Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Die Anarchisten in Bern, Diejenigen, welche des Betreffenden sozialistisch angewehte Gesinnung kannten, Als Hauptvertreterin dieser Ansicht tritt die "Neue Züricher Zei¬ Von einem schweizerischen Bundesratsmitgliede ist inzwischen in öffentlichen Die Anarchisten in Bern, Diejenigen, welche des Betreffenden sozialistisch angewehte Gesinnung kannten, Als Hauptvertreterin dieser Ansicht tritt die „Neue Züricher Zei¬ Von einem schweizerischen Bundesratsmitgliede ist inzwischen in öffentlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195452"/> <fw type="header" place="top"> Die Anarchisten in Bern,</fw><lb/> <p xml:id="ID_231" prev="#ID_230"> Diejenigen, welche des Betreffenden sozialistisch angewehte Gesinnung kannten,<lb/> schüttelte im Stillen den Kopf. Heute vernimmt man nun doch mit einer ge¬<lb/> wissen Überraschung, daß von den in Bern zahlreich Verhafteten auch der letzte<lb/> in Frieden entlasten worden sei. Und gleichzeitig erscheint in den Müttern die<lb/> Kunde, das ganze Attentatsgerücht sei gewiß den llMnt« xrovooicksurL zuzu¬<lb/> schreiben; leider aber habe man dieses »Gesinde!« nicht erwischt." Das Blatt<lb/> macht dann noch auf den mit einer Reihe von Attentaten in Verbindung ge¬<lb/> brachten Anarchisten Neve, einen Freund des berüchtigten Most, aufmerksam,<lb/> den man in der Schweiz ruhig laufen läßt, während in England schon im<lb/> Jahre 1882 2Ü00 Franks auf seinen Kopf gesetzt worden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_232"> Als Hauptvertreterin dieser Ansicht tritt die „Neue Züricher Zei¬<lb/> tung" auf, welche, nachdem sie kurze Zeit die Anarchistengefahr im rechten<lb/> Lichte gesehen hatte, nunmehr sich von ihrem Schrecken wieder erholt hat und<lb/> ihr altes Lied von der schweizerischen Asylfreiheit zu singen beginnt. Sie kann<lb/> es nicht glauben, daß die Anarchisten, die bisher in der Schweiz „so ruhig<lb/> lebten," das Attentat auf den Berner Bundespalast gemacht haben. Sie hält<lb/> es vielmehr für wahrscheinlich, daß von außen ein Vorstoß gegen den schweize¬<lb/> rischen Bundesrat inszenirt, daß von fremden besoldeten »gottl» xrovovÄtsurs<lb/> jener Plan der Sprengung des Bundespalastes angezettelt und zu richtiger<lb/> Stunde der Behörde zugesteckt worden sei. Damit man nicht lange im Zweifel<lb/> sei, wer den Vorstoß von außen gemacht hat, so fügt das Blatt hinzu, es sei<lb/> „offenes Geheimnis, daß Deutschland Unsummen ausgebe, um in der Schweiz<lb/> Ässsnts Provokateur« zu besolden."</p><lb/> <p xml:id="ID_233" next="#ID_234"> Von einem schweizerischen Bundesratsmitgliede ist inzwischen in öffentlichen<lb/> Blättern bekannt gemacht worden, daß dem Bundesrate auch nicht der mindeste<lb/> Anhaltepunkt für die Nichtigkeit dieser Behauptung bekannt sei, und für jeden<lb/> auch nur einigermaßen denkenden Menschen sollte es keiner besondern Ver¬<lb/> sicherung bedürfen, daß an der ganzen Erfindung kein wahres Wort ist. Die<lb/> Demokraten- und Judenpresse Deutschlands aber müßte nicht sein, was sie ist,<lb/> wenn sie nicht mit Freuden eine Verdächtigung aufnähme und, soweit es in<lb/> ihren Kräfte» steht, verbreitete, von welcher sie hoffen kann, sie zur Unterwühlung des<lb/> Vertrauens zur Reichsregierung und zur Schürung des Hasses und der Unzufrieden¬<lb/> heit benutzen zu können. Unter der Überschrift „Schwindel über Schwindel" bringt<lb/> ein Berliner Blatt dieser Gattung einen Leitartikel aus Zürich, welcher die ganze<lb/> Berner Sache als eine frivole Anzettelung einer auswärtigen Regierung dar¬<lb/> stellt, worunter deutlich die deutsche zu verstehen gegeben wird, welche nur die<lb/> Anarchisten kompromittiren und ihnen Fallen legen wolle, während diese selbst<lb/> als die harmlosesten Menschen, als die unschuldigen Opfer der Böswilligkeit<lb/> und Heimtücke der Regierungen hingestellt werden. „Schade, heißt es dann<lb/> weiter, daß Herr Stieber die anarchistische Bewegung nicht mehr erlebt hat.<lb/> Seine Nachtreter sind doch nur arge Stümper. Haben sie da den ganzen, so</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Die Anarchisten in Bern,
