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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das sächsische Sibirien.

über die großartige Natur desselben, über die schroff nach Süden zu abfallenden
und daher entzückende Blicke in das Böhmerland gestaltenden Gneismassen, die
mit weit ausgedehnten prächtigen Forsten bedeckt sind, über die bisweilen in
ganz grotesken Formen auftretenden kleinern Graniterhebungen und die nicht
minder wunderlich gestalteten Basaltberge; er wird sich freuen an dem schmucken
Aussehen der Bergstädte, die, zum großen Teile selbst auf mäßigen Erhebungen
angelegt, meist von höhern Bergen auf verschiednen Seiten überragt werden.
Und wenn er den sich sanft abdachenden Nordabhang besucht und den Thälern
der zahlreichen Flüsse und Bäche folgt, wird er überrascht sein von dem an¬
mutigen Wechsel von romantischen Felspartien, durch welche das frische Gebirgs-
wasser sich rauschend drängt, während von der Höhe Burgen und Schlösser
teils wohlerhalten, teils in Trümmern herabschauen, überrascht von lieblichen
Thalerweiterungen mit Feldern und Wiesen und gewerbfleißigen Ortschaften.
Und was das Klima betrifft, so schrieb schon 1874 ein Freund des Erzgebirges,
Otto Delitsch, in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Aus allen Welt¬
teilen" (S, Jahrgang), das Erzgebirge mit feiner massiveren Erhebung, seiner
durchschnittlich größern Höhe über dem Meere, seinen ausgedehnteren Fichten-
nnd Tannenwäldern sei ein gesünderer, frischerer Aufenthalt als die so vielbe¬
suchten Gebirge Harz und Thüringerwald. Die Ursache dafür, daß bis dahin
das Erzgebirge noch so selten das Ziel Erholungsuchender gewesen war, er¬
blickte Delitsch in zwei Umständen, in der Form des Gebirges, derzufolge die
Schönheiten der Gebirgsnatur über eine größere Landschaft zerstreut sind und
namentlich dem von Norden kommenden nicht so ohne weiteres entgegentreten,
und sodann in den Verkehrswegen. Was den letztern Punkt betrifft, so hat
sich da seit 1874 manches geändert, zahlreiche Bahnen führen jetzt nach dem
Kamin des Gebirges und auf seinem Abhang entlang, drei überschreiten das¬
selbe bereits, die Weiterführung einer vierten Linie wird geplant.

Aber es liegt nicht in unsrer Absicht, hier auf die landschaftlichen und
klimatischen Vorzüge des Erzgebirges näher einzugehen, ebenso wie wir es andern
überlassen müssen, seinen industriellen Aufschwung vorzuführen. Vielmehr soll
im folgenden auf eine bemerkenswerte Bewegung unter der erzgebirgischen Be¬
völkerung hingewiesen werden, welche in ihren Anfängen zwar schon auf die
Mitte unsers Jahrhunderts zurückgeht, aber erst in dem letzten Jahrzehnt be¬
stimmtere Gestalt angenommen und bereits sehr erfreuliche Früchte gezeitigt hat.
Wir möchten sie als hervorgerufen bezeichnen durch das Aufleben des Selbst¬
bewußtseins bei deu Bewohnern, infolge dessen sie die Vorzüge des ererbten
Landes erkennen und schätzen, für seine Vorzeit Interesse gewinnen und aus die
eignen Fähigkeiten mehr als früher achten.

Bereits Ende der fünfziger Jahre mögen sich an verschiednen Orten des
Gebirges kleine Vereine gebildet haben, welche der Geschichte der engern Hei¬
mat ihr Interesse zuwendeten. An die Öffentlichkeit ist von ihrer Thätigkeit


Das sächsische Sibirien.

über die großartige Natur desselben, über die schroff nach Süden zu abfallenden
und daher entzückende Blicke in das Böhmerland gestaltenden Gneismassen, die
mit weit ausgedehnten prächtigen Forsten bedeckt sind, über die bisweilen in
ganz grotesken Formen auftretenden kleinern Graniterhebungen und die nicht
minder wunderlich gestalteten Basaltberge; er wird sich freuen an dem schmucken
Aussehen der Bergstädte, die, zum großen Teile selbst auf mäßigen Erhebungen
angelegt, meist von höhern Bergen auf verschiednen Seiten überragt werden.
Und wenn er den sich sanft abdachenden Nordabhang besucht und den Thälern
der zahlreichen Flüsse und Bäche folgt, wird er überrascht sein von dem an¬
mutigen Wechsel von romantischen Felspartien, durch welche das frische Gebirgs-
wasser sich rauschend drängt, während von der Höhe Burgen und Schlösser
teils wohlerhalten, teils in Trümmern herabschauen, überrascht von lieblichen
Thalerweiterungen mit Feldern und Wiesen und gewerbfleißigen Ortschaften.
Und was das Klima betrifft, so schrieb schon 1874 ein Freund des Erzgebirges,
Otto Delitsch, in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Aus allen Welt¬
teilen" (S, Jahrgang), das Erzgebirge mit feiner massiveren Erhebung, seiner
durchschnittlich größern Höhe über dem Meere, seinen ausgedehnteren Fichten-
nnd Tannenwäldern sei ein gesünderer, frischerer Aufenthalt als die so vielbe¬
suchten Gebirge Harz und Thüringerwald. Die Ursache dafür, daß bis dahin
das Erzgebirge noch so selten das Ziel Erholungsuchender gewesen war, er¬
blickte Delitsch in zwei Umständen, in der Form des Gebirges, derzufolge die
Schönheiten der Gebirgsnatur über eine größere Landschaft zerstreut sind und
namentlich dem von Norden kommenden nicht so ohne weiteres entgegentreten,
und sodann in den Verkehrswegen. Was den letztern Punkt betrifft, so hat
sich da seit 1874 manches geändert, zahlreiche Bahnen führen jetzt nach dem
Kamin des Gebirges und auf seinem Abhang entlang, drei überschreiten das¬
selbe bereits, die Weiterführung einer vierten Linie wird geplant.

