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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

ihrer Heimkehr aufs Krankenlager geworfen, und sie schwebte bald darauf zwischen
Leben und Sterben.

Ohne Beppos Vermittlung wäre von diesen Vorgängen, die für jetzt auch
alle politischen Wagnisse zur Ruhe verwiesen, nichts zu erkundschaften gewesen,
denn Giuseppe Gonzagas Aufenthalt in Mantua mußte auch seineu Vettern
verborgen bleiben, und er konnte solcherart fast nur nachts sein Versteck in
der Herberge zum Faetone verlassen. Es war die schwerste Geduldprvbe, auf
die er je gestellt worden sein mochte.

Beppo, welcher schon seinem Kardinal zu Zeiten als Vorleser gedient hatte,
erbot sich seinem, den mißmutigsten Grübeleien verfallenden Herren die Grillen
mit der nämlichen Lektüre zu vertreiben, über welcher, wie er versicherte, seine
Eminenz ihre quälendsten Gichtanfälle vergessen hatte, und da Giuseppe, nach
der Art vieler damaligen jungen Edelleute, sich der Mühe eignen Lesens nicht
zu unterziehen gewohnt war, so lies; er es geschehen, daß Beppo in der Stille
allerlei Bücher zusammentrug und ihm halbe Tage lang daraus vorlas. Are-
tino und Boccaccio hätte Beppo am liebsten gegen die düstern Gedanken seines
Herrn ins Feld geführt; diese Autoren stimmten jedoch zu wenig mit der ehr¬
baren Lebensweise überein, deren sich Beppo befleißigen wollte, und so wurde
denn bald Bernardo Tassos Floridcmte vorgenommen, bald Alcuncmnis Girone,
ohne daß freilich Giuseppe dadurch von seiner tiefen Verdüsterung geheilt wurde,
höchstens machten die ritterlichen Thaten, von denen diese Dichter zu erzählen
wußten, ihm seine Unthätigkeit noch drückender.

Ich ertrage es nicht länger, rief er täglich bei jedem Anlasse aus; dies
Mantua erdrückt mich. Und daß mein böser Stern mich wieder an dich ketten
mußte! An einen Narren ohne Herz und Hirn! Wo in aller Welt ist der
Helfershelfer Antonio Maria, auf deu du mich vertröstet hast? Ich werde
endlich dahin kommen, meinen Vetter Francesco auf offner Straße anzufallen.

Und Beppo, der seinen Herrn nicht für unfähig hielt, einen solchen Vcr-
zweiflungsschritt zu thun, hatte täglich mit neuen Gründen gemahnt, nur noch
eine kurze Weile geduldig zu sein; auch die Helden Bernardo Tassos und Ala-
mcmnis hätten sich ja schlauen Überlistens des Gegners befleißigt. Zuletzt gab
er sich wirklich ernstlich Mühe, jenes Helfershelfers habhaft zu werden, zunächst
indem er den Vorwand benutzte, um für seinen, von dem vielen Vorlesen schier
ausgedörrten Hals irgendwo diejenige Weinsorte ausfindig zu machen, welche
sich als das beste Heilmittel dagegen erweisen würde, bei welchen abendlichen
Rundreisen durch die verschiedenen Osterien Mcmtuas er mit Freuden wahrnahm,
daß ein maßvoll bedächtiger Trunk den Menschen weit besser bei guter Laune
erhalte, als das Herabgurgeln ungezählter Humpen der edeln Gottesgabe.

(Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Um eine Perle.

ihrer Heimkehr aufs Krankenlager geworfen, und sie schwebte bald darauf zwischen
Leben und Sterben.

Ohne Beppos Vermittlung wäre von diesen Vorgängen, die für jetzt auch
alle politischen Wagnisse zur Ruhe verwiesen, nichts zu erkundschaften gewesen,
denn Giuseppe Gonzagas Aufenthalt in Mantua mußte auch seineu Vettern
verborgen bleiben, und er konnte solcherart fast nur nachts sein Versteck in
der Herberge zum Faetone verlassen. Es war die schwerste Geduldprvbe, auf
die er je gestellt worden sein mochte.

Beppo, welcher schon seinem Kardinal zu Zeiten als Vorleser gedient hatte,
erbot sich seinem, den mißmutigsten Grübeleien verfallenden Herren die Grillen
mit der nämlichen Lektüre zu vertreiben, über welcher, wie er versicherte, seine
Eminenz ihre quälendsten Gichtanfälle vergessen hatte, und da Giuseppe, nach
der Art vieler damaligen jungen Edelleute, sich der Mühe eignen Lesens nicht
zu unterziehen gewohnt war, so lies; er es geschehen, daß Beppo in der Stille
allerlei Bücher zusammentrug und ihm halbe Tage lang daraus vorlas. Are-
tino und Boccaccio hätte Beppo am liebsten gegen die düstern Gedanken seines
Herrn ins Feld geführt; diese Autoren stimmten jedoch zu wenig mit der ehr¬
baren Lebensweise überein, deren sich Beppo befleißigen wollte, und so wurde
denn bald Bernardo Tassos Floridcmte vorgenommen, bald Alcuncmnis Girone,
ohne daß freilich Giuseppe dadurch von seiner tiefen Verdüsterung geheilt wurde,
höchstens machten die ritterlichen Thaten, von denen diese Dichter zu erzählen
wußten, ihm seine Unthätigkeit noch drückender.

