudus und
Schiberchan, die früher mehr oder minder unabhängige Chcmate waren, sind fast
ausschließlich von diesem Volke bewohnt, das als Überrest der großen Urtajns
anzusehen ist. In Kundns, Tahas-Kurgan und der Nachbarschaft dieser Orte
sitzt hauptsächlich der usbekische Stamm Kalagan, in Masari Scherif und Bates
begegnet man den Stämmen Saraj und Ming. Die Gesamtzahl der im
Vilajet Tschaar wohnenden Usbeken wird nach Jaworskis Angaben auf ungefähr
400 000 Köpfe geschätzt. Die Tadschiks, welche in alter Zeit die Mehrzahl


Grenzboten II. 1885,
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[0662] Afghanistan und die Afghanen. Von dickem, hartem, ungeschwärztem Leder und war mit gezognen Vorderladern bewaffnet, welche ein Pistonschloß und ein Bajonnet hatten; bei einigen hingen am Gürtel Säbel oder lange Messer/' Die Stärke seiner Armee gab schir Ali selbst auf 60000 Mann an, seine Einkünfte hatten, wie er sagte, bis zum Ausbrüche des Krieges jährlich zwanzig Millionen Rupien betragen. Zur Steuereinhebung hatte er das Land in Kreise eingeteilt, von denen jeder einzelne einen Hakim zur Oberauf¬ sicht hatte. Die Steuern wurden weniger in Geld als in Naturalien, Getreide und Vieh entrichtet. Auch dem Verkehre hatte der Emir seine Aufmerksamkeit zugewendet. Auf seinen Befehl waren die Hauptstraßen verbessert worden, und es existirte eine Postverbindung zwischen Kabul und den übrigen großen Städten des Reiches. Die Post stand nicht bloß der Regierung, sondern auch Privat¬ leuten zur Verfügung. Die Briefe wurden dnrch Reiter und Voden zu Fuße be¬ sorgt, im Winter, soweit es die Wege über den Hindukusch betraf, nur durch Fu߬ gänger. Man hatte sogar Briefmarken eingeführt, die in Kabul gedruckt wurden, und deren es vier Arten gab, eine zu einer ganzen, eine zu einer halben, eine zu einer Viertel- und eine zu einer Zehntel-Rupie. Am Hofe gab es englische Zeitungen, die sich schir Ali übersetzen ließ, und aus denen er über euro¬ päische Verhältnisse und Ereignisse nicht übel unterichtet war, wie er sich denn über die Ursachen des deutsch-französischen Krieges gegen Jaworski recht ver¬ ständig äußerte. Von besonders hohem Juteresse sind die Mitteilungen Jaworskis über die Verhältnisse des nördlichen Teiles von Afghanistan, da sich der letzte Streit zwischen dem Emir Abdnrrachman und England auf der einen und Rußland anf der andern Seite um eine Strecke im Westen desselben drehte, und da wahrscheinlich bald auch im Osten, weiter nach dem Anm-Darja hin, russische Ansprüche Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten geben und schließlich Erfüllung finden werden. Das Land, um das es sich hier handelt, wird auf der Karte durch die Städte Maimene, Sarypnl, Beiles, Chnum und Kundus bezeichnet und bildet eine besondre Provinz des Reiches Abdurrachmans, welche das Vilajet Tschaar heißt, von den Russen aber „ Afghanisch-Turkestan" genannt wird. Die Be¬ völkerung ist hier eine sehr gemischte, was beiläufig von ganz Zentralasien gilt. Das Hauptelement derselben bilden die Usbeken in ihren verschiednen Stämmen, und einige Bezirke, z. B. die Gegenden von Chnum, Andcho, Kuudus und Schiberchan, die früher mehr oder minder unabhängige Chcmate waren, sind fast ausschließlich von diesem Volke bewohnt, das als Überrest der großen Urtajns anzusehen ist. In Kundns, Tahas-Kurgan und der Nachbarschaft dieser Orte sitzt hauptsächlich der usbekische Stamm Kalagan, in Masari Scherif und Bates begegnet man den Stämmen Saraj und Ming. Die Gesamtzahl der im Vilajet Tschaar wohnenden Usbeken wird nach Jaworskis Angaben auf ungefähr 400 000 Köpfe geschätzt. Die Tadschiks, welche in alter Zeit die Mehrzahl Grenzboten II. 1885,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/662>, abgerufen am 22.07.2024.