Aber es liegt nicht in unsrer Absicht, hier auf die landschaftlichen und
klimatischen Vorzüge des Erzgebirges näher einzugehen, ebenso wie wir es andern
überlassen müssen, seinen industriellen Aufschwung vorzuführen. Vielmehr soll
im folgenden auf eine bemerkenswerte Bewegung unter der erzgebirgischen Be¬
völkerung hingewiesen werden, welche in ihren Anfängen zwar schon auf die
Mitte unsers Jahrhunderts zurückgeht, aber erst in dem letzten Jahrzehnt be¬
stimmtere Gestalt angenommen und bereits sehr erfreuliche Früchte gezeitigt hat.
Wir möchten sie als hervorgerufen bezeichnen durch das Aufleben des Selbst¬
bewußtseins bei deu Bewohnern, infolge dessen sie die Vorzüge des ererbten
Landes erkennen und schätzen, für seine Vorzeit Interesse gewinnen und aus die
eignen Fähigkeiten mehr als früher achten.

Bereits Ende der fünfziger Jahre mögen sich an verschiednen Orten des
Gebirges kleine Vereine gebildet haben, welche der Geschichte der engern Hei¬
mat ihr Interesse zuwendeten. An die Öffentlichkeit ist von ihrer Thätigkeit


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[0613] Das sächsische Sibirien. über die großartige Natur desselben, über die schroff nach Süden zu abfallenden und daher entzückende Blicke in das Böhmerland gestaltenden Gneismassen, die mit weit ausgedehnten prächtigen Forsten bedeckt sind, über die bisweilen in ganz grotesken Formen auftretenden kleinern Graniterhebungen und die nicht minder wunderlich gestalteten Basaltberge; er wird sich freuen an dem schmucken Aussehen der Bergstädte, die, zum großen Teile selbst auf mäßigen Erhebungen angelegt, meist von höhern Bergen auf verschiednen Seiten überragt werden. Und wenn er den sich sanft abdachenden Nordabhang besucht und den Thälern der zahlreichen Flüsse und Bäche folgt, wird er überrascht sein von dem an¬ mutigen Wechsel von romantischen Felspartien, durch welche das frische Gebirgs- wasser sich rauschend drängt, während von der Höhe Burgen und Schlösser teils wohlerhalten, teils in Trümmern herabschauen, überrascht von lieblichen Thalerweiterungen mit Feldern und Wiesen und gewerbfleißigen Ortschaften. Und was das Klima betrifft, so schrieb schon 1874 ein Freund des Erzgebirges, Otto Delitsch, in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Aus allen Welt¬ teilen" (S, Jahrgang), das Erzgebirge mit feiner massiveren Erhebung, seiner durchschnittlich größern Höhe über dem Meere, seinen ausgedehnteren Fichten- nnd Tannenwäldern sei ein gesünderer, frischerer Aufenthalt als die so vielbe¬ suchten Gebirge Harz und Thüringerwald. Die Ursache dafür, daß bis dahin das Erzgebirge noch so selten das Ziel Erholungsuchender gewesen war, er¬ blickte Delitsch in zwei Umständen, in der Form des Gebirges, derzufolge die Schönheiten der Gebirgsnatur über eine größere Landschaft zerstreut sind und namentlich dem von Norden kommenden nicht so ohne weiteres entgegentreten, und sodann in den Verkehrswegen. Was den letztern Punkt betrifft, so hat sich da seit 1874 manches geändert, zahlreiche Bahnen führen jetzt nach dem Kamin des Gebirges und auf seinem Abhang entlang, drei überschreiten das¬ selbe bereits, die Weiterführung einer vierten Linie wird geplant. Aber es liegt nicht in unsrer Absicht, hier auf die landschaftlichen und klimatischen Vorzüge des Erzgebirges näher einzugehen, ebenso wie wir es andern überlassen müssen, seinen industriellen Aufschwung vorzuführen. Vielmehr soll im folgenden auf eine bemerkenswerte Bewegung unter der erzgebirgischen Be¬ völkerung hingewiesen werden, welche in ihren Anfängen zwar schon auf die Mitte unsers Jahrhunderts zurückgeht, aber erst in dem letzten Jahrzehnt be¬ stimmtere Gestalt angenommen und bereits sehr erfreuliche Früchte gezeitigt hat. Wir möchten sie als hervorgerufen bezeichnen durch das Aufleben des Selbst¬ bewußtseins bei deu Bewohnern, infolge dessen sie die Vorzüge des ererbten Landes erkennen und schätzen, für seine Vorzeit Interesse gewinnen und aus die eignen Fähigkeiten mehr als früher achten. Bereits Ende der fünfziger Jahre mögen sich an verschiednen Orten des Gebirges kleine Vereine gebildet haben, welche der Geschichte der engern Hei¬ mat ihr Interesse zuwendeten. An die Öffentlichkeit ist von ihrer Thätigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/613>, abgerufen am 22.07.2024.