Diejenigen, welche des Betreffenden sozialistisch angewehte Gesinnung kannten,
schüttelte im Stillen den Kopf. Heute vernimmt man nun doch mit einer ge¬
wissen Überraschung, daß von den in Bern zahlreich Verhafteten auch der letzte
in Frieden entlasten worden sei. Und gleichzeitig erscheint in den Müttern die
Kunde, das ganze Attentatsgerücht sei gewiß den llMnt« xrovooicksurL zuzu¬
schreiben; leider aber habe man dieses »Gesinde!« nicht erwischt." Das Blatt
macht dann noch auf den mit einer Reihe von Attentaten in Verbindung ge¬
brachten Anarchisten Neve, einen Freund des berüchtigten Most, aufmerksam,
den man in der Schweiz ruhig laufen läßt, während in England schon im
Jahre 1882 2Ü00 Franks auf seinen Kopf gesetzt worden sind.
Als Hauptvertreterin dieser Ansicht tritt die „Neue Züricher Zei¬
tung" auf, welche, nachdem sie kurze Zeit die Anarchistengefahr im rechten
Lichte gesehen hatte, nunmehr sich von ihrem Schrecken wieder erholt hat und
ihr altes Lied von der schweizerischen Asylfreiheit zu singen beginnt. Sie kann
es nicht glauben, daß die Anarchisten, die bisher in der Schweiz „so ruhig
lebten," das Attentat auf den Berner Bundespalast gemacht haben. Sie hält
es vielmehr für wahrscheinlich, daß von außen ein Vorstoß gegen den schweize¬
rischen Bundesrat inszenirt, daß von fremden besoldeten »gottl» xrovovÄtsurs
jener Plan der Sprengung des Bundespalastes angezettelt und zu richtiger
Stunde der Behörde zugesteckt worden sei. Damit man nicht lange im Zweifel
sei, wer den Vorstoß von außen gemacht hat, so fügt das Blatt hinzu, es sei
„offenes Geheimnis, daß Deutschland Unsummen ausgebe, um in der Schweiz
Ässsnts Provokateur« zu besolden."
Von einem schweizerischen Bundesratsmitgliede ist inzwischen in öffentlichen
Blättern bekannt gemacht worden, daß dem Bundesrate auch nicht der mindeste
Anhaltepunkt für die Nichtigkeit dieser Behauptung bekannt sei, und für jeden
auch nur einigermaßen denkenden Menschen sollte es keiner besondern Ver¬
sicherung bedürfen, daß an der ganzen Erfindung kein wahres Wort ist. Die
Demokraten- und Judenpresse Deutschlands aber müßte nicht sein, was sie ist,
wenn sie nicht mit Freuden eine Verdächtigung aufnähme und, soweit es in
ihren Kräfte» steht, verbreitete, von welcher sie hoffen kann, sie zur Unterwühlung des
Vertrauens zur Reichsregierung und zur Schürung des Hasses und der Unzufrieden¬
heit benutzen zu können. Unter der Überschrift „Schwindel über Schwindel" bringt
ein Berliner Blatt dieser Gattung einen Leitartikel aus Zürich, welcher die ganze
Berner Sache als eine frivole Anzettelung einer auswärtigen Regierung dar¬
stellt, worunter deutlich die deutsche zu verstehen gegeben wird, welche nur die
Anarchisten kompromittiren und ihnen Fallen legen wolle, während diese selbst
als die harmlosesten Menschen, als die unschuldigen Opfer der Böswilligkeit
und Heimtücke der Regierungen hingestellt werden. „Schade, heißt es dann
weiter, daß Herr Stieber die anarchistische Bewegung nicht mehr erlebt hat.
Seine Nachtreter sind doch nur arge Stümper. Haben sie da den ganzen, so
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