Ich ertrage es nicht länger, rief er täglich bei jedem Anlasse aus; dies
Mantua erdrückt mich. Und daß mein böser Stern mich wieder an dich ketten
mußte! An einen Narren ohne Herz und Hirn! Wo in aller Welt ist der
Helfershelfer Antonio Maria, auf deu du mich vertröstet hast? Ich werde
endlich dahin kommen, meinen Vetter Francesco auf offner Straße anzufallen.

Und Beppo, der seinen Herrn nicht für unfähig hielt, einen solchen Vcr-
zweiflungsschritt zu thun, hatte täglich mit neuen Gründen gemahnt, nur noch
eine kurze Weile geduldig zu sein; auch die Helden Bernardo Tassos und Ala-
mcmnis hätten sich ja schlauen Überlistens des Gegners befleißigt. Zuletzt gab
er sich wirklich ernstlich Mühe, jenes Helfershelfers habhaft zu werden, zunächst
indem er den Vorwand benutzte, um für seinen, von dem vielen Vorlesen schier
ausgedörrten Hals irgendwo diejenige Weinsorte ausfindig zu machen, welche
sich als das beste Heilmittel dagegen erweisen würde, bei welchen abendlichen
Rundreisen durch die verschiedenen Osterien Mcmtuas er mit Freuden wahrnahm,
daß ein maßvoll bedächtiger Trunk den Menschen weit besser bei guter Laune
erhalte, als das Herabgurgeln ungezählter Humpen der edeln Gottesgabe.

(Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0061] Um eine Perle. ihrer Heimkehr aufs Krankenlager geworfen, und sie schwebte bald darauf zwischen Leben und Sterben. Ohne Beppos Vermittlung wäre von diesen Vorgängen, die für jetzt auch alle politischen Wagnisse zur Ruhe verwiesen, nichts zu erkundschaften gewesen, denn Giuseppe Gonzagas Aufenthalt in Mantua mußte auch seineu Vettern verborgen bleiben, und er konnte solcherart fast nur nachts sein Versteck in der Herberge zum Faetone verlassen. Es war die schwerste Geduldprvbe, auf die er je gestellt worden sein mochte. Beppo, welcher schon seinem Kardinal zu Zeiten als Vorleser gedient hatte, erbot sich seinem, den mißmutigsten Grübeleien verfallenden Herren die Grillen mit der nämlichen Lektüre zu vertreiben, über welcher, wie er versicherte, seine Eminenz ihre quälendsten Gichtanfälle vergessen hatte, und da Giuseppe, nach der Art vieler damaligen jungen Edelleute, sich der Mühe eignen Lesens nicht zu unterziehen gewohnt war, so lies; er es geschehen, daß Beppo in der Stille allerlei Bücher zusammentrug und ihm halbe Tage lang daraus vorlas. Are- tino und Boccaccio hätte Beppo am liebsten gegen die düstern Gedanken seines Herrn ins Feld geführt; diese Autoren stimmten jedoch zu wenig mit der ehr¬ baren Lebensweise überein, deren sich Beppo befleißigen wollte, und so wurde denn bald Bernardo Tassos Floridcmte vorgenommen, bald Alcuncmnis Girone, ohne daß freilich Giuseppe dadurch von seiner tiefen Verdüsterung geheilt wurde, höchstens machten die ritterlichen Thaten, von denen diese Dichter zu erzählen wußten, ihm seine Unthätigkeit noch drückender. Ich ertrage es nicht länger, rief er täglich bei jedem Anlasse aus; dies Mantua erdrückt mich. Und daß mein böser Stern mich wieder an dich ketten mußte! An einen Narren ohne Herz und Hirn! Wo in aller Welt ist der Helfershelfer Antonio Maria, auf deu du mich vertröstet hast? Ich werde endlich dahin kommen, meinen Vetter Francesco auf offner Straße anzufallen. Und Beppo, der seinen Herrn nicht für unfähig hielt, einen solchen Vcr- zweiflungsschritt zu thun, hatte täglich mit neuen Gründen gemahnt, nur noch eine kurze Weile geduldig zu sein; auch die Helden Bernardo Tassos und Ala- mcmnis hätten sich ja schlauen Überlistens des Gegners befleißigt. Zuletzt gab er sich wirklich ernstlich Mühe, jenes Helfershelfers habhaft zu werden, zunächst indem er den Vorwand benutzte, um für seinen, von dem vielen Vorlesen schier ausgedörrten Hals irgendwo diejenige Weinsorte ausfindig zu machen, welche sich als das beste Heilmittel dagegen erweisen würde, bei welchen abendlichen Rundreisen durch die verschiedenen Osterien Mcmtuas er mit Freuden wahrnahm, daß ein maßvoll bedächtiger Trunk den Menschen weit besser bei guter Laune erhalte, als das Herabgurgeln ungezählter Humpen der edeln Gottesgabe. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/61>, abgerufen am 07.01.2025.