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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Afghanistan und die Afghanen,

mit Nutzen lesen, was er über die Pässe sagt, die zwischen Samarkand und
Kabul Wer den Hindukusch und seine Nebenketten führen.

Afghanistan ist ein nach Westen und Norden sich heulendes Hochland,
zwischen dem obern Nun-Darja und dem obern Indus, das im Nordosten
von der Hauptkette des Hindukusch und weiter westlich vom Paropamisus durch¬
zogen wird. Im Südosten bildet der Gebirgszug des Svlimankuh, im Westen
die Wüste von Chorassan seine natürliche Grenze, Die Nachbarländer sind im
Norden Russisch-Turkestan und das Chanat Buchara, im Osten Britisch-Jndien,
im Süden Beludschistan, im Westen Persien. Die Gipfel des Hindukusch und
des Svlimankuh erheben sich weit über die Schneegrenze, der Paropamisus ist
niedriger, aber großenteils ebenfalls unwegsam. Von den zahlreichen Flüssen
des Landes ist nur der Kabul, der sich in den Indus ergießt, schiffbar. Der
Helmand und der Herirud sowie der Margab dienen nur zur Bewässerung des
von ihnen durchströmten Gebietes. In den Bergen herrscht im Winter strenge
Kälte, in den Ebnen sind die Sommer sehr heiß. Häufig wüten furchtbare
Stürme, Regen fällt selten. Die Berge sind meist wenig bewaldet, die Thäler
und Niederungen, wo sie bebaut sind, meist fruchtbar, doch ist die üppige
Vegetation, der man hier begegnet, abgesehen von den schönen Grastcppichen
an den Gewässern des Gebirges, sast ausnahmslos von der Hand des Menschen
gepflanzt und gepflegt, und in einer Höhe von 7000 Fuß finden sich nur noch
Gramineen. Bäume giebt es hier nur sehr wenige. Im Banianer Thale z. B.,
das die russische Gesandtschaft auf ihrer Reise vom Ann-Darja uach Kabul
durchzog, sah Jaworski nur einzelne Pappeln, wilde Äpfclbnume und Silber¬
weiden, Dagegen gedieh die Gerste noch in einer Höhe von 11000 Fuß.
Dieses Thal ist allenthalben mit Getreidefeldern bedeckt, und man baut vor¬
züglich Weizen, Gerste, Scham, Tabak, Bohnen, Erbsen und Hafer; der letztere
kommt sonst in Afghanistan ebensowenig vor, wie in den benachbarten Gebieten
Bucharas und Russisch-Turkestans. Im Thale Kagmard sahen die Reisenden
eine Strecke von zehn Werst mit Reis besät, der wohlbcwässcrt war und
prächtig stand, und neben dem sich Felder mit Luzerne zeigten. Am Ufer des
dortigen Flusses wuchs die wilde Dattel (Dschida) neben Weiden und niedrigen
Pappeln. Im Thal Mater zogen sich vier Werst lang Gärten in ununter¬
brochener Reihenfolge hin, in welchen Pfirsiche, Aprikosen, Maulbeeren, Wall¬
nüsse und Trauben reiften. Ähnliches berichtet Jaworski von andern Kesseln
und Thälern, durch die ihn sein Weg führte, und wo ans den Feldern auch
Mais und Hirse, in den Gärten auch Kirschen gebant wurden. In der Ortschaft
Hnrem sah er Weinreben von einem Fuß Umfang. An einigen Stellen war der
dortige Bach von Neben und Flachsseide überwölbt, lebendigen Brücken, an
denen Massen von Trauben hingen. Hin und wieder breiteten riesige Tschinaren
und Karcigatschen (letztere sind minenartige Bäume) ihr Laubdach aus. Natürliche
Wälder aber bekam man weder in den Bergen noch in den Thälern zu Gesicht.


Afghanistan und die Afghanen,

mit Nutzen lesen, was er über die Pässe sagt, die zwischen Samarkand und
Kabul Wer den Hindukusch und seine Nebenketten führen.

Afghanistan ist ein nach Westen und Norden sich heulendes Hochland,
zwischen dem obern Nun-Darja und dem obern Indus, das im Nordosten
von der Hauptkette des Hindukusch und weiter westlich vom Paropamisus durch¬
zogen wird. Im Südosten bildet der Gebirgszug des Svlimankuh, im Westen
die Wüste von Chorassan seine natürliche Grenze, Die Nachbarländer sind im
Norden Russisch-Turkestan und das Chanat Buchara, im Osten Britisch-Jndien,
im Süden Beludschistan, im Westen Persien. Die Gipfel des Hindukusch und
des Svlimankuh erheben sich weit über die Schneegrenze, der Paropamisus ist
niedriger, aber großenteils ebenfalls unwegsam. Von den zahlreichen Flüssen
des Landes ist nur der Kabul, der sich in den Indus ergießt, schiffbar. Der
Helmand und der Herirud sowie der Margab dienen nur zur Bewässerung des
von ihnen durchströmten Gebietes. In den Bergen herrscht im Winter strenge
Kälte, in den Ebnen sind die Sommer sehr heiß. Häufig wüten furchtbare
Stürme, Regen fällt selten. Die Berge sind meist wenig bewaldet, die Thäler
und Niederungen, wo sie bebaut sind, meist fruchtbar, doch ist die üppige
Vegetation, der man hier begegnet, abgesehen von den schönen Grastcppichen
an den Gewässern des Gebirges, sast ausnahmslos von der Hand des Menschen
gepflanzt und gepflegt, und in einer Höhe von 7000 Fuß finden sich nur noch
Gramineen. Bäume giebt es hier nur sehr wenige. Im Banianer Thale z. B.,
das die russische Gesandtschaft auf ihrer Reise vom Ann-Darja uach Kabul
durchzog, sah Jaworski nur einzelne Pappeln, wilde Äpfclbnume und Silber¬
weiden, Dagegen gedieh die Gerste noch in einer Höhe von 11000 Fuß.
Dieses Thal ist allenthalben mit Getreidefeldern bedeckt, und man baut vor¬
züglich Weizen, Gerste, Scham, Tabak, Bohnen, Erbsen und Hafer; der letztere
kommt sonst in Afghanistan ebensowenig vor, wie in den benachbarten Gebieten
Bucharas und Russisch-Turkestans. Im Thale Kagmard sahen die Reisenden
eine Strecke von zehn Werst mit Reis besät, der wohlbcwässcrt war und
prächtig stand, und neben dem sich Felder mit Luzerne zeigten. Am Ufer des
dortigen Flusses wuchs die wilde Dattel (Dschida) neben Weiden und niedrigen
Pappeln. Im Thal Mater zogen sich vier Werst lang Gärten in ununter¬
brochener Reihenfolge hin, in welchen Pfirsiche, Aprikosen, Maulbeeren, Wall¬
nüsse und Trauben reiften. Ähnliches berichtet Jaworski von andern Kesseln
und Thälern, durch die ihn sein Weg führte, und wo ans den Feldern auch
Mais und Hirse, in den Gärten auch Kirschen gebant wurden. In der Ortschaft
Hnrem sah er Weinreben von einem Fuß Umfang. An einigen Stellen war der
dortige Bach von Neben und Flachsseide überwölbt, lebendigen Brücken, an
denen Massen von Trauben hingen. Hin und wieder breiteten riesige Tschinaren
und Karcigatschen (letztere sind minenartige Bäume) ihr Laubdach aus. Natürliche
Wälder aber bekam man weder in den Bergen noch in den Thälern zu Gesicht.


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[0599] Afghanistan und die Afghanen, mit Nutzen lesen, was er über die Pässe sagt, die zwischen Samarkand und Kabul Wer den Hindukusch und seine Nebenketten führen. Afghanistan ist ein nach Westen und Norden sich heulendes Hochland, zwischen dem obern Nun-Darja und dem obern Indus, das im Nordosten von der Hauptkette des Hindukusch und weiter westlich vom Paropamisus durch¬ zogen wird. Im Südosten bildet der Gebirgszug des Svlimankuh, im Westen die Wüste von Chorassan seine natürliche Grenze, Die Nachbarländer sind im Norden Russisch-Turkestan und das Chanat Buchara, im Osten Britisch-Jndien, im Süden Beludschistan, im Westen Persien. Die Gipfel des Hindukusch und des Svlimankuh erheben sich weit über die Schneegrenze, der Paropamisus ist niedriger, aber großenteils ebenfalls unwegsam. Von den zahlreichen Flüssen des Landes ist nur der Kabul, der sich in den Indus ergießt, schiffbar. Der Helmand und der Herirud sowie der Margab dienen nur zur Bewässerung des von ihnen durchströmten Gebietes. In den Bergen herrscht im Winter strenge Kälte, in den Ebnen sind die Sommer sehr heiß. Häufig wüten furchtbare Stürme, Regen fällt selten. Die Berge sind meist wenig bewaldet, die Thäler und Niederungen, wo sie bebaut sind, meist fruchtbar, doch ist die üppige Vegetation, der man hier begegnet, abgesehen von den schönen Grastcppichen an den Gewässern des Gebirges, sast ausnahmslos von der Hand des Menschen gepflanzt und gepflegt, und in einer Höhe von 7000 Fuß finden sich nur noch Gramineen. Bäume giebt es hier nur sehr wenige. Im Banianer Thale z. B., das die russische Gesandtschaft auf ihrer Reise vom Ann-Darja uach Kabul durchzog, sah Jaworski nur einzelne Pappeln, wilde Äpfclbnume und Silber¬ weiden, Dagegen gedieh die Gerste noch in einer Höhe von 11000 Fuß. Dieses Thal ist allenthalben mit Getreidefeldern bedeckt, und man baut vor¬ züglich Weizen, Gerste, Scham, Tabak, Bohnen, Erbsen und Hafer; der letztere kommt sonst in Afghanistan ebensowenig vor, wie in den benachbarten Gebieten Bucharas und Russisch-Turkestans. Im Thale Kagmard sahen die Reisenden eine Strecke von zehn Werst mit Reis besät, der wohlbcwässcrt war und prächtig stand, und neben dem sich Felder mit Luzerne zeigten. Am Ufer des dortigen Flusses wuchs die wilde Dattel (Dschida) neben Weiden und niedrigen Pappeln. Im Thal Mater zogen sich vier Werst lang Gärten in ununter¬ brochener Reihenfolge hin, in welchen Pfirsiche, Aprikosen, Maulbeeren, Wall¬ nüsse und Trauben reiften. Ähnliches berichtet Jaworski von andern Kesseln und Thälern, durch die ihn sein Weg führte, und wo ans den Feldern auch Mais und Hirse, in den Gärten auch Kirschen gebant wurden. In der Ortschaft Hnrem sah er Weinreben von einem Fuß Umfang. An einigen Stellen war der dortige Bach von Neben und Flachsseide überwölbt, lebendigen Brücken, an denen Massen von Trauben hingen. Hin und wieder breiteten riesige Tschinaren und Karcigatschen (letztere sind minenartige Bäume) ihr Laubdach aus. Natürliche Wälder aber bekam man weder in den Bergen noch in den Thälern zu Gesicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/599>, abgerufen am 22.07.2024.